Fußball-EM:Verflixter Handelfmeter - Deutschland scheidet aus

EURO 2016 - Semi final Germany vs France

Der Handelfmeter - Antoine Griezmann läuft an und trifft.

(Foto: dpa)

Lange Zeit dominiert die DFB-Elf das EM-Halbfinale gegen Frankreich - dann bringt mal wieder ein Strafstoß die Wende. Die Franzosen stehen glücklich im Finale.

Von Claudio Catuogno, Marseille

Am Ende gerinnt so ein Turnier zu wenigen Bildern. Und womöglich wird diese Fußball-EM in Frankreich aus deutscher Sicht einmal als Handball-EM in Erinnerung bleiben. Die Bilder dazu: Jérôme Boateng, wie er im Viertelfinale gegen Italien die Hand zum Ball führt, als wolle er einem Flugzeug seine Parkposition zuweisen. Die Szene war der Ausgangspunkt des folgenden Dramas. Und nun: Bastian Schweinsteiger, wie er im Halbfinale gegen Frankreich die Hand zum Ball führt, als wolle er nur noch kurz im obersten Regal staubwischen.

Der Kapitän geht mit der Hand zum Ball, einen Sekundenbruchteil zu lang. Da läuft schon die Nachspielzeit der ersten Halbzeit im Halbfinale von Marseille gegen den EM-Gastgeber. Strafstoß für Frankreich. Antoine Griezmann verlädt Manuel Neuer; und in der 72. Minute trifft Griezmann dann erneut. 2:0 (1:0) also - die Deutschen sind raus aus diesem Turnier, bei dem sie ihre ersten beiden Gegentore durch Handelfmeter bekommen haben.

Das heißt auch: Der Gastgeber ist im Finale. Am Sonntag (21 Uhr) treffen die Franzosen im Stade de France von Saint-Denis auf Portugal.

Löw probiert es mit Emre Can

Frankreich gegen Deutschland, das wäre nicht nur auch ein würdiges Endspiel gewesen, es war auch nicht nur das Kräftemessen der bisher überzeugendsten Mannschaften. Es war auch das erste Wiedersehen der beiden Teams seit dem 13. November 2015, jener blutigen Pariser Terror-Nacht, die Franzosen und Deutsche gemeinsam in den Katakomben des Stade de France ausharren mussten. Das war nun aber weit weg. Dieses Mal war Frankreich gegen Deutschland einfach nur ein Fußballspiel. Das ist auch eine Menge wert. Vor allem war es aber ein Fußballspiel, das die Deutschen lange Zeit dominierten wie wenige auf diesem Niveau zuvor.

Dann ging die Hand an den Ball - statt an den Pokal.

Frankreichs Trainer Didier Deschamps hatte sich dafür entschieden, die Welle zu reiten: Er wählte die Aufstellung, in der sich seine Elf in der zweiten Hälfte des Achtelfinales gegen Irland (2:1) und beim 5:2 im Viertelfinale gegen Island sehr wohlgefühlt hatte: mit Griezmann zentral hinter dem Stürmer Olivier Giroud statt auf dem rechten Flügel. Auch wenn das bedeutete, dass Deschamps im Mittelfeld auf N'Golo Kanté verzichten musste, der nach seiner Gelbsperre wieder zur Verfügung stand. Samuel Umtiti, 22, wiederum hatte gegen Island als Innenverteidiger sein erstes Länderspiel gemacht, geprüft wurde er kaum. Trotzdem zog Deschamps ihn nun Adil Rami vor, der mit Laurent Koscielny vier Spiele lang kein Gegentor aus dem Spiel heraus kassiert hatte, ehe auch er Gelb sah. "Weggegangen, Platz vergangen", war quasi Deschamps' Motto.

Joachim Löw hatte damit gerechnet, dass die Franzosen ihre Offensiv-Wucht durchs Zentrum entwickeln würden - mit Giroud und Griezmann und dahinter Paul Pogba. Dass es nicht allen gefällt, wenn sich der Bundestrainer nach dem Gegner richtet, nimmt Löw mit der Gelassenheit eines Dschungelführers hin, der schon jede Schlange eigenhändig erwürgt hat. Löw suchte nach Robustheit - und fand Emre Can. Der hatte zwar noch kein EM-Spiel mitgemacht, erschien Löw angesichts von Sami Khediras Adduktoren-Verletzung allerdings die wuchtigere Alternative zu sein als der Dortmunder Julian Weigl.

Boateng muss verletzt vom Platz

Gegen Deschamps' offensiv ausgerichtete Wohlfühl-Aufstellung setzte Löw also eine von der Defensive her gedachte Wohlfühl-Vermeidungs-Aufstellung, die allerdings darunter litt, dass auch Mario Gomez verletzt und Mats Hummels gesperrt fehlten. Zunächst tat sich die umgebaute DFB-Elf aber genau damit schwer: die Räume zu schließen. Griezmann setzte zum Solo an - seinen Flachschuss fischte Neuer noch aus dem Eck (6.). Die Deutschen versuchten, sich erst mal durch solides Passspiel Sicherheit zu holen, das sah bald sehr gefällig aus - und immer wieder gelang auch der überraschende Pass in die Vertikale.

Kimmich spielte Can frei - dessen Hereingabe schoss Müller neben das Tor (13.); Can kam erneut an den Ball, nun musste Torwart Hugo Lloris schon sein ganzes Können beweisen, um den Ball noch vor der Linie abzulenken (14.). Nun waren die Deutschen erkennbar angekommen im Spiel - Schweinsteiger gewann Bälle, Özil hatte den Blick für freie Räume, nur Müller wirkte wieder unglücklich im Abschluss.

Die Franzosen spielen passiv

Die Franzosen? Ließen die Deutschen machen. Griffen kaum mal richtig an. Und hatten entsprechend wenig Gelegenheiten. Einen Freistoß von Payet hielt Neuer ohne Mühe (25.), und als Giroud alleine aufs Tor zulief, kam im letzten Moment Höwedes angeflogen mit einem Hochrisiko-Tackling (42.). Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Tor fiel, so sehr dominierten die Deutschen die Partie. Und dann fiel auch ein Tor. Für Frankreich.

Die zweite Halbzeit war dann ein wildes, kräftezehrendes Auflehnen gegen das Aus. Boateng musste verletzt vom Platz, für ihn kam Mustafi, Mario Götze, der WM-Finalheld von Rio 2014, ersetzte Can, Leroy Sané kam für Schweinsteiger. Löws Plan war da längst über den Haufen geworfen, die Deutschen mussten ihre Angriffe jetzt auf Kosten der Robustheit vortragen. Ein Ballverlust von Kimmich im Strafraum und eine feine Finte von Pogba waren dann der Ausgangspunkt des französischen Siegtreffers. Neuer konnte Pogbas Hereingabe nur abklatschen, Griezmann nutze das Durcheinander und schoss den Ball ins Tor (72.).

Kroos humpelte, Sané, Kimmich und Götze hatten drei Großchancen, und wenn Müller an den Ball kam, zielte er daneben. Dann war Schluss. Allez les Bleus.

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