Daniel Farke in England:Gegen den Jo-Jo-Effekt

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Hoch, runter, hoch: Trainer Daniel Farke (rechts) feiert mit Norwich City zum zweiten Mal den Aufstieg in die Premier League.

(Foto: Joe Giddens/PA/Imago)

Aufstieg, Abstieg, Aufstieg: Daniel Farke hat Norwich City wieder in die Premier League gecoacht. Diesmal will der mittlerweile sehr gefragte Trainer aus Ostwestfalen den Fahrstuhl-Klub im Oberhaus etablieren.

Von Sven Haist, London

Hoch und runter, immer wieder hoch und runter ging es in den vergangenen 50 Jahren für den Norwich City Football Club. Das achtmalige Hin- und Herpendeln zwischen erster und zweiter Liga bescherte dem Verein einen wenig schmeichelhaften Beinamen: "Perennial yo-yo club" - ewiger Jo-Jo-Klub, angelehnt an das Spielzeug, das fortlaufend an einem Faden hoch und runter saust.

Nach dem Auf- und Wiederabstieg in den beiden Vorjahren ist Norwich City soeben zum neunten Mal in Englands höchste Spielklasse, die Premier League, zurückgekehrt - als feststehender Meister der "Championship" (zweite Liga). Auch der Tabellenzweite FC Watford hat schon vor dem letzten Spieltag an diesem Wochenende den Aufstieg sicher.

Die Zeitung The Times glaubt, dass sich Norwich "dieses Mal" in der Premier League etablieren könne. Der Grund für den Optimismus ist der deutsche Trainer. Denn Daniel Farke, laut Norwich Evening News der "coolste Mann im Fußball", weil er stets die Nerven bewahre, wird mehr als jedem anderen zugetraut, das Jo-Jo mit ruhiger Hand endlich auszuschwingen. "Wir befinden uns in einer komfortableren Situation als vor zwei Jahren", betont Farke, 44, am Telefon. In der Abstiegssaison 2019/20 hätte man "ein Wunder" benötigt für den Klassenverbleib in der Premier League - das sei nächste Saison nicht unbedingt notwendig, aber weiterhin natürlich "viel harte Arbeit".

Durch den nunmehr zweimaligen Aufstieg mit Norwich ist auch Daniel Farke selbst aufgestiegen - in den Kreis der stark nachgefragten Trainer in Deutschland und England. Innerhalb von vier Jahren gelang ihm dies, im Sommer 2017 war er nach Trainerämtern beim SV Lippstadt 08 und bei Borussia Dortmund II umgesiedelt in die englische Domstadt, zwei Autostunden nordöstlich Londons.

Mit seinem kongenialen Partner, dem drei Monate vor ihm nach Norwich geholten Sportdirektor Stuart Webber, veränderte Farke das große Ganze des Vereins. Zu Beginn plagte Norwich wieder mal eine existenzbedrohende Finanznot, die sich erst linderte, als 2018 der beste Spieler, James Maddison, für 25 Millionen Euro zu Leicester City wechselte. Aus einer Reihe unbekannter Profis entwickelte der Ostwestfale Farke eine Mannschaft, die die zermürbende Championship im Sturm bewältigte - und die Klubführung nach dem Aufstieg 2019 vor eine wegweisende Entscheidung stellte: Was tun mit den unverhofften Millionen-Einnahmen aus der Premier League?

Im Buch "The Infinite Game" unterscheidet der Führungsstratege Simon Sinek zwischen endlichen ("finite") und unendlichen ("infinite") Wettbewerben. Bei endlichen Spielen, zu denen eine Fußballsaison zählt, gibt es das Ziel des puren Gewinnens. In einem unendlichen Spiel, wie dem auf unbestimmte Zeit angelegten Profifußball, geht es hingegen darum, sich so lange wie möglich im Rennen zu halten.

Genau dieses "lange Spiel", schrieb die Financial Times, spiele Norwich City, um "mit den superreichen Rivalen" konkurrieren zu können. Als einer der wenigen sich selbst tragenden Profiklubs auf der Insel ("self-funding") muss Norwich ohne monetäre Zuwendungen seines Eigentümer-Ehepaars Delia Smith (79, Fernsehköchin) und Michael Wynn-Jones (80, Verleger) auskommen.

Statt mit kostspieligen Verstärkungen die Wahrscheinlichkeit des Klassenerhalts zu erhöhen, zog es Norwich deshalb vor, mit den Premier-League-Erlösen die Altlasten abzubauen, das Trainingsgelände zu renovieren und ins Stadion an der Carrow Road zu investieren. Das Resultat war allerdings die schlechteste Saison in 119 Jahren, trotz vorzeigbarer Leistungen gab es für Farkes Elf im Oberhaus mehr Niederlagen (27) als erzielte Tore (26).

Norwich habe den Premier-League-Abstieg "sehenden Auges" in Kauf genommen, erzählt der Coach, um den Klub für die nächsten Jahrzehnte "gesund" aufzustellen. "Diese Entscheidung mitzutragen und dann wieder in die Championship mitzugehen", gibt Farke zu, sei für ihn vor einem Jahr "nicht einfach" gewesen: "Mir haben 99 Prozent der Menschen in diesem Geschäft geraten: 'Bleib in der Premier League!' Aber ich war der Überzeugung, dass der Weg des Klubs goldrichtig war und ich nicht zu selbstsüchtig an meine Karriere denken durfte." Hinzu kam der Glaube an die eigene Stärke. "Bei aller Bescheidenheit", sagt Farke: "Ich habe mir einen Wiederaufstieg mehr zugetraut als einem neuen Trainer."

Pep Guardiola bringt Wertschätzung für den Fußball von Norwich zum Ausdruck.

In der Vorbereitung auf die nun zu Ende gehende Zweitliga-Saison musste Farke die Mentalität des zuvor an Niederlagen gewöhnten Teams verändern. Und es galt den Abschied der Abwehrtalente Ben Godfrey (27,5 Mio/Everton) und Jamal Lewis (16,5 Mio/Newcastle) zu verkraften, wodurch sich der Transferüberschuss in Farkes Amtszeit auf satte 80 Millionen Euro erhöhte.

Teemu Pukki schießt die Tore

Zudem war lange unklar gewesen, ob die wechselwilligen Offensivspieler Todd Cantwell und Emiliano Buendía gehalten werden können. In einer Saison nach einem Abstieg sei vor allem Führungsstärke gefragt, findet Farke: "Wenn ich mir und den Spielern erlaubt hätte, nur ein Prozent weniger fokussiert zu sein, hätten wir keine Chance gehabt."

Aufgrund des strammen Spielplans mit 46 Ligaspielen in acht Monaten setzte Farke vermehrt auf Stabilität und Ballsicherheit. Die Erfolgsformel: weniger Tore, dafür aber auch weniger Gegentore. Neben dem finnischen Torjäger Teemu Pukki (früher Schalke), der inzwischen 67 Treffer in 126 Partien für Norwich erzielt hat, trumpften Rechtsverteidiger Max Aarons und der aus Tottenham geliehene Mittelfeldprofi Oliver Skipp auf - sowie Buendía mit den meisten Torbeteiligungen (14 Treffer, 17 Vorlagen). Ein Aufstieg sei "immer ein stolzer Moment", sagt Farke - "besonders in dieser Saison", weil der Erfolg nicht absehbar gewesen sei.

Den Ritterschlag erhielt Farke im Februar, als Manchester Citys Startrainer Pep Guardiola erklärte, dass er Norwich "gerne" beim Fußballspielen zusehe. Farkes Reaktion: Jetzt, da Guardiola dies öffentlich gesagt habe, könne man verraten, dass sie "ein sehr enges Verhältnis" haben und "regelmäßig im Austausch" stehen: "Pep ist einer derjenigen, die verwundert waren, dass ich mit Norwich nochmals in die Championship gegangen bin. Inzwischen versteht er die Entscheidung und wertschätzt sie."

Darüber hinaus lehnt es Farke allerdings ab, über Beziehungen zu Top-Trainern zu sprechen, weil er es "befremdlich" fände, sich damit zu brüsten. Wer sein Vorbild ist? Auf diesem Niveau habe man eher wenige, sagt Farke: "Wenn ich einen Trainer nennen muss, an dem ich mich orientiere, weil ich überlege, wie er wohl in meiner Situation handeln würde - dann ist es Ottmar Hitzfeld. Ein Gentleman mit Klasse und Stil. Ich halte ihn für den besten Trainer des FC Bayern."

Wie bei Sportchef Webber läuft im Juni 2022 auch Farkes Vertrag bei Norwich aus. Webbers Zukunft sei "ein wesentliches Puzzleteil" für seine eigene Entscheidung, betont Farke. Bislang hat der Trainer bei all seinen Stationen die vertraglichen Vereinbarungen erfüllt. Wegen der Erfolge dürfte außer Frage stehen, dass Norwich mit Farke verlängern will - aber ob der Erfolgscoach das auch will? "Wahrscheinlich wird eines Tages der Punkt kommen, an dem ich etwas anderes mache", kündigt er an, "aber momentan bin ich sehr zufrieden und glücklich in Norwich. Die Zusammenarbeit basiert auf viel Vertrauen und Wertschätzung."

Im Urlaub will Farke "zur Ruhe" kommen und sich "Gedanken" machen, ehe Gespräche mit dem Verein stattfinden. "Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass es unüblich wäre, mit einem auslaufenden Vertrag in die Saison zu gehen", sagt Farke. Noch dazu in eine Saison, in der er den Jo-Jo-Effekt stoppen soll.

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