Süddeutsche Zeitung

Polizei und Fußball-Fans:Umstrittene Fan-Datenbank aufgedeckt

Lesezeit: 3 min

Das Bayerische Landeskriminalamt hat im Verborgenen Informationen über Fußball-Fans gesammelt. Juristen sehen davon Grundrechte verletzt, das Verhältnis zwischen Fans und Polizei ist angespannt.

Von Thomas Gröbner, München

Es war der junge Boris Becker, der in einem Werbespot gefragt hat: "Bin ich schon drin, oder was?" Damals, kurz vor der Jahrtausendwende, ging es um Bits und Bytes, Becker und ein Internetanschluss waren damals eine angesagte Sache, auch die Dienststuben der Polizei wurden langsam angeschlossen. In diesen Tagen werden sich viele Fußballfans in Bayern diese Frage auch stellen: "Bin ich schon drin, oder was?"

Das Bayerische Landeskriminalamt hat offenbar im Verborgenen seit Januar 2020 eine umfangreiche Datenbank über Fußballfans geführt, das hat eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag ergeben, wie der kicker berichtete. 1644 Personen waren zum Stand 15. Juni 2021 dort hinterlegt, wie ausgeprägt die Akribie der Beamten war, wie umfassend die Informationen sind, das ist schwer abzuschätzen. Und weil so ein kompliziertes, schwer greifbares Ding immer eine griffige Abkürzung braucht, heißt die Datenbank: "EASy Gewalttäter Sport".

Dass die Datenbank nun ins Licht der Öffentlichkeit kam, liegt an der Beharrlichkeit eines einzelnen Fans, der bei der Polizei Auskunft eingeholt, nachgehakt und dann das Schlagwort "EASy" erhalten habe, so erklärt es das Büro von Grünen-Politiker Max Deisenhofer.

Die Bezeichnung "EASy" steht für "Ermittlungs- und Analyseunterstützendes EDV-System". Dem Namen nach könnte man auch auf die Idee kommen, sie stehe womöglich dafür, wie leicht es ist, in der bayerischen Datenbank der Gewalttäter Sport zu landen. Denn das halten Kritiker für problematisch: Die Aufnahme in die Datei erfolgt "nicht auf Basis eines einzelnen relevanten Sachverhalts, sondern auf Grundlage einer sogenannten Individualprognose", heißt es in der Antwort der Bayerischen Staatsregierung auf die Anfrage der Grünen-Politiker Deisenhofer und Katharina Schulze.

Die gesammelten Daten werden dazu eingesetzt, Prognosen zu erstellen zur "vorbeugenden Bekämpfung bzw. Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten", erklärt die Staatsregierung. Kritiker sehen es als problematisch, wenn die Aufnahme in die Datei ebenfalls auf Prognosen basiert.

Kritiker fürchten die Vermessung der Szene im großen Stil

Fan-Projekte befürchten, dass Daten auf Verdacht eingesammelt, Beziehungen untereinander kartografiert und Fotos gesammelt werden. Kurz: Die Vermessung der Szene im großen Stil. Besonders viele Stadiongänger wurden beim 1. FC Nürnberg hinterlegt, 556 an der Zahl. Äußern wollte sich der Verein auf Anfrage bislang nicht.

Es ist die Pflicht des Staates, genau hinzuschauen, besonders auch in den Kurven der Stadien. Doch die Frage ist: wie genau? Und aus welchem Anlass? Der Vorwurf, der aus der Fan-Szene kommt: pauschale Kriminalisierung. Juristen sehen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, so schreibt es die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, der Münchner Anwalt Marc Noli sieht einen "erheblichen Eingriff" in die verfassungsmäßigen Rechte, weil die Erhebung systematisch erfolgt und ohne Wissen der Personen. Für solche Eingriffe müssten eine hohe Hürde und strenge Voraussetzungen existieren, um sie zu rechtfertigen, sagt Noli. Doch klare Regeln dafür seien nicht bekannt, das ließe den Beamten fast freie Hand, sagt Noli.

Vielleicht ist es so zu erklären, dass in der bekannten bundesweiten "Datei Gewalttäter Sport" (DGS) nur 500 Personen aus Bayern erfasst sind - und in der Datenbank des bayerischen LKA die dreifache Anzahl.

"Es ist leicht reinzukommen, und schwer wieder raus": So sieht es Thomas Emmes vom AWO-Fanprojekt München, der die Anhänger des FC Bayern München betreut. Denn die Voraussetzung für eine Löschung aus der Datei vor Ablauf der Frist von längstens zehn Jahren ist kompliziert: Die Beweislast ist umgekehrt, man muss selbst eindeutig beweisen, dass man unschuldig ist. Und das ist - ohne einen strafrechtlichen Anlass und ohne Kenntnis der Speicherung - schwierig.

Seit die Datenbanken nicht mehr in Rollcontainern in Amtsstuben stehen, sondern durch die Digitalisierung vernetzt sind, haben solche Einträge womöglich über den Stadionbesuch hinaus Effekte. Es gebe "Einzelfallübermittlung" der Daten an andere Stellen und Behörden, ergab die parlamentarische Anfrage. So könnten beispielsweise bei Reisen ins Ausland solche Datenbanken angezapft werden.

Die Fan-Hilfe in Fürth spricht von "Generalverdacht"

Die Causa belastet das ohnehin oft komplexe Verhältnis zwischen Ordnungskräften und Fans weiter. Ein "großes Misstrauen" gebe es der Polizei gegenüber unter den Fans, sagt Emmes. Denn die Scheu sei groß, überhaupt anzufragen, ob der Name im Datensatz auftauche. Nach dem Motto: Traue ich mir zu, drin zu sein, dann könnte das ja gleich der Anlass sein, tatsächlich in der Datei zu landen.

Anders handhaben es die Kollegen in Fürth. Dort ruft die Fan-Hilfe alle Anhänger auf, ein Auskunftsersuchen zu stellen. Sie sehen die "Datensammelwut" der bayrischen Behörden auf einem neuen Level angekommen und den Fußballfan unter "Generalverdacht".

Dass solche Datenbanken existieren, ist ein offenes Geheimnis. Zwischen 2015 und 2016 wurden in zehn Bundesländern meist durch parlamentarische Anfragen Dateien Szenekundiger Beamter (SKB) aufgedeckt, in Bayern existierten damals vier lokal verankerte Datenbanken.

Dass es anders geht, zeigt das Beispiel Rheinland-Pfalz. Dort wurde 2015 eine Datenbank öffentlich, Szenekundige Beamte hatten dort vor allem über Fans des 1. FC Kaiserlautern Informationen gesammelt. Nun versuchen die Behörden einen Test: Seit April sollen keine Kontakt- und Begleitpersonen der vermeintlich gewalttätigen Fans gespeichert werden, künftig sollen Personen darüber informiert werden, wenn ihre Daten gespeichert werden. Und alle zwölf Monate wird die Speicherung der Fans von der Polizei überprüft. Ein Schritt aufeinander zu.

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