Fußball: Fans und Gewalt:Erst prügeln, dann schweigen

Exzesse beim Karlsruher SC zeigen: Die neue Ultraszene ist von Gewalt fasziniert. In ihr herrscht das Gesetz des Schweigens.

Tobias Schächter

Den vergangenen Montag hat Rolf Dohmen mit dem Lesen von E-Mails begonnen. Seine Laune hat das nicht verbessert. Die Krawalle vor und nach dem Derby gegen den VfB hatten die Stimmung des KSC-Managers ohnehin gedrückt. Im Karlsruher Wildpark war es zu Ausschreitungen gekommen, die an Szenen aus Bürgerkriegsgebieten erinnerten, eine Eskalation der Gewalt wie seit Jahren nicht mehr im deutschen Fußball. Mindestens 20 Mails hat Dohmen am Morgen danach gezählt, in denen Anhänger ihre Dauerkarte zurückgeben wollen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen . "Das macht einen verzweifelt", sagt Dohmen. Der Karlsruher SC hat jetzt auch bei der eigenen Anhängerschaft ein Imageproblem.

Fußball: Fans und Gewalt: Die Dummen und die Dreisten sterben nie aus, erst recht nicht in der deutschen Hooligan- und Ultra-Szene. Hier finden es Frankfurter Fans intelligent, Feuerwerkskörper in Karlsruhe abzubrennen.

Die Dummen und die Dreisten sterben nie aus, erst recht nicht in der deutschen Hooligan- und Ultra-Szene. Hier finden es Frankfurter Fans intelligent, Feuerwerkskörper in Karlsruhe abzubrennen.

(Foto: Foto: ddp)

Kurz darauf hat Volker Körenzig, der Leiter des Fanprojekts Karlsruhe, Dohmen seinen Bericht geschickt. 281 Festnahmen, 22 auf Karlsruher Seite; 150 Stuttgarter wurden bei Krawallen am Durlacher Bahnhof festgenommen. Seit elf Jahren macht der Sozialarbeiter Körenzig den Job. Aber so etwas wie am Sonntag "habe ich noch nie erlebt".

Im Fokus stehen wieder die Ultra-Vereinigungen, die die Macht in den Kurven haben. Die deutsche Ultraszene bildete sich Anfang der neunziger Jahre. Von den Vorbildern in Italien schauten sie sich ab, was sie für gut hielten: Choreographien, Vorsänger auf dem Zaun - und Feuerwerk, was damals noch nicht verboten war. Gewalt sollte keine Rolle spielen, auch in Abgrenzung zur Hooliganszene. Doch Gewalt ist längst ein Thema geworden in der Ultraszene. Zusammen mit zwei Mitarbeitern betreut Körenzig 300 Fans zwischen 14 und 30, die in den Ultra-Gruppierungen des KSC vereinigt sind. Körenzig kennt sie alle. Er sagt: "Neunzig Prozent unserer Ultras sind von Gewalt fasziniert, fünfzig Prozent sind gewaltbereit, rund fünf Prozent sind gewalttätig."

Körenzig sieht einen Grund für die gestiegene Zahl der Vorfälle in der fortschreitenden Stigmatisierung der Ultras, seit im Fußball der Aspekt der Vermarktung immer wichtiger wird: "Die Jungs fühlen sich immer weniger wertgeschätzt von den Vereinen und von der Polizei wie Verbrecher behandelt."

Gewalt entschuldigt das nicht, aber zu einer differenzierten Sicht gehört es dazu. Ein weiterer Erklärungsversuch: Bei den Ultras fänden junge Männer eine Ersatzfamilie sowie die Möglichkeit, ihre Männlichkeit auszuleben. Und natürlich gehe es auch um Macht, sagt Körenzig. Die Ultras sind hierarchisch organisiert, die Älteren geben den Ton an: "Sie loten ihre Grenzen aus."

Der Ehrenkodex ist stärker

Nachdem vergangene Saison beim KSC-Gastspiel in Stuttgart Leuchtraketen abgeschossen worden waren (eine davon traf fast den eigenen Spieler Eichner), reagierte der Klub mit Repressalien. Kartenkontingente wurden gesperrt, der Vorsänger mit Megaphon durfte nicht auf den Zaun, Choreographien wurden untersagt. Dem folgenden Heimspiel gegen Wolfsburg blieben die Ultras fern, die Stimmung war mau. Mittlerweile ist vieles wieder erlaubt. Als Einknicken will Manager Dohmen das aber nicht verstehen. "Weil fünf Prozent Idioten sind, können wir nicht alle bestrafen", sagt er.

Eine ähnliche Erfahrung wie der KSC macht gerade Eintracht Frankfurt. Nachdem beim Spiel in Karlsruhe Raketen aus dem Frankfurter Block abgefeuert wurden, griff der Klub hart durch. Als Konsequenz verweigerten die beleidigten Fans gegen Schalke ihre Unterstützung. Die Ultras lassen ihre Macht spielen. 190.000 Euro musste die Eintracht seit 2002 an Strafen wegen der Vergehen ihrer Fans bezahlen, der KSC seit November 2006 insgesamt 61.000 Euro. Dohmen und sein Frankfurter Kollege Bruchhagen fordern eine "Selbstreinigung" in den Kurven, doch dort herrscht eine Omertà wie bei der Mafia. "Das Schlimmste in der Szene ist es, einen zu verpfeifen", sagt Körenzig.

Was es heißt, Namen zu nennen, weiß ein ehemaliger Fanbetreuer eines Ruhrgebietklubs: Er hatte bei der WM 1998 in Frankreich der Polizei die Namen von Hooligans genannt, die den französischen Polizisten Daniel Nivel fast zu Tode prügelten; Nivel ist heute ein schwer gezeichneter Invalide. Der Fanbetreuer musste mit seiner Familie den Wohnort wechseln und kam ins Zeugenschutzprogramm.

Auch Körenzig kennt diesen Gewissenskonflikt. Nach dem Pokal-Aus gegen Wehen wurde ein Ordner von einem Gegenstand am Auge so schwer getroffen, dass er demnächst wohl erneut operiert werden muss. Sieben Personen wurden festgenommen, einer davon soll der Täter sein, es wird bald zu einer Verhandlung kommen. Gestehen will er nicht, die anderen wollen ihn nicht verraten. Der Ehrenkodex der Szene ist stärker.

Andererseits: Zur Verbesserung der Situation könnten auch die Profis beitragen. Als der KSC 2007 aufgestiegen war, riefen Spieler vom Rathausbalkon "Stuttgarter Arschlöcher" in die Menge.

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