Abschied von Siggi Dietrich:Der Allesmacher hört auf

Abschied von Siggi Dietrich: Abschied eines Pioniers: Der langjährige Manager des 1. FFC Frankfurt, Siegfried Dietrich, muss aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten.

Abschied eines Pioniers: Der langjährige Manager des 1. FFC Frankfurt, Siegfried Dietrich, muss aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten.

(Foto: Lukas Schulze/dpa)

Erst knetete er Sportler wie Boris Becker, bevor er mit Katarina Witt Eiskunstlauf-Galas veranstaltete - und schließlich den deutschen Frauenfußball prägte wie wenige andere: Nun gibt der Frankfurter Impresario Siegfried Dietrich alle Ämter ab.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Fast drei Jahrzehnte lang hat Siegfried Dietrich dicke Felsbrocken beiseite geräumt, als Pionier und Visionär, der mit missionarischem Eifer voranging. Doch ausgerechnet in dem Jahr, in dem dank des beeindruckenden Auftritts des deutschen Nationalteams bei der EM in England die vielleicht größten Fortschritte zu verzeichnen waren, muss der Akkordarbeiter und Allesmacher des deutschen Frauenfußballs einen Schlussstrich ziehen.

Gesundheitliche Gründe zwingen den 65-Jährigen dazu, sich zu verabschieden. Dietrich wird als Generalbevollmächtigter der Eintracht Frankfurt Fußball AG, als Sportdirektor der Frauen sowie als Vorsitzender des DFB-Ausschusses Frauen-Bundesligen zum Jahresende aufhören. Damit verliert der Deutsche Fußball-Bund einen seiner fleißigsten Funktionäre, der im Abschiedsinterview auf der DFB-Homepage sagte: "Der Weg bis zur heutigen Popularität des Frauenfußballs war ein wahrlich sehr langer und steiniger."

Dietrich hat schon früh darauf hingewiesen, dass es Vereine als gesellschaftliche Verantwortung und lohnendes Investment betrachten sollten, Männern wie Frauen eine professionelle Bühne zu bieten. Heute rät er dringend dazu, dass der DFB und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ihre Kräfte bündeln, um sportlich, medial und wirtschaftlich die nächsten Schritte zu unternehmen: "Ich erwarte, dass die Verantwortlichen der Vereine und des DFB in der Zukunft noch mehr im Einklang mit der DFL zusammenarbeiten."

Eine Vergrößerung der ersten Liga auf 16 oder sogar 18 Vereine sei spätestens für die übernächste TV-Rechteperiode ab 2027 notwendig - und mit einer Dauerpräsenz in den elektronischen Medien würden die ersten Frauen-Bundesligisten in fünf Jahren auch schwarze Zahlen schreiben, glaubt Dietrich. Dann sollte ein Vollprofitum für alle Spielerinnen möglich sein. Das ist der Wunsch eines Mannes, der eher zufällig zum Frauenfußball kam.

Mit Monika Staab schuf Dietrich ein international bewundertes Flaggschiff: den 1. FFC Frankfurt

Zunächst knetete der Sohn eines Theologie-Professors als Physiotherapeut die Muskeln von Tennis-Größen wie Boris Becker und Gabriela Sabatini. Dann gründete Dietrich eine Agentur, um gemeinsam mit Katarina Witt Eiskunstlauf-Galas zu veranstalten. Aus einem Tennismatch mit Monika Staab, der damaligen Trainerin der Bundesligafußballerinnen der SG Praunheim, entstand der nächste Schlüsselmoment: Beim Besuch eines Heimspiels fiel dem Vermarktungsprofi auf, dass Werbebanden fehlten - Dietrich besorgte den ersten Sponsor. Danach war er für ein Miteinander "verhaftet", wie er sagt.

Mit dem 1998 gegründeten 1. FFC Frankfurt erschufen die beiden ein international bewundertes Flaggschiff. Der Frauenfußballverein holte in 22 Jahren vier Europapokalsiege, sieben deutsche Meisterschaften und neun Pokalsiege. Dietrich verdingte sich in Personalunion als Klubmanager, Investor und Spielerberater. Bei den Männern wäre das undenkbar, aber bei den Frauen war man damals froh, dass wenigstens einer richtig anpackt. In seinem Agenturbüro in Frankfurt-Heddernheim war an den Namen der akkurat beschrifteten Aktenordner sein Einfluss abzulesen: Birgit Prinz, Nia Künzer, Renate Lingor, Steffi Jones. Deren Karrieren hat der oftmals auch angeeckte Impresario mit gefördert, geplant und gestaltet.

Diejenigen, die anfangs die Nase rümpften, klopften ihm später auf die Schulter

Das Frankfurter Erfolgsmodell stieß erst an Grenzen, als das Investment von Lizenzvereinen wie dem VfL Wolfsburg und FC Bayern - wozu Dietrich stets aufgefordert hatte - die Machtverhältnisse verschob. Der Strippenzieher gab noch einmal alles, um sein liebstes Kind wieder konkurrenzfähig zu machen. Kaum hatte Dietrich 2020 die Fusion des 1.FFC mit Eintracht Frankfurt vollzogen, sendeten bei ihm Körper und Geist untrügliche Zeichen der Erschöpfung aus. Dietrich, bis dahin immer und überall erreichbar, musste sich zurücknehmen. Seine erste Auszeit dauerte vier Monate. Die einen wirkten überrumpelt, andere waren überrascht, dass er überhaupt so lange durchgehalten hatte.

Nur jeweils zu Jahresbeginn hatte der gebürtige Marburger entspannt - beim Golfspielen in Südafrika. Nach eigenem Bekunden setzte er sich "in jedem Jahr 365 Tage 24/7" für die Professionalisierung des Frauenfußballs ein. Die anfänglichen Vorbehalte haben Dietrich nie wirklich gekümmert: "Ich habe an die Entwicklung geglaubt und einfach unbeirrt weitergemacht." Dumme Sprüche oder ausfällige Bemerkungen gab es früher reichlich. Noch zur Jahrtausendwende begleiteten weite Teile der Gesellschaft, Fans und Medien den Frauenfußball bestenfalls aus sicherer Distanz. Diejenigen, die anfangs die Nase rümpften, klopften Dietrich später auf die Schulter. Neider wurden zu Gönnern, Lästerer zu Bewunderern.

Seine Rückkehr fiel dann in eine Phase, in der sich vieles erfüllte, woran zwischenzeitlich nur er noch geglaubt hatte. Vielleicht auch deshalb war bald wieder die Schwelle zur Überforderung erreicht. Vor zweieinhalb Monaten teilte Eintracht Frankfurt mit, dass sich Dietrich aus dem Tagesgeschäft zurückziehe. Inzwischen wird Katharina Kiel als Technische Direktorin für einen Teil von Dietrichs Aufgaben eingearbeitet. Niemand wird die 30-Jährige, die mit einem Stipendium von DFB und DFL Sportmanagement studierte, mit ihrem Vorgänger vergleichen. Dietrich, der mitunter auch mal Nervensäge war, hat stets mitgeredet, mitgemischt und mitbestimmt.

Er findet, dass sich insbesondere der VfL Wolfsburg im deutschen Frauenfußball einen Vorsprung "von zwei bis drei Jahren" erarbeitet habe. Doch auch in Frankfurt biete der Zusammenschluss unter dem Adlerdach ("vielleicht sogar der wichtigste Titel in meiner aktiven Laufbahn") längst wieder gute Perspektiven. Kann er also doch ruhigen Gewissens aufhören? Auf eine solche Frage könnte "Siggi" einfach mit "Ja" antworten. Aber das würde nicht passen zu einem perfektionistisch veranlagten Macher, der immer noch eine Anmerkung in petto hat. Kaum einer hat für den Frauenfußball so viel getan wie er - und auch einen hohen Preis gezahlt.

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