Die größte Auffälligkeit bei EM-Titelverteidiger Spanien war bisher die Kader-Nominierung von Trainer Vicente Del Bosque. Super-Dribbler Saul Niguez, der den halben FC Bayern schwindelig gespielt hatte? Muss daheim bleiben. Defensiv-Aufpasser Javi Martinez von eben jenem FC Bayern? Ebenso nicht berufen. Darüber konnte man debattieren und sich fragen: Wie gut müssen die Spanier sein, wenn sie schon solche Leute daheim lassen?
Doch jetzt holt den spanischen Verband eine viel tiefgreifendere Geschichte ein - sie dürfte schon vor Beginn des Turniers für riesige Aufregung sorgen. Nationaltorhüter David de Gea sieht sich mit Vorwürfen im Zusammenhang einer Sex-Party im Jahr 2012 konfrontiert. Der englische Independent vermeldete am Nachmittag schon den Rauswurf des Keepers aus dem spanischen Kader.
Eine offizielle Bestätigung dieses Vorgangs gibt es jedoch nicht. Am Abend marschierte De Gea um kurz vor 19.00 Uhr auf den Trainingsplatz, als sei nichts gewesen. Erst danach wehrte sich der Profi vor den Mikros der Reporter vehement gegen die Anschuldigungen: "Das ist eine Lüge, eine Fälschung - nicht mehr", sagte der Torhüter: "Ich war genauso überrascht wie alle anderen." Die Affäre werde ihn "nur stärker" machen, erklärte er trotzig.
In spanischen Medien ist derweil ausführlichst von den Vorwürfen zu lesen - während der Verband sich erst einmal sortiert. Auf der abendlichen Pressekonferenz in ihrem EM-Quartier, bei der die Spieler Héctor Bellerín und Aritz Aduriz erschienen, hatte Pressefrau Paloma Antoraz zunächst alle Fragen zu dem Thema abgewehrt. Eine Aufklärung soll es bald geben, schließlich beginnt die EM an diesem Abend. Unklar ist unterdessen auch, wer im Fall einer Suspendierung De Geas nachnominiert würde.
Wie das Nachrichtenportal eldiario.es detailliert beschreibt, soll der 25-jährige Keeper vor vier Jahren gemeinsam mit dem zurzeit wegen diverser Delikte angeklagten Porno-Produzenten Ignacio Allende Fernández alias "Torbe" eine Fiesta organisiert haben, auf der es angeblich zu sexuellen Übergriffen gegen zwei Frauen kam. "Torbe" sitzt wegen der Sache in Untersuchungshaft.
Details zur der Angelegenheit gehen aus der polizeilichen Aussage einer geschützten Zeugin im Prozess gegen "Torbe" hervor, die eldiario.es und auch die Sportzeitung Marca am Freitag in Auszügen veröffentlichten. Beschuldigt ist demnach auch De Geas damaliger U21-Nationalmannschaftskollege Iker Muniain vom spanischen Erstligisten Athletic Bilbao. De Gea selbst soll an der Party nicht teilgenommen haben. Er ist bei den Ermittlungen aber die prominenteste Figur. Er ist Spaniens vermeintlich bester Bällefänger.
Die laut Polizei "sehr glaubwürdige" Zeugin sei damals von De Gea und "Torbe" mit viel Geld in eine luxuriöse Hotelsuite in Madrid gelockt worden, wo eine andere Frau und zwei Fußballer - einer von ihnen Muniain - auf sie gewartet hätten. Nachdem sie die sexuellen Wünsche der Spieler nach eigenen Angaben erzwungenermaßen erfüllt hatte, seien die beiden Frauen unter Druck gesetzt worden, über die Vorkommnisse zu schweigen.
Ein solches Vorgehen und seine eigene Kenntnis der Sache streitet De Gea nun ab. "Wer mich gut kennt, der weiß, dass das nicht wahr ist", sagt der gebürtige Madrilene: "Meine Familie ist gelassen - das Ganze ist nun in den Händen meiner Anwälte."
Pikant ist die Debatte aber auch nach sportlichen Gesichtspunkten: Bis zum jetzigen Zeitpunkt war nicht sicher, wer bei den Spaniern am Montag (15 Uhr, Liveticker bei SZ.de) im ersten Gruppenspiel gegen Tschechien im Tor stehen wird - aufgrund der aktuellen Entwicklung ist denkbar, dass sich Coach Del Bosque am Ende für Iker Casillas entscheidet. Der ewige Real-Held spielt seit einiger Zeit beim FC Porto. Im letzten Testspiel gegen Georgien (0:1) agierte noch De Gea als Nummer eins, er war wohl auch als Turnier-Torwart vorgesehen. Für den mittlerweile 35-jährigen Casillas wird es die fünfte EM.
(mit Material des sid)