Süddeutsche Zeitung

Fußball: FC Bayern:1:0 für Kandidat Kraft

Die Torwartdebatte bleibt beim FC Bayern nach dem Trainingslager in Doha das dominante Thema. Trainer Louis van Gaal scheint seine Entscheidung zugunsten von Thomas Kraft gegen den Willen der Chefetage zu treffen.

Andreas Burkert

Mit den Zuchtkatzen, die in schuhkartongroßen Käfigen und gemeinerweise direkt neben lila- oder auch türkisfarben gefärbten Küken feilgeboten werden im Souk von Doha, möchte niemand tauschen. Aber auch mit den Profis des FC Bayern durfte man am Samstagabend ein wenig Mitleid haben, sie wurden allerdings auf gepolsterten Bänken und bei frischgepressten Säften gefangengehalten.

Nach dem Münchner Testspiel im Stadion der entlegenen Siedlung Al Khor waren die Gäste zu einem Empfang in der Vip-Halle eingeladen, die katarischen Scheichs nutzen das Durcheinander auf diesem Basar der Freundlichkeiten zu Erinnerungsfotos mit den hier verehrten Spielern und Trainer Louis van Gaal. Auch Thomas Kraft saß eingezwängt zwischen den Kollegen, bedrängt wurde er von der arabischen Herzlichkeit hingegen kaum. Ihn kennt die fremde Welt offenbar noch nicht.

Aber nach Lage der Dinge soll sich das bald ändern, van Gaal plant überraschend mit dem 22-jährigen Torwarttalent für die Rückrunde, in welcher die Bayern so viel vorhaben. Mit seiner Entscheidung gegen die bisherigen Stammkeeper Jörg Butt, 36, hat er den stets eng mit ihm kooperierenden Sportdirektor Christian Nerlinger gegen sich aufgebracht, und das mutmaßliche Grollen vom Tegernsee, wo Präsident Uli Hoeneß am Telefon vom Alleingang des Trainers erfuhr, glaubten manche sogar in Doha zu vernehmen. Doch trotz interner Turbulenzen scheint van Gaal, so war vor der Rückreise am Sonntagnachmittag aus der Mannschaft zu hören, gewillt zu sein, am gewagten Plan festzuhalten.

Robbens Comeback beim 4:0

Wie verblüfft sie alle sind bei den Bayern, hat selbst der Kandidat Kraft am Samstagabend angedeutet, nach dem lockeren 4:0 (0:0) gegen den Tabellenelften der Qatar Stars League, den Al-Wakrah Sports Club von 1959. Kraft und auch Butt, von van Gaal nach der Ankunft in Doha vor einer Woche eingeweiht, äußern sich zwar nicht konkret zur Ansage van Gaals. Aber Kraft kommentierte zumindest aufrichtig sein Erstaunen, dass der Trainer die Besetzung des Torhüterjobs nun offiziell für "offen" erklärt hat. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Sache offen ist", sagte der junge Mann aus dem Westerwald.

Gegen Al-Wakrah stand Kraft die ersten 45 Minuten in der Startelf, ein Umstand, der intern ebenfalls als Bestätigung einer neuen Hierarchie gedeutet wird. Einen einzigen Ball hatte er zu entschärfen, ansonsten mussten die Scheichs auf ihrer Marmortribüne schon viel Langmut und Begeisterung für den weltbekannten Gegner aufbringen, um angesichts der doch arg limitierten Fähigkeiten ihres Teams nicht vor Entsetzen aus dem Polstersessel zu kippen. Auf dem tiefen Rasen machten die Bayern nach der Pause ernst, der blendend aufgelegte Nationalspieler Thomas Müller (57.), Bastian Schweinsteiger (68.), Daniel van Buyten (72.) und Hamit Altintop trafen vor rund 1000 Zuschauern.

Zur ersten Elf zählten neben Kraft und Müller auch Andreas Ottl als Rechtsverteidiger (Philipp Lahm pausierte wegen Muskelproblemen), Holger Badstuber, Breno (van Buyten ersetzte ihn früh wegen Kniebeschwerden/28.), Neuling Luiz Gustavo, Mark van Bommel, Anatoli Timoschtschuk, Arjen Robben, Franck Ribéry und Miroslav Klose als Spitze; Schweinsteiger kam nach der Pause für van Bommel - und Butt für den plötzlich favorisierten Rivalen Kraft.

Viele Erkenntnisse gewann van Gaal nicht aus dem Freundschaftsspiel, aber er hat sich seine Meinung ohnehin schon gebildet. So gab Arjen Robben zwar nach 231 Tagen Verletzungspause ein unauffälliges, 45-minütiges Comeback und berichtete, er habe "eigentlich nicht raus gewollt, denn es hat so viel Spaß gemacht auf dem Platz".

Doch am Samstag beim VfL Wolfsburg könnte noch einmal Altintop beginnen auf der rechten Seite: "Der Trainer plant nicht, dass ich in Wolfsburg anfange", sagte der holländische Offensivspieler. Der Brasilianer Gustavo dagegen rechnet beim Rückrunden-Start mit seinem Einsatz von Beginn an, allerdings nicht auf seiner bevorzugten Position im defensiven Mittelfeld. "Im Mittelfeld hat er viel Konkurrenz", betont van Gaal. Gustavo dürfte zunächst Diego Contento als Linksverteidiger ablösen.

Offene Fragen bleiben dennoch im Mittelfeld, wo van Bommel zurzeit davon ausgehen kann, neben Schweinsteiger vor der Abwehr spielen zu dürfen. "Toni Kroos hat das auch gut gemacht, aber er ist noch verletzt", sagte van Gaal in Doha zu dieser Fachdebatte, "und Timoschtschuk hat es auch gut gemacht - aber ich habe trotzdem immer van Bommel gewählt."

Das klingt einerseits nach einem Bekenntnis zum Kapitän, andererseits möchte sich van Gaal erstaunlicherweise nicht letztinstanzlich darauf festlegen, dass sein Landsmann auch weiter Spielführer sein darf. "Wenn er bleibt, ist die Chance dafür sehr groß", sagte der Trainer - wissend, dass van Bommel weiterhin etwas auszubrüten scheint.

Van Bommel brütet

Seltsam schlecht gelaunt gab sich jedenfalls der 33-Jährige, der im Sommer gehen muss und deswegen den vorzeitigen Abschied erwägt. "Nix ist sicher, bis zum 31. Januar ist alles offen", fauchte van Bommel in Doha erneut auf die Frage, ob er bleibe. Und die Stimme seines Beraters, der den Verbleib des Klienten bis zum Sommer avisierte, sei auch seine, das schon. Allerdings habe der "nur zu 99 Prozent" ein Adieu ausgeschlossen.

Und so reisten die Bayern nach einem sportlich gelungenen Trainingslager trotzdem mit Ballast ab. Physisch sehen sie sich bestens präpariert nach dem Camp; sie rechnen für Wolfsburg auch wieder mit Stürmer Mario Gomez, der nach einem Faserriss in der Wade individuell trainierte. Man sei gierig auf den Wiederbeginn, heißt es unisono, "wir haben viel vor", erklärt auch van Bommel.

Doch die Spannungen um ihn und vor allem um die Torhüter bleiben auch im kalten deutschen Winter ein Thema. Gerade in der Kernfrage dürften die sonnigen Tage von Doha keine perfekte Vorbereitung gewesen sein: Van Bommel eröffnete, der Trainer habe "der Mannschaft seine Entscheidung bei den Torhütern noch nicht mitgeteilt".

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SZ vom 10.01.2011/jbe
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