Süddeutsche Zeitung

Europa League:Union spielt nicht wie Union

Das fünfte sieglose Spiel in Serie bedeutet das Ende der Europa-Reise, zu tiefer Enttäuschung sehen sich die Köpenicker aber nicht veranlasst. Das spannende Siegerteam von Saint-Gilloise trifft im Viertelfinale auf Bayer Leverkusen.

Von Javier Cáceres, Brüssel

Vor ein paar Wochen staunte Urs Fischer, der Trainer von Union Berlin, dass alles, was seiner Mannschaft im Moment widerfahre und gelinge, "fast ein bisschen surreal" sei. Es war ein Staunen über eine erstaunliche Kombination: über einen Hauch von Meistertitelkampf in der Bundesliga, den Viertelfinaleinzug im DFB-Pokal, die Qualifikation fürs Achtelfinale der Europa League- und die Euphorie im Umfeld, die einen vermeintlich grenzenlosen Horizont auftauchen ließ.

Am Donnerstagabend war Fischers Team dienstlich unterwegs in Brüssel, jener Stadt, in der einer der größten Surrealisten der Geschichte begraben liegt, René Magritte. Ausgerechnet dort reihte Union Berlin jedoch das fünfte sieglose Spiel seit dem 0:3 beim FC Bayern aneinander. Die Köpenicker beendeten ihre Europa-Expedition durch ein glattes 0:3 (0:1) bei Royal Union Saint-Gilloise, das im Viertelfinale nun auf den nächsten Bundesligisten trifft: Bayer Leverkusen, einziger deutscher Klub in der Runde der letzten Acht, wird am 13. und 20. April die Viertelfinals gegen den Außenseiter aus Belgien bestreiten.

Doch wer wollte Unions Niederlage schon als Rückkehr in die Realität brandmarken, als das Ende absurd anmutender Träume? Jedenfalls nicht die Unioner selbst. "Am Ende bleibt alles positiv. Es ist nicht so, dass ich jetzt eine Mannschaft vorfinde, die am Boden liegt", berichtete Kapitän Christopher Trimmel, 36, und lächelte. Hätte ihn Magritte gemalt, hieße das Bild: "Ceci n´est pas une crise." - Das ist keine Krise! Was aber auch nicht heißt, dass der Himmel über den Köpenickern so magisch blau ist wie im "Reich der Lichter" des 1967 verstorbenen belgischen Meisters.

Saint-Gilloise ist die einzige Mannschaft, die seit Februar 2022 in der Alten Försterei gewinnen konnte

Als er in der Nachspielzeit das dritte Gegentor kassiert hatte, mokierte sich Unions Torwart Frederik Rönnow lautstark über den Kollegen Jamie Leweling, der nicht die richtige Gegenwehr gezeigt hatte, ehe Loïc Lapoussin den Ball in den Winkel setzte. Später, als er in der Mixed Zone gegen die Gesänge der belgischen Fans anbrüllte, fand Trimmel deutliche Worte: "Wir sind heute nicht so als Mannschaft aufgetreten". Das bedeutete im Grunde das gleiche, was Mittelfeldstratege Rani Khedira und Trainer Fischer unisono zu Protokoll gaben: dass Union "nicht Union-like" agiert habe.

Urs Fischer haderte vor allem deshalb, weil sein Team schon im Hinspiel oft konzeptionell falsche Entscheidungen getroffen habe. Er erläuterte das anhand des Fehlers, der in Brüssel in der 18. Minute zum 0:1 geführt hatte. Abwehrchef Robin Knoche spielte am Strafraum zu Diogo Leite, der aber vor der Ballannahme damit beschäftigt war, sich zu orientieren; einen Wimpernschlag später lag der Ball im Netz, weil Simon Adringa dazwischen sprintete und auf Teddy Teuma ablegte.

"Wieso spielst du den Ball nicht aus der Gefahrenzone weg und gehst auf den zweiten Ball? Wir suchen unter Druck nach einer spielerischen Lösung, das ist nicht Union-like", ereiferte sich Fischer. "Sie sind mit unserem Druck und unserem Speed nicht zurechtgekommen", sagte Saint-Gilloise-Trainer Karel Geraerts, der den Ansatz der Berliner mit großen Worten gerühmt hatte. Und der selbst ein sehr interessantes Ensemble anleitet.

Union Saint-Gilloise ist die einzige Mannschaft, die seit Februar 2022 in der Alten Försterei gewinnen konnte. In ihrer Intensität und defensiven Stabilität ähnelt sie ihren Namensvettern aus Köpenick durchaus. Vor allem aber haben die Belgier ein paar Fußballer, deren Namen man sich merken sollte. Dazu gehören der erwähnte Spielmacher Teuma, der offenbar gewillt ist, Rudi Völlers geflügeltes Wort von den "Malta-Füßen" auf den Scheiterhaufen der Geschichte zu verbannen (er wurde in Frankreich geboren, spielt aber für das Nationalteam der Mittelmeerinsel); oder der imposante Stürmer Victor Boniface, der den Bossen von Borussia Dortmund einen Anruf einbringen dürfte. Auf der Tribüne staunten die Ex-BVB-Profis Karlheinz Riedle und Steffen Freund darüber, dass Boniface nicht längst bei einem Klub vom Schalge Dortmunds ist - nicht nur wegen der brillanten Szene vor dem 2:0: Da narrte Boniface Bewacher Danilho Doekhi mit vier Übersteigern im Strafraum - Lazare Amani jagte den Ball danach aus kurzer Distanz ins Netz (63.).

Trotz der Enttäuschung "über die Art und Weise, wie wir verloren haben", betonte Union-Trainer Fischer, dass man stolz sein dürfe. Wenn man sich das ganze Gemälde der laufenden Saison und der vergangenen Jahre anschaue, dann halte sich der Ärger über das Aus in Grenzen, sagte am Freitag auch Union-Manager Oliver Ruhnert: "Wir sind in einem Lernprozess, in dem wir aus allem etwas mitnehmen. Unsere stetige Entwicklung geht weiter."

Bei Union hoffen sie, dass die nahende Pause die mentale Frische wiederbringt, die in den vergangenen Wochen ein wenig abhandenkam. Doch vorher empfängt Union noch Eintracht Frankfurt (Sonntag, 15.30 Uhr), einen direkten Liga-Rivalen im noch immer surreal anmutenden Kampf um Europapokalplätze.

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