Als im vergangenen Herbst eine Hundertschaft Spezialpolizei im Stadion von St. Pauli mit Pfefferspray und Knüppeln in den Gästeblock stürmte, um sich mit Anhängern von Hannover 96 eine Schlägerei zu liefern, da sagten viele, die sich in diesen Fragen für fachkundig halten: Ist doch klar, die Bullen üben für die EM! Das war natürlich eine unzulässige Verächtlichmachung des Rechtsstaats, gegen die sich prompt die Polizeigewerkschaft zur Wehr setzte. Und mit ein paar Monaten Abstand darf man immerhin festhalten: Falls die Polizei damals für die EM geübt hat, setzt sie ihr erworbenes Wissen bisher angenehm zurückhaltend ein.
Kleine Geschichte vom Spiel Serbien – Dänemark in München, die ersten beiden Sitzreihen hinter dem Tor sind aus Sicherheitsgründen mit einer schwarzen Plane abgedeckt, aber schon lange vor dem Anpfiff hat ein mit beachtlicher Bierwampe ausgestatteter serbischer Fan die Plane weiträumig weggeräumt. Die Bierwampe darf man hier übrigens, ohne sich den Vorwurf des Bodyshamings einzuhandeln, erwähnen, weil ihr Träger sie erstens fast durchgehend stolz ohne T-Shirt präsentierte und zweitens mit flüssigen Nährstoffen vor Ort proaktiv weiter züchtete. Ein Securitymann im gelben Leibchen sah der Umgestaltung des Münchner Stadions unbewegt zu.
EM-Kolumne Li La Land:Eine Mischung aus Michael Own und Own Hargreaves
Der bisher effektivste Torschütze der EM heißt nicht Hurricane, Sigthórsson oder Vonderbank. Und er gibt nicht nur seinen Mitspielern Rätsel auf.
Als dann ein Tor fiel, das wieder aberkannt wurde, warf der Wampenmann einen seiner vollen Bierbecher zielsicher auf einen der Fotografen am Spielfeldrand, der Securitymann blickte stoisch geradeaus. „Hey, der hat mich abgeworfen“, rief der Fotograf. Also funkte der gelbe Securitymann einen orangefarbenen Securitymann herbei und brummte: „Der da, der mit der Wampn, der schmeißt Becher.“ Aber ehe der orange Securitymann sich versah, hatte sich der Wampenmann schon nach rechts weggeschlichen – um kurz darauf von links mit becherweise Nachschub wieder aufzutauchen. Der Securitymann hob die linke Augenbraue.
Die Polizei? War nirgends zu sehen. Draußen ritten ein paar Beamte auf Pferden herum, andere wurden von Fans für Erinnerungsfotos eingespannt: zwei jubelnde Serben, zwei neutral schauende bayerische Polizisten, klick, danke! Gerne!
In Gelsenkirchen, wo Hooligans aus Serbien und England schon mit dem Plan angereist waren, sich eins auf die Mütze zu geben, beließ es die Polizei natürlich nicht beim Heben von Augenbrauen. Wenn’s sein muss, setzt sich die Ordnungsmacht schon durch bei dieser EM. Aber zum Glück stimmen bisher die Maßstäbe, wann es sein muss.
In Leipzig schlenderte vor dem Spiel der Franzosen gegen die Niederländer eine Gruppe Polizisten vor dem Hauptbahnhof entlang, drei Deutsche, zwei Franzosen, internationale Polizeizusammenarbeit. Es regnete, im Schutz der Torbögen dämmerten Obdachlose. „Wir können gerne noch ein Erinnerungsfoto machen“, schlug einer der Deutschen vor, die Franzosen nickten erfreut. Und wenn diese EM am Ende die Freunde und Helfer eines auseinanderdriftenden Europas einander näher bringt, ist das ja auch ein Verdienst. Unsere Sicherheit wird nicht nur am Hindukusch verteidigt, sondern auch vor dem Leipziger Hauptbahnhof.