DFB-Kapitänin Alexandra Popp:Nach langer Findungsphase vom EM-Zauber erfasst

DFB-Kapitänin Alexandra Popp: Kein Grund, leise zu sein: Alexandra Popp (Mitte) hat bisher in jedem EM-Spiel getroffen.

Kein Grund, leise zu sein: Alexandra Popp (Mitte) hat bisher in jedem EM-Spiel getroffen.

(Foto: David Klein/Sportimage/Imago)

Kapitänin Alexandra Popp steht wie keine andere für den langen Weg, den die deutschen Fußball-Frauen in den vergangenen Jahren zurückgelegt haben. Und dabei soll das Beste noch kommen.

Von Anna Dreher, London

Alexandra Popp hatte sich gegen Österreich ein besonderes Manöver vorgenommen. Zielstrebig pirschte sich die deutsche Stürmerin immer wieder von der Seite kommend an Torhüterin Manuela Zinsberger heran und versuchte, sie zu überraschen, zu erschrecken, zu Fehlern zu zwingen. Es war die List dieses EM-Viertelfinals. Das erste Mal funktionierte sie nach 25 Minuten, da musste Zinsberger den Ball überhastet nach vorne schießen, weil Popp im toten Blickwinkel plötzlich neben ihr auftauchte. Ballgewinn Deutschland, Tor durch Lina Magull. In der 90. Minute das gleiche Spiel. Popp lief auf ihre Gegnerin zu, und vor lauter Panik schoss Zinsberger sie an - der Ball prallte diesmal direkt an Popp ab und flog ins Tor.

Und weil es am Donnerstagabend im Community Stadium von Brentford sonst keine Treffer mehr gab, steht Deutschland nach dem 2:0 gegen Österreich bei der Europameisterschaft in England im Halbfinale kommenden Mittwochabend. Mit Popp als Anführerin und Antreiberin.

Fast ein Jahr lang fiel sie verletzt aus, und dann kam Corona

Ob die 31-Jährige überhaupt dabei sein würde, war vor dem Turnier gar nicht sicher. Erst fiel Popp fast ein Jahr lang mit einer Knieverletzung aus, in der Vorbereitung infizierte sie sich mit Covid-19. Als der Charterflieger Anfang Juli nach London abhob, ging die Kapitänin rechtzeitig an Bord. Schon 2013 und 2017 hatte Popp verletzt gefehlt, noch mal wollte sie keine EM verpassen. Und auch Martina Voss-Tecklenburg wollte das nicht. Die Bundestrainerin schätzt Popp, sie kennen sich lange, gemeinsam gewannen sie mit dem FCR Duisburg 2009 das Vorläuferturnier der Champions League.

Popp ist ein sogenannter "Typ", und die Art Mensch hat ein Coach gerne in seinen Reihen. Mit 118 Länderspielen ist sie die Erfahrenste im Kader und Teil des Mannschaftsrats, der auch die Prämie mit dem DFB verhandelt hat. Sollten die deutschen Spielerinnen tatsächlich am 31. Juli im Wembley-Stadion den Titel holen, gäbe es 60 000 Euro pro Spielerin, 2017 wären es noch 37 500 Euro gewesen. Und zumindest bisher läuft das Turnier nahezu perfekt. Vier Siege in vier Spielen, als einziger Teilnehmer ohne Gegentor. Das Team zeigt sich taktisch variabel, die Angriffe werden bisweilen überfallartig ausgeführt, und Popp ist dabei ein Kunststück gelungen: Sie hat in der Gruppenphase gegen Dänemark (4:0), Spanien (2:0), Finnland (3:0) und im Viertelfinale gegen Österreich (2:0) jeweils ein Tor geschossen. Die ersten drei Treffer erzielte Popp alle per Kopf, ihr Markenzeichen.

Am besten abschalten kann sie im Zoo

"Man hat hier von Anfang an gesehen, dass die Mannschaft wirklich unglaublich gut funktioniert", sagte Popp die Tage. "Das ist nicht nur die Top-Elf, sondern auch alle Spielerinnen, die von der Bank kommen. Es macht unglaublich viel Spaß, mit so einem Spirit aufzulaufen." Nach den ersten Auftritten ihres Teams sprach die Stürmerin, die seit zehn Jahren für den VfL Wolfsburg spielt, gar von einem "EM-Zauber", den sie spüre. Der Zusammenhalt des Teams ist tatsächlich auffällig. Die Ersatzspielerinnen gehen bei jeder Partie derart energisch mit, dass sie später so fertig sind, als hätten sie selbst gespielt, wie sie erzählen.

Die DFB-Frauen haben eine Findungsphase hinter sich. Achtmal sind sie Europameisterinnen, zweimal Weltmeisterinnen geworden - aber die vergangenen Turniere liefen nicht gut. Die EM 2017 war im Viertelfinale vorbei, die WM 2019 ebenso, wodurch sie sich nicht für Olympia qualifizierten. Das hieß: drei Jahre EM-Vorbereitung. In vielen offenen und kritischen Gesprächen reflektierten alle ihre Herangehensweise - auch die Kapitänin. Popp passte ihren Führungsstil an, weniger laut, mehr auf Augenhöhe.

Um die Ausgeglichenheit zu wahren, hatten die Nationalspielerinnen Anfang der Woche einen Tag frei. Zu Hause wäre Popp sicher mit ihrem Hund Patch, einem Australian Shepherd, spazieren gegangen. Aber auch in London gab es für sie den idealen Ort zum Entspannen: den Zoo. Hier kann sie am besten abschalten - kein Wunder, diese Profifußballerin ist ausgebildete Zootierpflegerin.

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