Fußball-EM:Kroatiens beschämender Abend

Czech Republic v Croatia - Group D: UEFA Euro 2016

Fassungslos vor den Raketen: die kroatischen Nationalspieler Mario Mandzukic (links) und Vedran Corluka

(Foto: Getty Images)

Die Mannschaft verspielt beim 2:2 gegen Tschechien nicht bloß ein 2:0 - gewaltbereite Anhänger sorgen für unwürdige Szenen auf und abseits des Rasens. Nicht zum ersten Mal.

Von Tobias Schächter, Saint-Étienne

Als Luka Modric nach etwa einer Stunde Spielzeit mit einem zufriedenen Lächeln vom Platz schlenderte, schien das Spiel gegen Tschechien für die kroatische Auswahl entschieden zu sein. Die Elf des Spielgestalters von Real Madrid führte nach Toren von Ivan Perisic (37.) und Ivan Rakitic (60.) hochverdient mit 2:0; Modric, der vor drei Wochen zum zweiten Mal die Champions-League mit Real gewonnen hatte, war angeschlagen, Trainer Ante Cacic wollte seinen wichtigsten Spieler schonen. Das Fazit dieser Partie lautete bis dahin: Wer den Titel bei diesem Turnier gewinnen will, der muss diese starken Kroaten erst einmal schlagen.

Aber eine halbe Stunde Spielzeit später stand nach dem Abpfiff ein 2:2 in der Statistik, und für Kroatien fühlten sich das Ergebnis und die Umstände, die dazu führten, wie eine bittere Niederlage an.

Das Fazit nach diesem beschämenden Abend von Saint-Étienne lautet nun: Wenn der Gegner diese Kroaten nicht in Schwierigkeiten bringen kann, dann schaffen das Teile ihrer Anhänger. Selbst nach dem 1:2-Anschlusstreffer (76.) durch den eingewechselten Milan Skoda wirkten die Tschechen nicht stark genug, um dem Spiel noch eine Wende zu geben. Aber in der 85. Minute flogen aus dem Block der Kroaten plötzlich mehrere bengalische Feuer auf den Platz, mindestens ein Böller explodierte laut in der Nähe eines Ordners.

Uefa eröffnet Disziplinarverfahren gegen Kroatiens Verband

Danach kam es im Block zu Schlägereien unter Anhängern der Kroatien. Die Spieler auf dem Platz versuchten die randalierenden und sich schlagenden Männer auf der Tribüne zu beruhigen. Erst sechs Minuten später hatte sich die chaotische Szenerie einigermaßen beruhigt, Schiedsrichter Mark Clattenburg aus England pfiff die Partie wieder an. Die Uefa kündigte am Tag danach an, ein Disziplinarverfahren gegen Kroatiens Verband zu eröffnen. Die Fußball-Union habe die Krawalle "nachdrücklich verurteilt", teilte ein Sprecher mit. Genaue Anklagepunkte würden am Sonntagmittag bekannt gegeben.

Die Kroaten waren nach der Unterbrechung nicht mehr auf der Höhe: Nach einem unnötigen Handspiel von Verteidiger Domagoj Vida verwandelte in der Nachspielzeit der ebenfalls eingewechselte Tscheche Tomas Necid den anschließenden Strafstoß zum 2:2.

Statt Freude über ein gutes Spiel blieb für die Spieler nur Frust. "Die Fans haben dem Spiel mit ihrem Verhalten eine andere Richtung gegeben", meinte der einstige Schalker Ivan Rakitic, der als bester Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde, diese Auszeichnung aber nicht genießen konnte.

Für die Randale werden Anhänger von Hajduk Split verantwortlich gemacht

Es hat keine zwei Spiele gedauert, und diese nach dem Auftaktsieg gegen die Türkei so hoffnungsvoll ins Turnier gestartete Mannschaft ist von den Verfehlungen und Abgründen des kroatischen Fußballs auch bei dieser EM in Frankreich eingeholt. Trainer Ante Cacic bezeichnete die Provokateure auf den Rängen als "Sport-Terroristen und Hooligans, die alles ruinieren, was wir tun". Cacic erinnerte an ähnliche Vorfälle bei einem Qualifikationsspiel in Italien vor anderthalb Jahren. Damals, so Cacic, seien auf der Tribüne in Mailand Fans von Hajduk Split zu sehen gewesen mit Nazi-Symbolen. Durch diese Aussagen suggerierte Cacic, dass Anhänger von Hajduk nun auch für die Missetaten in Saint-Étienne verantwortlich sein könnten.

Die Uefa nimmt Ermittlungen auf

Beim Qualifikationsrückspiel gegen Italien vor einem Jahr in Split, das vor leeren Rängen hatte stattfinden müssen, war in der Nacht vor der Begegnung ein Hakenkreuz in den Rasen gebrannt worden. Das führte erneut zu einer Sperre, die nächsten beiden Heimspiele in der WM-Qualifikation muss Kroatien ohne Zuschauer spielen. Am Samstag nimmt die Disziplinarkommission der Uefa die Ermittlungen auf.

Nach einer Lesart in Kroatien wollen vor allem radikale Fans von Hajduk Split die aus ihrer Sicht korrupten Spitzen des kroatischen Fußballs durch ihre Aktionen zu Fall bringen. Für Cacic' Vermutung über die Vorfälle in Saint-Étienne spricht, dass die Ultras vom AS Saint-Étienne eine Freundschaft mit den Ultras von Split haben. Verbandsboss Davor Suker gilt nicht nur den Hajduk-Fans als Marionette von Zdravko Mamic, dem ehemaligen Präsidenten von Serienmeister Dinamo Zagreb.

Mamic, der auch Vize-Präsident im Fußballverband ist, steht unter Anklage, in der Vergangenheit mindestens 15, 5 Millionen Euro bei Transfers von Dinamo-Profis ins Ausland an der Steuer vorbei gelenkt zu haben. Der übel beleumundete Mamic ist zwar von seinen Ämtern zurückgetreten, gilt aber noch immer als mächtigster Strippenzieher. Jüngst ist er aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Wieder einmal. Trainer Cacic, der in der Endphase der Qualifikation Niko Kovac abgelöst hatte, ist ein Mann ohne Meriten, aber mit Dinamo-Vergangenheit. In Kroatien heißt es, er sei der Trainer von Mamic' Gnaden.

Eigentlich hatte die kroatische Elf den Sieg ja Darijo Srna widmen wollen. Der Kapitän hatte unter der Woche ebenso wie Torwarttrainer Marijan Mrmic seinen Vater beerdigen müssen. Beim Abspielen der Nationalhymne vor dem Anpfiff hatte Srna geweint. Der Sportsmann Darijo Srna hätte an diesem Abend etwas anderes verdient gehabt, als das, was in Saint-Étienne passiert ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: