Fußball: Finanzkrise bei 1860:Acht Millionen Euro Schulden

Die Verbindlichkeiten von 1860 München sind höher als angenommen - etwa acht Millionen Euro belasten den Verein. Es drohen ein erneuter Punktabzug und die Insolvenz.

Andreas Burkert und Gerald Kleffmann

Bevor Dieter Schneider am vorigen Montag daran ging, über die Wahrheit zu sprechen, orderte er im Löwenstüberl zunächst einmal sein übliches Getränk, eine kleine Tasse Kaffee, mit heißem Wasser zu einem Haferl aufgegossen; er nennt es "meinen Spezial-Kaffee". Der 63-jährige Unternehmer mit dem stets korrekt sitzenden Krawattenkragen pflegt eine gewisse Ordnung und Rangfolge der Dinge, und in seiner Heimatregion Dachau genießt er einen guten Ruf wegen der ihm eigenen Akkuratesse. Vielleicht ist es diese Haltung des neuen Vizepräsidenten, welche den Zweitligisten TSV 1860 München doch noch vor einem Absturz in den Amateurfußball bewahren könnte.

1860 München - Hertha BSC

Kleiner Hoffnungsschimmer: 1860 München steht unter Trainer Reiner Maurer sportlich recht gut da, auch dank der Tore von Stürmer Benjamin Lauth.

(Foto: dpa)

Nötig ist dafür allerdings mehr als "eine knallharte Sanierung und viel Arbeit", wie Dieter Schneider ausgangs einer hektischen Woche sagt. Sondern ein kleines Wunder und Geld. Viel Geld sogar, jedenfalls weitaus mehr als bisher angenommen. Mitte Januar müssen die Löwen rund 5,3 Millionen Euro an Liquidität bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) nachweisen, dieser Umstand ist seit einer Woche in der Welt und hatte Schneider und seinen Mitstreiter, Geschäftsführer Robert Schäfer, 34, am Montag zu einer recht schonungslosen Erklärung der Finanzlage und Altlasten veranlasst.

Ihre klaren Worte erstaunten, so etwas war man bislang nicht gewöhnt an der Grünwalder Straße. All die Jahre seien "Einnahmen vorgezogen und Ausgaben ins nächste Jahr geschoben worden", hatte Schäfer dort im Kern erklärt. Was er und Schneider aus gutem Grund nicht öffentlich machten, ist das ganze Ausmaß der Finanznot, das sich während ihrer nächtelangen Sichtung der Bücher offenbarte. So sollen 1860 nach SZ-Informationen aktuell neben dem kurzfristigen Liquiditäts-Engpass auch etwa acht Millionen Euro an Schulden belasten - ein Betrag, der mehr als doppelt so hoch wäre wie bisher vermutet.

Gläubigerin aus Russland

Zum anderen tun sich in den kommenden Monaten weitere Millionen-Löcher auf. Diese Informationen legen auch Details aus der "Liquiditätsberechnung" nahe, die sich in den Lizenz-Auflagen der DFL befinden. Dort errechnete die DFL für 1860 unter dem Strich ein Nachweis-Minus bis zum Juni 2011 von mehr als achteinhalb Millionen Euro. In den Lizenz-Auflagen, die der SZ vorliegen, heißt es beispielsweise zu "Forderungen", die "nach dem 30.6.11 fällig" werden: 4,332 Millionen Euro.

"Allein bis Juni nächsten Jahres sind die Liquiditätserfordernisse höher" als die berichteten 5,3 Millionen Euro, räumt Otto Steiner, der Vorsitzende des Aufsichtsrates, mit Blick auf das nächste Lizenzverfahren im März offen ein. "Das ist definitiv so. Laut interner Kalkulation benötigen die Löwen angesichts des Schuldenberges bis 2013 von Investoren sogar eine Finanzspritze in Höhe von neun bis zehn Millionen.

Als Hausnummer dessen, was Sechzig aber schon im Frühjahr an frischem Geld oder Kreditzusagen auftreiben muss, darf also jene schon erwähnte Unterdeckung gelten, welche in der Lizenz-Auflage der DFL aus dem Mai 2010 beziffert wird. Der TSV hatte Einspruch eingelegt gegen die Zurückweisung seiner Finanzplanung, doch die DFL urteilte nach einer Anhörung schriftlich: "8,681 Millionen Euro (...) Mittelzufluss muss zur Finanzierung des Spielbetriebes uneingeschränkt und in voller Höhe bis zum 30.6.11 zur Verfügung stehen", bzw. "bis 2.6.11, 15.30 Uhr, Liquiditätsnachweise als Guthaben oder unwiderrufliche Kreditgarantie".

Weil die Sechziger bei ihrer regelmäßigen Prüfung durch die DFL von ihnen angegebene Gelder nicht nachweisen konnten, erhielten sie im Oktober zwei Punkte Abzug. Die Insolvenz verhinderte Ende Oktober in letzter Sekunde offenbar auch eine Millionen-Garantie, die angeblich von einem Dritten nachgeschoben wurde. Im Januar droht den Löwen nun erneut die Insolvenz. Sofern sie den DFL-Auflagen nicht nachkommen, steht nach SZ-Informationen zumindest der Abzug von sieben Punkte im Raum. Dies hätte weitreichende Folgen, nicht nur für die Tabelle. Denn dem Vernehmen nach sähen die Banken, bei denen Sechzig in der Kreide steht, dies als Signal, den Glauben an die Kultmarke 1860 endgültig zu verlieren.

Insolvenz möglich

Das größte Pfund, welches Vize Schneider, Geschäftsführer Schäfer und Aufsichtsrat Steiner nun in ihre Verhandlungen einbringen können, ist somit neben der Tradition des Vereins ihre Transparenz und Offenheit: Alle Gesprächspartner wüssten um die Fakten, versichern sie. Gerade die Banken werden dies einfordern, offenbar ist mit drei Hauptgläubigern - der Nordfinanzbank, Postbank und dem Internationalen Bankhaus Bodensee (IBB) - ein Runder Tisch anberaumt.

Aus der Lizenz-Auflage der DFL gehen allein zum 31.12.09 dokumentierte Verbindlichkeiten in Höhe von 4,526 Millionen Euro bei Kreditinstituten hervor; für die IBB ist in der Planrechnung abrufbares Geld (aus einer verkauften Forderung) mit einem Volumen von vier Millionen Euro notiert. Ein Darlehen über eine Million Euro, das Ende Juni fällig ist, stammt übrigens von einer offenbar in Russland lebenden Geschäftsfrau aus Estland, die für ein Schweizer Unternehmen arbeitet, Laine B.

Dieter Schneider sagt, er kenne diese Person bislang nicht, gehe aber davon aus, dass es mit derlei privaten Einlegern "momentan keine Probleme" gebe. Schließlich wollten die Partner ihr Geld nicht verlieren durch eine Insolvenz. Dennoch kann es einem schwindelig werden beim Studium dessen, was die Löwen unter dem damaligen Geschäftsführer Manfred Stoffers bei der DFL einreichten. So brachten sie offenkundig einen Anspruch auf vier Millionen Euro in ihre Planrechnung ein - Geld, das sie für einen Erfolg im Catering-Prozess gegen den Arena-Betreiber FC Bayern fix einplanten. Die DFL-Prüfer wiesen diese kühne Haben-Position zurück. Begründung: "keine belastbare Plausibilitäts-Beurteilung des Wirtschaftsprüfers" der Sechziger. Bekanntermaßen verlor der TSV 1860 den Prozess.

Sieben-Punkte-Abzug droht

Mit derlei Winkelzügen und dem ewigen Dasein auf Pump, das Konkurrenten zu Recht als Wettbewerbsverzerrung einstufen dürften, wollen die Löwen jetzt endgültig abschließen. Ihnen bleibtkeine andere Wahl. Die Gewinnung "eines oder mehrerer Investoren", nach denen sie laut Schneider in diesen Tagen fieberhaft fahnden, ist neben dem guten Willen der Banken und auch des Arena-Vermieters FC Bayern Voraussetzung fürs Überleben. Der zehnprozentige Gehaltsverzicht der Belegschaft dient allenfalls als vertrauensbildende Maßnahme; und die Kündigung von Teammanager Robert Hettich, der offenbar noch eine weitere Entlassung folgen soll, verringert den Finanz-Engpass ebenso wenig entscheidend wie mögliche Spielerverkäufe.

Was Transfers angeht, ist ohnehin Zurückhaltung angesagt. So haben die Löwen etwa in ihren Lizenz-Papieren für den "Transfer Aleksandar Ignjovski" die Summe von "1,56 Millionen Euro" vom Abnehmer AC Florenz angegeben - angeblich gebe es aber bisher mit den Italienern nicht mal einen endgültig fixierten Vorvertrag, heißt es aktuell aus dem Verein. Zum anderen fließt längst nicht jeder Transfer-Euro in die Vereinskasse. Zahlreiche Transferrechte wurden in die Tochter LSV (Löwen Sportrechte Vermarkung) überführt, in die der umstrittene Investor Nicolai Schwarzer und mehrere Klubvertreter einzahlten. Gerüchten zufolge soll Schwarzer geschäftlich mit Sportchef Miroslav Stevic verbunden sein. Die Beteiligten dementieren dies.

Zur LSV heißt es im Wertpapier-Prospekt der jüngsten 1860-Fananleihe, bei Transfers würden zunächst die Darlehensgeber bedient und deshalb "keine oder nur eine geringe Liquidität erzielt". An anderer Stelle heißt es: "Die Emittentin" - gemeint ist der Klub - "ist bilanziell überschuldet. Bei einer geringeren Bewertung des Vermögens könnte die Emittentin in die Insolvenz geraten." Das alles steht, schwarz auf weiß, im 1860-Prospekt vom Mai 2010. So klar formuliert, als habe es der ordnungsliebende Herr Schneider verfasst.

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