Joachim Löw hat Jamal Musiala geholfen. Der derzeit jüngste deutsche Nationalspieler, 18 Jahre alt, hatte im Frühjahr eine schwierige Entscheidung zu treffen, er musste zwischen dem deutschen und dem englischen Nationalteam wählen. Und es waren vor allem die Gespräche mit dem Bundestrainer in München, die das in Stuttgart geborene und in London aufgewachsene Fußballtalent des FC Bayern überzeugten, sich dem DFB anzuschließen.
Es half wahrscheinlich auch, dass Musiala schon ahnte, dass der nächste Bundestrainer Hansi Flick heißen würde, sein Förderer in München. Aber auch Löw zeichnete Musiala einen detaillierten Pfad dahingehend auf, welche Rolle er bereits in naher Zukunft übernehmen könnte, als vielseitiger Einwechselspieler in der Offensive, als Spieler für entscheidende Momente. Wie bald sich Musiala nun revanchierte und Löw nicht nur half, sondern entscheidend dazu beitrug, dass dessen Zeit als Bundestrainer nicht in der Vorrunde endete, das war dann aber doch bemerkenswert.

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Musiala nimmt fast aus dem Stand im Dribbling Tempo auf
Zwei Minuten war er im Spiel gegen die Ungarn auf dem Platz, eingewechselt in der 82. Minute für Robin Gosens, als Musiala den Ball erlief, der Richtung Grundlinie rollte. Mit einem geschmeidigen Haken war er an einem Ungarn vorbei und passte den Ball in den Rückraum, wo ihn Leon Goretzka nach einem gescheiterten Versuch von Timo Werner ins Tor drosch zum 2:2, das den Deutschen den Einzug ins Achtelfinale sicherte. Musiala sagte: "Ich sollte mir Sachen zutrauen und aggressiv nach vorne gehen." Er hatte also ziemlich genau das beigetragen, was vor dem Turnier von ihm erwartet worden war.
In der deutschen Mannschaft mangelt es nicht an diversen, mit hochseriösen Begabungen ausgestatteten Offensivspielern, auch wenn einige, wie der am Mittwoch erschreckend schwache Leroy Sané, in veritablen Formkrisen stecken. Es fehlt bekanntlich an einem wuchtigen Mittelstürmer, der ein so statisches Spiel wie jenes gegen die Ungarn aufgebrochen hätte. Der schmächtige wie flinke Musiala hat nun gerade für solche Partien auch die im Team sonst bei keinem der Flügelangreifer so ausgeprägte Fähigkeit, mit dem Ball am Fuß und fast aus dem Stand im Dribbling hohes Tempo aufzunehmen; außerdem findet er oft bis immer die richtigen Räume, um anspielbar zu sein. In seiner ersten Saison beim deutschen Meister, die er schon am ersten Spieltag gegen Schalke als 17-Jähriger mit seinem ersten Bundesligator begann, war das immer wieder zu sehen.

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Die Partie gegen England wird eine besondere werden für Musiala
Musiala könne in Situationen helfen, "in denen wir Druck ausüben wollen", hat DFB-Direktor Oliver Bierhoff vor dem Turnier gesagt, auch Löw äußerte sich ähnlich. Es war deshalb etwas überraschend, dass Musiala in den ersten beiden Spielen nicht dem Kader angehörte, sondern auf der Tribüne saß. Leichte Hüftprobleme, wegen denen er zu Beginn der EM-Vorbereitung pausiert hatte, störten ihnen nicht mehr entscheidend. Nun gehört er pünktlich zum Spiel gegen England zum Team, eine besondere Partie für ihn, natürlich.
Er war sieben Jahre alt, als die Familie nach England zog, sein Talent fiel zunächst Scouts des FC Southampton auf, bald spielte er schon für den FC Chelsea und Junioren-Auswahlteams. Mit Jude Bellingham - dem 17-Jährigen, für England bei der EM bisher zweimal eingewechselten Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund - ist er befreundet, sie haben bereits Nachrichten ausgetauscht. Gareth Southgate, Englands Nationaltrainer, hat wie Löw um ihn gekämpft. "Ich freue mich darauf. Das ist ein Spiel gegen meine zweite Heimat. Das wird ein cooles Spiel", sagte Musiala nun.
Man hört ihm beim Sprechen den englischen Akzent an. "Die haben eine sehr gute squad, aber wir sind auch ein sehr starkes Team", sagte er vor dem Turnier über das englische Team. Seine Aufgabe beschrieb er da so: "Bereit sein, wenn ich die Chance kriege." Die erste hat er prompt genutzt.