Süddeutsche Zeitung

BVB gegen FC Bayern:Krawall mit Krawumm

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Das Spitzenspiel bietet alle Zutaten eines echten Klassikers, in dessen Mittelpunkt Entscheidungen von Schiedsrichter Felix Zwayer stehen. Der zeigt Haltung, als es darum geht, sein umstrittenes Werk zu rechtfertigen.

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Auch lange nach Spielschluss waren viele Dortmunder Zuschauer bereit, ihr Bestes zu geben. Sie opferten das kostbare Bier in ihren Bechern, um den Gästen aus München und vor allem dem Schiedsrichter Felix Zwayer ihre Verachtung anzuzeigen, wobei die zornigen BVB-Fans den Spielleiter wahrscheinlich ohnehin für ein Mitglied der Bayern-Partei hielten. Dortmunds Trainer Marco Rose sah es ja ähnlich: "Herr Zwayer" dürfe gern wiederkommen und auch das nächste Spitzenspiel verpfeifen, sagte Rose mit ätzendem Sarkasmus und kämpferischer Attitüde: "Er kann uns noch ein paar Steine und Stöcke in den Weg werfen. Wir machen weiter!" Er selbst gab dazu das beste Beispiel: Weil der Coach nicht aufhören wollte, gegen den Elfmeter zu protestieren, der die Bayern zum 3:2-Sieger machte, hatte Zwayer den schon gelbverwarnten Rose auf die Tribüne geschickt. Nun wütete Rose halt in der Pressekonferenz weiter.

Zunächst mussten die Gastgeber aber ihrer Pflicht nachkommen, den Schiedsrichter unversehrt in die Kabine zu überführen. Zwei Ordner hatten sich dazu mit Regenschirmen bewaffnet, mit denen sie das Trio des DFB vor den Bierbecherattacken der Zuschauer auf der Haupttribüne beschützten. In ihrem Ärger über das hohe Gericht waren einige Tribünenplatzinhaber sogar auf das Dach der Münchner Reservebank gestiegen - Julian Nagelsmann nahm es so gelassen hin wie die Duschen, die ihm die Becherwürfe eintrugen. Die leeren Behälter kehrte er höchstpersönlich vom Spielfeld.

Zwayers Analyse ist juristisch plausibel, aber trotzdem nicht geeignet, die Dortmunder zu beruhigen

Was man auch sagen mochte über das Gelingen oder Misslingen des vom wilden Spiel sichtlich hochgestressten Schiedsrichters: Zwayer zeigte Haltung, als es darum ging, sein umstrittenes Werk zu rechtfertigen. Mindestens fünf Minuten nahm er sich nach dem Abpfiff Zeit, um Mats Hummels - die zentrale Figur beim Elfmeter-Entscheid - über seine Urteilsfindungen aufzuklären, und auch dem Fernsehen gewährte er später eine ausführliche Sprechstunde. Seine Analyse war juristisch plausibel, aber trotzdem nicht geeignet, die Dortmunder zu beruhigen, und am Ende war ihnen das womöglich ganz recht: Zwayers strittige Beschlüsse, die allesamt zu Ungunsten der Borussen ausfielen, verschafften ihnen zumindest die Gelegenheit, über die eigenen Mängel hinweg zu schimpfen.

Gewonnen hatten die Bayern ja nicht nur, weil sie vom Schieds- und Videorichter profitierten: Sie hatten spielerisch mehr zu bieten, sie hatten die etwas weniger wacklige Abwehr, und sie hatten die deutlich bessere Ersatzbank - vor allem aber hatten sie eine niedrigere Fehlerquote als der BVB. Hummels gab dabei eine besonders unglückliche Figur ab, die Hektik und das hohe Tempo überforderten ihn immer wieder, nicht nur athletisch. Sein Anteil am Elfmeter, den Robert Lewandowski zum Siegtor vollendete, beruhte allerdings eher auf Pech als auf seinen Problemen mit dem Niveau der Partie.

Zwayer hatte beim Zwischenstand von 2:2 entweder einen Elfmeter zu viel gepfiffen - bei Hummels' zweideutigem Handspiel im Strafraum - oder einen zu wenig - nach Lucas Hernandez' ruppigem Einsteigen gegen Marco Reus -, so lässt sich das wohl überparteilich zusammenfassen, und so sahen das auch die die Münchner. Den "Frust und Ärger" der Dortmunder könne er verstehen, sagte Thomas Müller und meinte das nicht gönnerhaft. Andererseits war der Schiedsrichter letztlich nur der 23. Teilnehmer an dem oft unübersichtlichen, immer superhitzigen Getümmel, das diese Partie von Anfang an war.

Rivalität, Animosität, Ambition, das waren auf beiden Seiten die wesentlichen Zutaten, für den taktisch-strategischen Überbau blieb wenig Raum. Die Auseinandersetzung brachte so viel kribbelige Energie hervor, dass man damit vermutlich das Stadtzentrum bis nach Dorstfeld und Hombruch hätte elektrifizieren können. Manchmal durfte auch gelacht werden: Zum Beispiel bei den Messi-, Messi-Rufen, mit denen die Dortmunder Fans Lewandowski ärgerten, auf seine Niederlage bei der Wahl für den Ballon d'Or anspielend.

Bellingham erinnert im TV-Interview an Zwayers Verwicklung in den Bestechungs-Skandal um Robert Hoyzer

In den vergangenen Jahren mussten sich die Dortmunder, allen voran ihr Kapitän Marco Reus, regelmäßig gegen Vorwürfe wehren, ihnen fehle die nötige Mentalität, um sich mit dem FC Bayern zu messen. Das darf diesmal niemand behaupten. Diesmal war es ein Aufstand, der von Herzen kam. Der 18-jährige Jude Bellingham wies seine außerordentliche Motivation nicht nur durch einen starken Auftritt und ein spektakulär unverschämtes Umschubsen des Nationaltorwarts Manuel Neuer nach, sondern auch durch starke Worte, als er im TV-Interview an Zwayers Verwicklung in den Bestechungs-Skandal um Robert Hoyzer 2004 erinnerte: Unverkennbar in geradewegs diffamierender Absicht. Bellingham war 2004 ein Jahr alt, offenbar hat er im Geschichtsunterricht gut aufgepasst.

Diesmal also waren die Dortmunder sofort zur Stelle, um die ewigen Bayern herauszufordern, nachgewiesen durch Julian Brandts schnell herauskombiniertes 1:0 (6. Minute). Gerade Brandt, oft als hochtalentierter Untergeher geschmäht, hob als treibende Kraft das PS-Level beim BVB. Nach seinem Austausch wegen einer zum Glück dann doch glimpflichen Kopfverletzung hinterließ er eine Lücke, die Trainer Rose mangels Klasse in der Reserve nicht schließen konnte.

Das Spiel ist aufregend wie ein Blockbuster mit Schießereien und Explosionen

Zur typischen Geschichte dieses tatsächlich zum Klassiker taugenden West-Süd-Derbys gehört aber auch, dass der Herausforderer nach dem 1:0 keine Zeit verlor, um die weniger dekorative Seite seines sportlichen Profils zu offenbaren. Den Vorteil der frühen Führung (mancher Münchner dachte womöglich schon an die Parallele zum 0:5 in Mönchengladbach ) hat der BVB gleich wieder weggeschenkt. Hummels' fahrlässiger Ballverlust als letzter Mann vor dem Torwart war ein Ballverlust der unverzeihlichen Art, sein Versuch des Nachsetzens ein tragikomischer Akt, der seinen Weltmeister-Denkmalschutz beschädigt.

Außer zum Ausgleich und zum 2:3 trug Hummels auch zum zweiten Thema des Abends bei: Das Spiel war aufregend wie ein Blockbuster mit Schießereien und Explosionen, aber hatte es neben den Pyro-Effekten auch die Klasse eines internationalen Festspiels? Der kritische Fachmann mag angesichts der auf beiden Seiten konfusen Abwehrreihen zweifeln, aber gewöhnliche Experten dürften an den vielen kreativen Angriffszügen und den entfesselten Emotionen genügend Spaß gehabt haben.

Wenn die Begegnung zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund die Visitenkarte der Bundesliga für den Rest der Welt sein soll, dann hat sie damit bestimmt in allen Erdteilen Eindruck gemacht. Erling Haalands Präzisionsschlenzer zum 2:2 wird man überall zu schätzen wissen. Die Kehrseite der Vorzeigekarte ist das Ergebnis, das die übliche Tabellensituation und ein altbekanntes Motiv erzeugt: Echte deutsche Wertarbeit bleibt das Monopol der Bayern.

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