Wer nach all den Jahren noch einen Beleg dafür brauchte, wie viel Zunder in dieser Rivalität liegt, der musste bis zum ersten Ausbruch nicht lange warten. Die erste Viertelstunde war vorbei, als Magdalena Eriksson ein, zwei Schritte machte, um den nächsten Spielzug einzuleiten. Den Ball konnte die Verteidigerin des FC Bayern noch passen, dann rauschte von der Seite Alexandra Popp in sie hinein. Kaum stand Popp nach der Grätsche wieder auf den Beinen, bekam sie es mit Sydney Lohmann zu tun, die erst mit erhobenem Zeigefinger zu ihr stapfte und ihre frühere Nationalmannschafts-Kapitänin schubste. „Was willst du denn jetzt hier!?“, fuhr Popp sie erbost an - und schon hatte sich ein aufgeregt diskutierendes Knäuel um die beiden gebildet.
Der FC Bayern gegen den VfL Wolfsburg, das ist seit Jahren das Duell der Frauen-Bundesliga mit der größten Spannung. Genährt davon, dass sich jene Teams begegnen, die seit zehn Jahren die Meisterschaft unter sich ausmachen. „Es ist einfach ein krasses Gefühl, wenn man auf dem Platz steht. Man hasst sich wirklich“, beschrieb Lena Oberdorf im ZDF die Konkurrenz zwischen den Klubs, trotz einiger rot-grüner Freundschaften und einstiger Spielerinnen auf beiden Seiten. Oberdorf selbst trug lange das Wolfsburger Trikot, bevor sie im Sommer nach München wechselte. „In den 90 Minuten vergisst man das einfach. Das Schöne ist aber, sobald das Spiel abgepfiffen wird, verstehen sich alle wieder.“

DFB:Frühere Nationalspielerin Doris Fitschen ist tot
1989 gewann sie mit der DFB-Auswahl bei der EM den ersten internationalen Titel für die deutschen Fußballerinnen. Große Erfolge feierte Fitschen auch als Funktionärin. Nun ist sie im Alter von 56 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.
Die jüngste Auflage dieser Hassliebe am Freitagabend war geprägt von diversen hart geführten Zweikämpfen, Ringereinlagen im griechisch-römischen Stil sowie Zusammenstößen inklusive Platzwunden auf beiden Seiten. Und sie wurde entschieden durch drei Tore, an denen maßgeblich eine frühere Wolfsburgerin beteiligt war: Pernille Harder. Beim 3:1 (1:0) war sie die herausragende Spielerin in einem überhaupt gut aufgelegten und effizienten Münchner Ensemble. Mit ihren Saisontreffern zehn und elf in der 13. und 47. Minute sowie ihrer Torvorlage für die frisch eingewechselte Lea Schüller (69.) sorgte Harder für einen Sechs-Punkte-Vorsprung des Titelverteidigers und Tabellenführers. Der Treffer der früheren Bayern-Stürmerin Lineth Beerensteyn (75.) reichte nicht, um die Wende für Wolfsburg einzuleiten. Hätte der VfL gewonnen, hätte er Platz eins übernommen, so bleibt er Dritter.
Ein wenig machte sich das Gefühl breit, dass es das war mit der Wolfsburger Titelchance
„Ich denke, wir sind in einer wirklich guten Position. Wir haben ein sehr gutes Fundament im Team“, sagte Harder. „Wir haben so viele gute Spielerinnen, die einen Unterschied machen. Egal, ob sie starten oder von der Bank kommen.“ Der diesjährige Kader des FC Bayern kann sicherlich als stärkster in der Bundesliga gelten. Von der Defensive bis zur Offensive haben die Verantwortlichen eine Mischung aus Routiniers und Nachwuchsspielerinnen zusammengestellt. Mit unterschiedlichen Talenten und Charakteren, die eine Einheit bilden. Wolfsburg auf der anderen Seite muss einen Umbruch bewältigen und hatte mit Unruhe zu kämpfen.

Rein auf dem Papier war die Angelegenheit trotzdem ausgeglichen. Die beiden besten Defensivreihen – bis zum Anpfiff mit je nur elf Gegentreffern – und die hinter Eintracht Frankfurt (53 Tore) beiden zweitbesten Angriffe (41) standen sich gegenüber. Den Unterschied machte, wie so oft bei diesem Duell, die Tagesform aus. Im Hinspiel hatte Wolfsburg den besseren Tag erwischt. Nun waren es im ausverkauften Campus-Stadion die Münchnerinnen, deren beeindruckende Heimstärke sich fortsetzt: Zuletzt haben sie vor 1218 Tagen am 13. November 2021 zu Hause verloren – gegen Wolfsburg. „Es war vor allem der Punch, der den Unterschied ausgemacht hat“, sagte VfL-Trainer Tommy Stroot, was eine Stimmungslage zur Folge hatte, die Janina Minge so zusammenfasste: „Es tut natürlich extrem weh.“ Es stehen zwar fünf weitere Spieltage an und Frankfurt hat als Zweiter auch noch Einfluss. Aber ein wenig machte sich doch das Gefühl breit, dass es das war mit der Wolfsburger Titelchance.
Mit unterschiedlicher Sprachmelodie konnten beide Seiten im Kabinengang völlig zu Recht feststellen: Gerade jetzt! Traditionell findet das Rückspiel im März statt, mal früher, mal später. In diesem Fall wurde für beide Vereine eine jeweils enorm wichtige Phase eingeleitet. Der FC Bayern trifft am Dienstag (21 Uhr, Dazn) im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League auf Olympique Lyon, am Samstag im Pokalhalbfinale auf die TSG 1899 Hoffenheim, bevor es am 26. März zum Wiedersehen mit Lyon kommt. „Wir nehmen die Energie jetzt mit“, sagte Carolin Simon am Freitagabend. Noch können sie und ihre Mitspielerinnen auf das Erreichen des ganz großen Ziels hoffen: Endlich das Triple zu gewinnen.
Wolfsburg bewegt sich dagegen in einer anderen Sphäre, es droht die erste titellose Saison seit 2012 - im Pokal als elfmaliger Titelträger bereits im Viertelfinale ausgeschieden, Dritter in der Liga. Und dann bekommt es der VfL in der Königsklasse am Mittwoch (18.45 Uhr, Dazn) ausgerechnet mit dem Titelverteidiger FC Barcelona um die zweimaligen Weltfußballerinnen Aitana Bonmatí und Alexia Putellas zu tun. „Ich weiß, was wir drauf haben. Aber unser Problem ist diese Saison einfach, dass wir diese Konstanz und volle Qualität nicht auf den Platz kriegen“, sagte Popp und übte sich in Zuversicht. „Das ist eines dieser Topspiele, in denen alles passieren kann.“ 2023 standen sich diese Klubs im Finale gegenüber, Wolfsburg verlor die Partie damals trotz starker erster Hälfte, und auch jetzt käme es einer Sensation gleich, würde Grün nach dem Rückspiel am 27. März tatsächlich Blaugrana überstrahlen.
Wie gegen den FC Bayern gilt es aufzupassen, dass nicht wieder eine gute Bekannte entwischt: Vier frühere Wölfinnen spielen bei Tabellenführer Barça, Ewa Pajor führt mit 17 Treffern die Torjägerliste der spanischen Liga F an. Immerhin, könnte man sagen, stehen alle durch das nationale Spitzenspiel schon unter Hochspannung. Und der VfL hat jüngst nach dem Pokalaus mit einem 6:1 in der Liga gegen Frankfurt bewiesen, dass er nach einem Rückschlag aufstehen kann. Die Wolfsburgerinnen, das ist das Gute an der unbefriedigenden Lage, haben nichts zu verlieren.