Das große Eisentor des Schlosshotels im Grunewald bringt einen zurück in den Sommer 2006. Man sieht dann zum Beispiel Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, die damals noch „Schweini“ und „Poldi“ genannt wurden, wie sie vor diesem Tor für Hunderte Fans im Deutschlandtrikot Autogramme schreiben. Und man weiß natürlich, wie es drinnen aussah, in einem besonderen Hotel der deutschen Fußballgeschichte.
Das Schlosshotel, es war ein Nebendarsteller des deutschen Erfolgs bei der WM 2006 und in Sönke Wortmanns Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“, in dem es die Bühne bot für Gespräche über Elterngeld zwischen Angela Merkel und Jens Lehmann; für Vorträge über das „pure Leben“ in Costa Rica von DFB-Chefscout Urs Siegenthaler; und für die ikonische Szene, in der Poldi und Schweini mit Chipstüte auf dem Bett liegen und über ihr erstes WM-Spiel sprechen.
Hunderte Fans stehen im Sommer 2024 nicht vor dem großen Eisentor, so groß ist die Euphorie dann doch noch nicht um das Team der Österreicher. Die Zurückgezogenheit sticht vielmehr hervor, das Zwitschern der Vögel, die Ruhe. Man hatte sich kurzzeitig gewundert in der Heimat, warum die Österreicher sich mitten in Berlin niederlassen für die EM und nicht irgendwo auf dem Land, wo die meisten anderen Nationen für die Dauer dieses Turniers zu Hause sind. Nur: In Grunewald, unter noblen Villen, wo Park und See mit dem Fahrrad in ein paar Minuten erreichbar sind, ist vom wilden Berlin sehr wenig zu spüren.
Vom Hotel zum Pressezentrum: nur eine Viertelstunde Busfahrt
Man könnte hier gut Urlaub machen, weshalb es sich gut traf, dass die Österreicher dazu nun ein wenig Gelegenheit bekamen: Eine ganze Woche Pause hatte die Mannschaft von Ralf Rangnick, inmitten eines Fußballturniers kommt so was nicht häufig vor: „Gefühlt ist es ganz schön lange her, dass wir das letzte Spiel hatten“, sagte am Sonntag Mittelfeldarbeiter Konrad Laimer, nachdem er über das runter-, rauf-, runter und wieder rauffahren referiert hatte, das die Mannschaft hinter sich hat in der Vorbereitung auf das Achtelfinale gegen die Türkei am Dienstagabend (21 Uhr, in Leipzig).
Sie haben es sich gemütlich gemacht in ihrer Komfortzone im Berliner Westen. Eine Viertelstunde Busfahrt nur ist das Pressezentrum vom Hotel entfernt, ein paar Minuten mehr der Trainingsplatz von Hertha BSC und das Olympiastadion. Überall dort kann man die ÖFB-Delegation täglich sehen, ansonsten ist es nicht leicht, tiefere Einblicke in diese österreichische EM-Reisegruppe zu bekommen. Auf aussagekräftige Social-Media-Videos vom Pool, wie sie die deutsche Elf zuletzt teilte, verzichtet man beim ÖFB. Die Österreicher allerdings benötigen derzeit auch keine offensive Imagekampagne – die ist allein aufgrund ihrer sportlichen Leistungen in den vergangenen Monaten entstanden.
Schwimmen See, Saunagänge, Golfen – frei ist frei, sagt der Sportdirektor
Was man gesichert weiß zum Programm in der freien Woche: Die Freundesgruppe um den verletzten „Non-Playing-Captain“ David Alaba konnte sich auch mal in Richtung Stadtmitte und Szene-Restaurants bewegen, während sich die Runde der Golfer im Umland von Platz zu Platz spielte. Schwimmen im nahen Schlachtensee zählt ohnehin zum ÖFB-Standardprogramm, gefolgt von Saunagängen, die vor allem das Duo aus Christoph Baumgartner und Michael Gregoritsch zuletzt hervorhob. „Frei ist frei“, gab Sportdirektor Peter Schöttel das Motto dieser Tage bekannt, innerhalb gewisser Grenzen natürlich: Zum Ständchen, aus Anlass des Geburtstags von Teamchef Ralf Rangnick fanden sich natürlich alle im Hotel ein.
66 Jahre alt wurde der Trainer am Samstag, es gab zum Gesang noch einen Kuchen, den der sichtlich gerührte Rangnick im Speisesaal entgegennahm, ehe er am Montag die Reise in seine alte Heimat antrat: In Leipzig steht das Spiel gegen die Türkei am Dienstag an, an jenem Standort, an dem Rangnick einst als Bundesliga-Aufstiegstrainer und Mastermind hinter dem neu aufgebauten Verein wirkte. Marcel Sabitzer (229 Spiele für RB), Konrad Laimer (190), Christoph Baumgartner (40) und Nicolas Seiwald (27) kennen die Atmosphäre im Stadion ebenfalls bestens, auch wenn sich ein türkisches Heimspiel auf deutschem Boden am Dienstag anders anfühlen dürfte als eines vor RB-Publikum.

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Am Ende zählt ohnehin nur, „noch länger hierzubleiben“, sagte Laimer. Er bezog sich natürlich auf Berlin, das bei diesem Turnier die Heimat der Alpenländer geworden ist: Die deutsche Nationalmannschaft tourt durch Süd- und Westdeutschland, nicht wie einst beim Sommermärchen durch die Hauptstadt. Stattdessen prägt die Farbe Rot das Berliner Stadtbild, vor allem rund um den Kurfürstendamm, wo sich die meisten Österreicher – und zuletzt auch die Schweizer – niedergelassen haben, die nun bei Currywurst und Döner abwarten, ob ihre Mannschaft noch mal wiederkommt.
Die Österreicher jedenfalls würden ein mögliches Viertelfinale wieder im Berliner Olympiastadion spielen, inmitten der Komfortzone, die sie sich hier geschaffen haben, wie einst das DFB-Team 2006. Den Film von damals, mit Merkel und Lehmann und Schweini und Poldi, haben sich die Österreicher übrigens nicht angeschaut. Wäre auch unpassend: Sie wollen ihr eigenes Sommermärchen erzählen, in dem das Schlosshotel gerne wieder eine Nebenrolle spielen darf.