Mittelfeldlenker Rodri:Spaniens Supercomputer

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Dirigent im spanischen Mittelfeld: Rodri. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Rodrigo Hernández, kurz: Rodri, brauchte lange, um sich im Profifußball zu etablieren. Unter Diego Simeone und Pep Guardiola reifte er zu einem der prägenden Mittelfeldspieler der Gegenwart – er hat gelernt, das Spiel zu verstehen.

Von Javier Cáceres, Donaueschingen

Am Mittwoch saß Spaniens Stürmer Joselu in Donaueschingen vor den Medien, und was von seiner Pressekonferenz übrigblieb, war die Kampfansage an seinen bisherigen Mannschaftskameraden Toni Kroos. Man wolle ihn in die Rente schicken, sagte Joselu. Es ging ein wenig unter, wie freundlich er zuvor über Kroos geredet hatte („es war mir eine Ehre, mit ihm zusammengespielt zu haben“). Noch viel mehr, dass er einem Journalisten ins Wort fiel, der dazu angehoben hatte, vor dem EM-Viertelfinale gegen Deutschland (Freitag, 18 Uhr/ARD) Rodri als den wichtigsten Spieler der spanischen Nationalelf zu rühmen. Wobei: Der Reporter kam gar nicht so weit. Denn kaum, dass er ausgesprochen hatte, dass „Rodri vielleicht der herausragendste Spieler ...“ sei, komplettierte Joselu den Satz entschlossen mit: „… der Welt!“

Man kann über diesen Superlativ womöglich streiten; wer das Ranking der herausragendsten Spieler gerade anführt, ist auch Geschmackssache. Unstrittig ist, dass Rodrigo Hernández, 28, kurz: Rodri, sich in den vergangenen Jahren zu einer der prägendsten Figuren des Fußballs der Gegenwart entwickelt hat. Und zwar beim Premier-League-Serienmeister Manchester City, der 2019 bei Atlético Madrid die festgeschriebene Ablösesumme von 70 Millionen Euro hinterlegte. Bei City, das heißt: unter dem früheren Bayern-Trainer Pep Guardiola, den Rodri soeben wieder ein „Genie“ nannte, und der zu seiner aktiven Zeit selbst ein „Sechser“ wie Rodri gewesen war, wenn gleich von anderem Zuschnitt.

In der Jugend galt er als zu klein – lange her

Beide sind oder waren enorm ballsicher. Hätte es zu Zeiten Guardiolas schon die einschlägigen Statistiken gegeben, so wäre für ihn wohl eine ähnlich hohe Passgenauigkeit ermittelt worden wie nun bei der EM für Rodri: 93,5 Prozent bei 259 Pässen in drei Spielen. Der Unterschied ergibt sich aus der Physis. Guardiola war ein nachgerade schmächtiger Fußballer, Rodri ist das Gegenteil davon. Oder genauer: mittlerweile das Gegenteil davon, denn auch wenn man es sich heutzutage kaum vorstellen kann: Rodri galt lange Zeit als zu klein für den Fußball.

Der Herzensverein des gebürtigen Madrilenen, Atlético Madrid, musterte ihn in der Jugend aus. Rodri trat deshalb die Flucht zum FC Villarreal an, wo er sich bis in die erste Mannschaft hochdiente (und nebenbei an der Universität studierte). Er machte sich in Villarreal so gut, dass Atlético ihn im Sommer 2018 zurückholte. Denn er war längst auf 1,91 Meter angewachsen, ohne ein Jota an fußballerischer Klasse eingebüßt zu haben. Atléticos Trainer Diego Simeone forderte ihn mit Ansage: „Ich weiß, was du in dir hast, und ich werde dir deshalb auf die Eier gehen“, warnte er Rodri zum Arbeitsantritt. Rodri spielte bei Atlético als Teil einer Doppel-Sechs, saugte den Wettbewerbsgeist Simeones auf – und wurde von Manchester City abgeworben.

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Er ist der wichtigste Akteur in Pep Guardiolas Meistermannschaft: Der Spanier Rodri verantwortet bei Manchester City Organisation und Rhythmus. Zuletzt hat er im Februar 2023 ein Pflichtspiel mit seinem Klub verloren - ein Wert für das Guiness-Buch der Rekorde.

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Bei City lernte Rodri neue Abläufe lernen, denn Guardiola bevorzugt es, mit einer einzigen Sechs zu spielen. Es fiel ihm anfangs schwer. In seiner ersten Premier-League-Saison stand Rodri klar im Schatten des Brasilianers Fernandinho. Und auch im Sommer 2021, als City das Champions-League-Finale erreichte (und durch ein Tor von Kai Havertz gegen den FC Chelsea von Thomas Tuchel verlor), war er noch nicht etabliert. Ein Startelfeinsatz von Rodri im Endspiel von Porto stand nicht einmal ansatzweise zur Debatte. Danach aber verbesserte Rodri seine Antizipationsgabe derart, dass Guardiola ihm den Taktstock in die Hand legte. „Er ist die Zukunft“, raunten sie einander im Trainerstab zu, schrieb dieser Tage El País. Und das war er: Beim Champions-League-Finale von Istanbul, das City 2023 gegen Inter Mailand gewann, war Rodri nicht nur gesetzt, er schoss auch das Siegtor zum 1:0. Als ob es darum gegangen wäre, einen der Aufträge Guardiolas auf großer Bühne zu erfüllen. Denn Guardiola hatte von Rodri immer wieder verlangt, Abschlüsse zu suchen.

Der Treffer gegen Inter war in seiner Machart dem wichtigen Treffer ähnlich, den Rodri bei der laufenden EM schoss. Das Tor zum zwischenzeitlichen Ausgleich gegen Georgien im Achtelfinale war ebenfalls ein wohlüberlegter Schuss, in diesem Fall vom Strafraumrand. Es war ein Spiel, in dem er sich als ein Trainer auf dem Feld erwies. Als Spanien Gefahr lief, nach der georgischen Führung in verzweifelte Hast zu verfallen, trat er auf den Ball und signalisierte mit Worten und Händen: Ruhe jetzt. Nichts überstürzen. Nicht den Stil verlieren. Am Ende siegte Spanien 4:1 – und nahm die Viertelfinaleinladung des EM-Gastgebers nach Stuttgart an. „Meine Tugend bestand immer darin, den Fußball zu verstehen“, sagte Rodri einmal. „Er ist der perfekte Computer“, sagte sein Nationaltrainer Luis de la Fuente.

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Rodri meidet soziale Netzwerke und den üblichen Profi-Schabernack

Seine Festplatte speist Rodri mit dem Studium von Partien, die nicht völlig gelungen sind. Sein Bildschirmkonsum geht kurioserweise über die Aufbereitung von Fußballspielen kaum hinaus. Er meidet soziale Netzwerke völlig, weil er das persönliche Gespräch vorzieht (und nicht wissen will, was ihm ein Anonymus von der US-Westküste zu erzählen hat). Vor der Abreise zum Spiel nach Stuttgart sagte er im Interview mit dem spanischen Radiosender „Cope“, dass es ihm mittlerweile sogar schwerfalle, Whatsapp-Nachrichten von Familienangehörigen zu beantworten.

Überhaupt wirkt er aus der Zeit gefallen. Die Art und Weise, wie er das Trikot in die weit hoch gezogene Hose stopft und die Stutzen bis unters Knie hochzieht, erinnert an Fußballer der 1950er-Jahre. Sein Körper ist frei von den längst obligatorischen Tattoos. Auch sonstiger Profi-Schabernack ist ihm fremd. Die Hänseleien der Kollegen, die ihn aufziehen, weil er sich zu klassisch und sportlich kleidet und nicht so avantgardistisch wie sie, nimmt er hin, ohne mit den langen Wimpern zu zucken.

Auch das ist ein Symptom der Selbstsicherheit, die Rodri mit jeder Pore auf dem Platz verströmt. Seine Rolle, hat er einmal erklärt, bestehe darin, „der sichere Spieler“ zu sein, mit und ohne Ball, und vor allem dann, wenn ein Spiel sich verkompliziert. Gegen Deutschland dürfte das schon mal passieren, mindestens in bestimmten Phasen. Aber Rodris Urvertrauen in das eigene Team ist mit jeder EM-Minute gewachsen, und es war schon vorher groß.

Er sei schon nach den Freundschaftsspielen vom März, als Spanien gegen Brasilien glänzte, von einer guten EM des Teams überzeugt gewesen, hat Rodri in Donaueschingen gesagt. Spanien hat eine gute EM gespielt, doch Rodri ist das noch lange nicht genug. „Jetzt, da die entscheidenden Spiele kommen, geht es darum, einen Schritt voranzugehen“, sagte er. Er sagte es im Plural: die entscheidenden Spiele. Er ist sich sicher, dass Spaniens EM-Reise nicht in Stuttgart enden wird.

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