DFB in Weißrussland:Sané beweist sein universell nutzbares Talent

Belarus v Germany - UEFA Euro 2020 Qualifier

Leroy Sané (links) im Zweikampf mit Aleksandr Martynovich.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die deutsche Nationalelf gewinnt bei der EM-Qualifikation in Borissow mit 2:0 gegen Weißrussland.
  • Gegen eine extrem defensiv orientierte weißrussische Mannschaft erzielen Leroy Sané (13.) und Marco Reus (62.) die Treffer.
  • Manuel Neuer sorgt mit einem Kunststück für den besonderen Moment.

Von Philipp Selldorf

Julian Draxler hatte weise Worte gesprochen, als er vor der Abreise der Nationalmannschaft zum EM-Qualifikationsspiel in Weißrussland den Wert seines Mitspielers Leroy Sané taxierte. Er wisse nicht, ob Sané interessiert daran sei, zum FC Bayern zu wechseln, sagte Draxler, aber er wisse, dass Sané "die Bayern weiterbringen könnte - so wie er alle anderen Mannschaften auf der Welt ein Stück voranbringen könnte". Dieser Satz lässt sich nun auch wieder auf die deutsche Nationalelf anwenden, der Sané mit einem frühen Führungstreffer den Weg zum 2:0-Sieg in Borissow bahnte. Gegen ein extrem defensiv orientiertes und höchst störrisches Weißrussland bedeutete sein sehenswerter Treffer ein beruhigendes Mittel gegen eventuelle Stressreaktionen. Deutsche Mannschaften haben in der Vergangenheit schon gegen schwächere Gegner verloren, weil sie das erlösende 1:0 verpasst hatten.

Bezeichnend, dass Aushilfsbundestrainer Marcus Sorg nach der nicht unbedingt hinreißenden, aber standesgemäßen Vorstellung den Netto-Nutzen des Abends hervorhob. "In erster Linie stand der Sieg über allem, das war das Wichtigste, und das haben wir erreicht." Selbiges hatte ihm auch sein krankgeschriebener Chef versichert, der sich zügig nach dem Abpfiff telefonisch bei seinem Mitarbeiter meldete.

Joachim Löw hatte daheim in Freiburg am Fernseher gesessen und war offenbar zufrieden: "Er weiß: Nach der langen Saison und der langen Pause danach ist es nicht selbstverständlich, so ein Spiel zu gewinnen." Manager Oliver Bierhoff hob den gesundheitsfördernden Effekt des Resultats hervor: "Das Ergebnis hat Jogi sicher geholfen, einen ruhigen Tag zu haben."

Kimmich offenbart sein schöpferisches Talent

Wie gravierend sich so ein Rhythmuswechsel nach Saisonschluss auf die geistige und physische Verfassung von Spitzenfußballern auswirkt, das hatten die deutschen Profis am Donnerstagabend im Trainingslager im niederländischen Venlo am Fernseher erleben können. Im Halbfinale der Nations League begegneten sich die Niederlande und England in einer Partie, die vor allem durch grobe Fehler geprägt wurde. Wobei mancher erkennbar auf mangelnder Frische beruhender Fehler schon den Eindruck von geistiger Umnachtung machte. Marcus Sorg hob daher in Borissow immer wieder die mentalen Qualitäten des deutschen Teams hervor. Man habe "den einen oder anderen Widerstand überwinden müssen". Gemeint war nicht der durchaus resistente Gegner, sondern die innere Versuchung, den einen oder anderen Meter weniger zu machen.

Dass just Sané, der gelegentlich durch einen gewissen Leichtsinn auffällt, zu den eifrigsten deutschen Spielern zählte und der weißrussischen Deckung die schwierigsten Aufgaben stellte, das bestätigte Draxlers These vom universell nutzbaren Talent des Linksaußen. Die Angreifer Sané, Serge Gnabry und Marco Reus mussten sich in der dichten gegnerischen Abwehr immer wieder aufs Neue in Position begeben, um den Kollegen - allen voran den Ballverteilern Joshua Kimmich und Ilkay Gündogan - Gelegenheit zum Anspiel zu geben.

Kimmich offenbarte dabei immer wieder schöpferisches Talent, er gab den Steilpass, der Sané das Führungstor ermöglichte. Solche Aha-Momente waren zwar nicht selten im deutschen Angriff, der vom ständigen Kurzpass-Spiel im Pep-Guardiola-Stil geprägt war, doch ernsthafte Torchancen ergaben sich eher selten. "Der Gegner hat die Räume so enggemacht, dass das Zeitfenster für den Pass durch die Lücke nicht so groß war", befand Trainer Sorg.

Tänzchen mit kleiner Pirouette von Manuel Neuer

Auf Dynamik und auf Präzision kam es an. Das galt besonders auch für Nico Schulz und Lukas Klostermann, die formell als Außenverteidiger fungierten, in Wahrheit aber vorwiegend als Flügelstürmer tätig waren. Während sich Schulz - nicht auf die elegante Tour, aber mit rührender Emsigkeit - ins Spiel arbeitete und seine gewinnenden Szenen hatte, fiel Klostermann auf der rechten Seite erheblich ab. Wenig Effektivität, kaum Raffinesse. Sorg sagte, er habe Klostermann dem zuletzt bevorzugten Thilo Kehrer vorgezogen, weil sich dieser im Training hervorgetan habe. Anlass zum Eingreifen durch Auswechslung bot Klostermann aber nicht, weshalb Sorg lieber anderen Spielern zum Einsatz verhalf. Draxler durfte Jubiläum feiern - 50. Länderspiel -, Julian Brandt und Leon Goretzka kamen später auch noch dazu. Unter entspannten Umständen - Marco Reuss hatte mit dem 2:0 nach Matthias Ginters Vorlage die Partie längst entschieden (62.).

Es war einer dieser Länderspiel-Erfolge, der sich unauffällig einreiht in die an unauffälligen Siegen nicht eben arme Länderspiel-Geschichte des DFB. Doch es gab auch diesen einen speziellen, unvergesslichen Moment, und den bescherte der am wenigsten geforderte DFB-Spieler: Torwart Manuel Neuer. In jener kurzen Phase während der ersten Hälfte, in der sich die Weißrussen zumindest sporadisch in den Angriff verfügten, unternahm Neuer einen Ausflug ins Feld, der einerseits von seiner ungebrochenen Abenteuerlust zeugte und andererseits von einem gesunden Selbstbewusstsein, das man zuletzt öfter mal vermisst hatte bei ihm. Auf dem Ausflug ins ferne Grenz-Land zwischen Grundlinie und Eckfahne hatte sich Neuer nicht damit begnügt, einem Weißrussen im Zweikampf den Ball zu entwenden. Er fügte auch noch ein Tänzchen mit kleiner Pirouette hinzu, um anschließend mit dem idealen Kurzpass den Spielaufbau zu gestalten.

"So kreativ, wie er hinten rumgeschnickt hat, könnte er bei uns auch auf der Sechs oder weiter vorne spielen", teilte Kimmich fachmännisch mit. Weite Teile des Spiels verfolgte Neuer an der Mittellinie stehend, wo er sich nahezu gierig jeden Ball schnappte, den er kriegen konnte. "Man sieht, dass er Bock hat zu spielen, das tut uns als Mannschaft sehr gut", sagte Kimmich. Stellvertreter Marc-André ter Stegen, wegen Verletzung abwesend, wird es vermutlich auch gesehen und festgestellt haben: Das dauert wohl noch ein wenig mit der Thronfolge.

Jogi Löw hingegen hat seinen Stammplatz als Trainer Nummer eins sicher, wenn die deutsche Elf nach der Sommerpause im September ihr nächstes Länderspiel bestreiten wird. Auch wenn in Borissow der Assistent Signale der Emanzipation zu erkennen gab. Im Hinblick auf die Besetzung für das folgende EM-Qualifikationsspiel am Dienstag in Mainz gegen Estland gab Marcus Sorg bekannt: "Ich kann sagen - ohne dass es mit dem Bundestrainer abgesprochen ist -, dass es keine elf Wechsel geben wird."

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