Fußball: Fan-Randale:Grenzgänger aus den Kurven

In den Gruppen der Stadionbesucher, die sich unter dem Begriff "Ultras" sammeln, nimmt die Gewaltbereitschaft zu. Selbst Fanprojekte gehen auf Distanz.

Christoph Ruf

Mitte der ersten Halbzeit wurde in der Südkurve der Münchner Arena ein Transparent hochgehalten, wie man es in deutschen Fankurven oft liest: "Gegen Bannmeilen für Kutten, Hools und Ultras." Eine Forderung, die fortan viel diskutiert werden wird. Denn eineinhalb Stunden zuvor hatten sich am Samstag im Berliner Olympiastadion Szenen abgespielt, die den Druck auf die Ultraszene bundesweit verschärfen dürften.

Spieler, Funktionäre und Ordner hatten nach Abpfiff panisch in die Katakomben fliehen müssen, weil ein mit Stangen bewaffneter Mob das Spielfeld stürmte. Ein Vorfall, der die Forderung, ähnliche Szenen künftig mit allen Mitteln zu verhindern, verschärfen wird. Zumal der Gewaltexzess aus der Hauptstadt negativer Höhepunkt einer Eskalation ist, die Funktionäre wie Fanaktivisten erschreckt.

Es ist noch nicht lange her, da grenzten sich jene, die sich unter dem Begriff "Ultras" versammeln, von jedweder Gewalt ab. Inzwischen hat sich das grundlegend geändert. Zwar ist das Gros der deutschen Ultras nach wie vor friedlich, doch die zunehmende Gewalt an Spieltagen geht fast nur auf das Konto dieser Szene. Spätestens Ende der neunziger Jahre haben die Ultras in fast allen deutschen Stadien die Regie in den Kurven übernommen. Man entwarf eigene Fanartikel, bastelte Choreographien für den Spieltag und dichtete Lieder. Noch heute wirkt die Szene so attraktiv, dass sich viele junge Fans nach dem ersten Stadionbesuch den Ultras anschließen.

Langjährige Dauerkartenbesitzer hingegen wunderten sich schon damals, dass viele der angeblich kompromisslosesten Fans des Vereins nach Abpfiff nicht viel übers Spielgeschehen berichten können, weil sie beim Fußball der Fußball weniger interessiert als das Geschehen in den Kurven. Die Ultra-Kultur unterscheidet sich eben fundamental von althergebrachten Gepflogenheiten in der Kurve. Und das auch positiv: Viele Ultragruppierungen sprechen sich deutlich gegen minderheitenfeindliche Slogans aus, in vielen Kurven geht es ziviler zu als noch vor einem Jahrzehnt.

Dennoch: Die Zeiten, in denen Ultras vor allem positiv wahrgenommen wurden, sind vorbei. Dass gegnerischen Anhängern die Schals gewaltsam abgenommen werden, ist zum Ritual geworden. Immer öfter werden Züge überfallen, in denen gegnerische Gruppen zu den Spielen reisen. Ende November verabredeten sich Dortmunder und Schalker Ultras, um sich beim A-Jugend-Derby zu prügeln - das Spiel wurde abgebrochen. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit duellierten sich im Januar in Nürnberg 50 Frankfurter Ultras mit ihren Kontrahenten - mitten in einem Bundesligastadion. Eintracht-Manager Heribert Bruchhagen zeigte sich entsetzt: "In Gesprächen gebärden die sich als gebildete junge Menschen, und danach machen sie wieder was sie wollen."

Die Darstellung der Ultras ist eine andere. Für sie hat die Polizei die Verrohung der Sitten herbeigeführt. Vereinzelte Gewaltexzesse durch Spezialeinheiten - am Rande des DFB-Pokalspiels beim FC Bayern wurden friedliche Anhänger von Greuther Fürth verletzt - bestärken die Ultras in ihrer Wahrnehmung. Tatsächlich tendiert die Aufklärungsquote bei internen Ermittlungen der Polizei gegen Null; der Corpsgeist scheint dort genau so stark ausgeprägt zu sein wie bei den Ultras, die sich nie von einem Mitglied öffentlich distanzieren würden.

Ende Februar überfielen Frankfurter Ultras das Karlsruher Fanprojekt, es gab mehrere Verletzte. Die "Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte" (BAG) warnte daraufhin ungewohnt deutlich vor einer weiteren Eskalation: "Ganze Gruppen, bzw. ganze Ultraszenen sind dazu bereit, Grenzen zu überschreiten", heißt es. Die BAG, die sich bislang auch als Ansprechpartner für die Ultras begriff, will dennoch klären, ob auf der anderen Seite noch Dialogbereitschaft besteht.

Viele Vereinsvertreter halten diese Frage für beantwortet. Nachdem Nürnberger Ultras beim Auswärtsspiel in Bochum Magnesiumpulver entzündeten - durch die bis zu 3000 Grad heiße Substanz verletzten sich neun Ultras (drei davon schwer) -, war die Geduld von Manager Andreas Bader erschöpft. "Alle Zuschauer müssen unsere Spiele sicher verfolgen können. Wir werden alles tun, um das zu gewährleisten", sagt er. Wer den FCN zu Auswärtsspielen begleiten will, bekommt die Tickets künftig nur noch gegen Vorlage des Personalausweises, ein Eingriff in den Datenschutz, der auch die Fan-Szene spaltet. Jüngst, beim 3:2 gegen Leverkusen, hatten Nürnberger Fans gegenüber der Ultra-Kurve ein Transparent angebracht: "Ihr seid nur Brandstifter, keine Club-Fans."

Im Video: Bei Gruppen der Stadionbesucher, die sich unter dem Begriff "Ultras" sammeln, nimmt die Gewaltbereitschaft zu. Stimmen dazu unter anderem von Michael Preetz.

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