Fußball-EM:Wie Englands Fußball auf den Brexit reagiert

Harry Kane

Sprachlos, oder vielmehr verstummt wie der Rest im englischen Team: Harry Kane.

(Foto: AP)

Merkwürdig still verhalten sich die englischen Nationalspieler nach der Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen. Nur der frühere Nationalstürmer Gary Lineker wird deutlich.

Von Javier Cáceres, Chantilly

Das Gelände des Château Les Fontaines in Chantilly ist eine Idylle. Der Baron Rothschild hatte das Château einst errichten lassen, rund 50 Kilometer vom Stadtzentrum von Paris entfernt, von seinem persönlichen Architekten Félix Langlais. Dem Schloss gegenüber ist jetzt ein Tagungszentrum untergebracht; während der EM dient es der englischen Football Association FA als Medienzentrum.

An den spielfreien Tagen werden die Akteure der Three Lions vom nahe gelegenen Luxushotel Auberge du Jeu de Paume dorthin zur Pressekonferenz gefahren. "Welcome": Der Willkommensgruß der FA ist in allen Sprachen der 24 EM-Teilnehmer angebracht, an diesem Freitag fällt das besonders auf. Denn es ist der Tag des Brexit.

Auf allen Bildschirmen, auf denen normalerweise Fußball- und Sportnachrichten laufen, sind an dem Tag, da die Briten sich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden haben, die Nachrichtensender eingeschaltet. Die Pressekonferenz der schottischen Ministerpräsidentin wird übertragen, das Statement von Donald Trump, Angela Merkels Auftritt im Kanzleramt.

Bis Harry Kane, der Stürmer des englischen Premier-League-Klubs Tottenham Hotspur, um 14 Uhr in einem Kleintransporter vorgefahren wird, das Podium betritt und sagt: "Hello everyone!" Tagelang hatten die Engländer die Politik auszublenden versucht, das Referendum bei ihren Auftritten vor der Presse ausgespart. Doch an Kane, 22, geht der Kelch nicht vorüber, auch wenn es einige Zeit dauert, ehe die Rede auf das Thema kommt.

Fünf, sechs Fragen werden an Kane gerichtet, sie drehen sich um das Achtel- finalspiel gegen Island am Montag, um seine Form, seine Fitness ("Ich bin zu 100 Prozent frisch"), seine Chancen auf einen Einsatz, nachdem er bei dieser EM im dritten Gruppenspiel auf der Bank sitzen musste, weil er in den ersten beiden Spielen enttäuscht hatte. Erst dann wird Kane gefragt, was er vom Brexit halte. Das Interessanteste, was von Kane zu der Entscheidung zu erfahren ist: dass in seiner Herberge auch ein Fernseher steht (was bei einem Tarif von 500 Pfund pro Nacht allerdings zu erwarten war).

"Verdammte Scheiße!", twittert Gary Lineker

Um acht Uhr am Freitagmorgen, so erzählt Kane, habe er das Gerät angeschaltet und die Nachrichten geschaut. "Es ist schwierig, das nicht mitzubekommen", räumt er ein. Eine Meinung zum Brexit habe er aber nicht: "Ich weiß darüber zu wenig." Auch den Kollegen ergehe es so, behauptet Kane, man habe nicht wirklich viel über das Thema geredet, "wir wissen alle zu wenig darüber". Nicht mal als einer eine Brücke in Kanes Welt baut und fragt, ob nun die Chancen für junge, britische Spieler größer würden, weil von den Klubs weniger Ausländer unter Vertrag genommen werden, antwortet Kane nur: "Darüber habe ich noch nicht allzu viel nachgedacht."

Das war dann doch weit entfernt von den Emotionen, die andernorts im Sportkosmos aufquollen. "Verdammte Scheiße!", twitterte der frühere englische Nationalstürmer Gary Lineker, der am Vorabend der Entscheidung noch gehofft hatte, das Referendum könne durch ein Elfmeterschießen gelöst werden: "Können wir dann ein paar Deutsche einwechseln?" Und der italienische Nationalspieler Giorgio Chiellini sagte laut dpa in Montpellier, dass die Nachricht vom Brexit "heute Morgen alle etwas schockiert hat". Die größte Sorge Chiellinis sei der "Domino-Effekt, den diese Entscheidung auslösen könnte".

FA-Präsident Dyke warnt vor Konsequenzen

Die Premier League äußerte sich in einer Stellungnahme zurückhaltend. Sie verwies darauf, aktuell "überaus erfolgreich" zu sein und sowohl national wie international eine hohe Anziehungskraft auszuüben. Dies werde, so die Einschätzung, "unabhängig vom Ergebnis des Referendums" so bleiben. Liga-Chef Richard Scudamore hatte sich zuvor klar auf die Seite der Partei gestellt, die einen Verbleib in der EU befürwortete.

FA-Präsident Greg Dyke räumte ein, "es könnte einen ziemlichen Einfluss auf den englischen Fußball wegen des Brexit geben". Er verwies aber darauf, dass dieser aus seiner Sicht durchaus auch positive Seiten haben könnte: "Wenn sich die Zahl der englischen Spieler vergrößert, ist das sehr willkommen."

Bei der Europameisterschaft geht es für die Engländer um den ersten Sieg in einer K.o.-Runde seit 2006. Damals siegten sie bei der WM in Deutschland im Achtelfinale 1:0 gegen Ecuador.

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