Polen und Russland scheiden aus:Zwei Teams, die sich zu sicher fühlten

Nur wenige Minuten reichen, um zwei Gruppenfavoriten aus dem EM-Turnier zu befördern: Co-Gastgeber Polen und die starken Russen scheiden überraschend aus - obwohl jeder diese beiden Mannschaften schon im Viertelfinale gewähnt hat. Dem DFB-Team muss dies eine letzte Warnung sein.

Carsten Eberts

Vor wenigen Tagen war Przemyslaw Tyton noch zum neuen Fußballhelden des Landes auserkoren worden, jetzt legte er sich einfach nieder. Der polnische Keeper weilte auf dem Rücken, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände vor den Augen. Wenige Meter vor ihm tanzten die Spieler aus Tschechien, ausgelassen und wild; 300 Kilometer nordöstlich in Warschau tanzten die Griechen, immer um ihren Torschützen Giorgos Karagounis herum.

Die Griechen, die Tschechen. Nicht die Russen - und vor allem nicht die Polen. Am Samstagabend waren die beiden Favoriten der Gruppe A tatsächlich ausgeschieden. Tschechien und Griechenland ziehen ins Viertelfinale ein, damit hatte niemand gerechnet. Zuallerletzt die Polen und die Russen.

Für die Polen ist es besonders bitter, es ist schließlich ihre Heim-EM, die sie fortan als Zuschauer betrachten müssen. "Insgesamt gab es ein paar wundervolle Momente", sagte Mittelfeldspieler Jakub Blaszczykowski, "am Ende werden sich aber alle mehr an das Negative erinnern." Regierungschef Donald Tusk hatte vor dem Spiel noch auf einen 2:0-Sieg getippt - und von einem Viertelfinale gegen Deutschland geträumt: dem "Match des Jahrhunderts".

Dieses Match wird es nun nicht geben. Am Tag nach dem Ausscheiden ist gar die Freude über die Heim-EM dahin. "Ende des Traums", titelt das polnische Sportportal sport.pl am Sonntag. Fakt entgegnete: "Letzter in der Gruppe des Lachens. Der so leicht vergebenen Chance werden wir noch viele Jahre nachtrauern."

Nationaltrainer Franciszek Smuda war sogar so geschockt, dass er sofort nach dem Spiel das Ende seiner Amtszeit verkündete. "Das ist zu einhundert Prozent das Ende meines Weges. Danke, Jungs", sagte der langjährige Nationalspieler dem polnischen Fernsehsender TVP: "Ich muss nicht zurücktreten, denn mein Vertrag lief ohnehin mit dem Ende der EM aus."

Von ähnlicher Fassungslosigkeit war die Gemütslage bei den Russen geprägt. Was hatten sie doch für eine formidable Ausgangslage: vier Punkte aus zwei Spielen, drei sehr überzeugende Halbzeiten in den Spielen gegen Tschechien und Polen, dazu das Gruppenfinale gegen die fußballerisch hochgradig unterlegenen Griechen. Ein Punkt hätte schon gereicht - was sollte da schief gehen?

Griechischer Mauerfußball

Alles ging schief. Gleich reihenweise vergaben Andrej Arschawin, Alexander Kerschakow und Juri Schirkow beste Einschussmöglichkeiten, die Griechen machten es besser: Durch ein Tor ihres Oldies, durch den 35-jährigen Karagounis, gewann Griechenland mit seinem Mauerfußball überraschend mit 1:0. Weil Tschechien gleichzeitig Polen schlug, war auch Russland raus. Die Zeitung Komsomolskaja Prawda schreibt am Sonntag: "Wieder nichts! Das Unvorstellbare ist Wirklichkeit geworden."

Auch Trainer Dick Advokaat, der seine Mannschaft bereits als fußballerisch beste des Turniers bezeichnet hatte, klagt: "Wir haben sehr gut gespielt. Wir haben angegriffen und Griechenland hat nur verteidigt. Dann schießt Griechenland plötzlich das Tor." Der russische Fußball steht vor einem großen Umbruch. Trainer Advokaat geht, die russische Mannschaft war ohnehin die älteste des Turniers. Das unnötige EM-Aus wird einiges durcheinander würfeln.

Bei den deutschen Kommentatoren sorgten die Zustände in der Gruppe A für spontane Jubelstimmung. ZDF-Mann Oliver Schmidt und Thomas Wark, der für ZDF Info kommentierte, sponnen bereits Pläne für das Viertelfinale. Dort trifft Deutschland, so die beiden Reporter, nun auf Griechenland, was quasi ein Freilos für das Halbfinale bedeutet. Die spielstarken Russen wären ein schwerer Gegner gewesen, die gastgebenden Polen zumindest ein unangenehmer. Aber die Griechen? Ein völlig anderes Kaliber.

Doch Moment, im Viertelfinale? Nach intensiven Recherchen von Süddeutsche.de ist der deutsche Einzug in die Runde der letzten acht Mannschaften keinesfalls gesichert. Eine Niederlage gegen Dänemark am Sonntagabend, dazu ein portugiesischer Sieg gegen die Niederlande - und Deutschland könnte raus sein. Dänemark hat eine Mannschaft, die ausgesprochen gute Tage erwischen kann. Auch ein portugiesischer Sieg gegen die Niederlande ist kein unwahrscheinliches Ereignis.

Die Geschehnisse vom Samstagabend müssen dem deutschen Team eine letzte Warnung sein, nur bis zum Spiel gegen Dänemark zu planen - und nicht bereits bis zum Halbfinale. Auch wenn sich Kapitän Philipp Lahm in deutschen Boulevardmedien bereits zitieren lässt, er gehe "ganz fest davon aus, dass wir gewinnen und somit als Erster und mit neun Punkten durch die Gruppenphase marschieren". Wenn ihn dieses Zitat nicht noch einmal einholt.

(Mit Material des sid)

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