Fußball-EM:Krawalle in Marseille schockieren Fußball-Fans

Fußball-EM: Hat die Polizei zur Eskalation der Gewalt in Marseille beigetragen? Die Behörden weisen solche Vorwürfe zurück.

Hat die Polizei zur Eskalation der Gewalt in Marseille beigetragen? Die Behörden weisen solche Vorwürfe zurück.

(Foto: AFP)

Massive Sicherheitsvorkehrungen konnten die Randale nur bedingt verhindern. Gegen die Polizei werden schwere Vorwürfe erhoben.

Von Maik Rosner, Marseille

Es waren verstörende Bilder, als sich die Jagdszenen aus Marseilles Innenstadt nun auch im Stade Vélodrome fortsetzten. Russische Anhänger stürmten offenbar aus ihrem Block und gingen auf englische Zuschauer los, kurz nach dem Abpfiff des 1:1 zwischen den Nationalmannschaften der beiden Länder. Zuvor hatten russische Fans bereits zwei Feuerwerksraketen aus ihrem Block abgeschossen, die auf die benachbarte Tribüne flogen. Zurück bleibt die Frage nach den Sicherheitsvorkehrungen, die offenbar nicht richtig gegriffen hatten.

Dabei war die Angst vor dem Terror ja das große Thema vor dieser EM gewesen. Doch mittlerweile hat das Entsetzen über die schweren Krawalle vor allem in Marseille, aber auch in Nizza und Lyon, die Furcht vor Anschlägen abgelöst.

Die vorläufige Bilanz der tagelangen Straßenschlachten, die sich am Samstagabend in Marseille sogar bis ins EM-Stadion der Hafenstadt ausweiteten: Ein schwer verletzter englischer Fan, der laut Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve in Lebensgefahr schwebt, mindestens drei weitere schwerverletzte Personen und Dutzende leicht verletzte. Hinzu kommen die unfassbaren Bilder, die erschaudern lassen: Blutüberströmte Menschen, Fangruppen, die mit abgeschlagenen Glasflaschen und Metallstangen aufeinander einprügeln, auch auf wehrlose Personen am Boden.

"Behandelt wie Tiere", kommentiert die Frau eines Spielers

Es zeigt sich wieder einmal, dass die massiven Sicherheitsvorkehrungen nur bedingt schützen können. Dass sicher nicht sicher bedeuten muss. Aber auch, dass die Kontrollen zwischen streng und lax changieren. Zudem gerät zunehmend die Polizei in die Kritik, weil sie mit einer angeblich unverhältnismäßigen Vorgehensweise zur Eskalation beigetragen habe. Diese Vorwürfe erhob auch die Ehefrau von Englands Stürmer Jamie Vardy nach dem Spiel gegen Russland. "Das war eine der schlimmsten Erfahrungen jemals bei einem Auswärtsspiel! Ohne Grund mit Tränengas beschossen, eingesperrt und behandelt wie Tiere", twitterte Rebekah Vardy in der Nacht zu Sonntag.

Sie bezog sich dabei um die Vorkommnisse vor dem Spiel, nachdem es zunächst am Hafen zu massiven Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Anhängern gekommen war. Danach setzte die Polizei auch in Stadionnähe Tränengas ein. ""Es gab dort keinen Ärger", sagte Rebekah Vardy der britischen Sun. Das Verhalten der Polizei sei eine "Schande".

Das französische Innenministerium und die Polizei wiesen die Vorwürfe entschieden zurück. "Ich möchte hervorheben, dass die schnelle Reaktion, die Beherrschung und die Entschlossenheit der Polizisten zweifellos erlaubt haben, noch viel schlimmere Zwischenfälle zu verhindern", sagte Marseilles Polizeipräfekt Laurent Nuñez am Sonntag dem Radiosender France Info. Die Disziplinarkommission der europäischen Fußball-Union Uefa, Veranstalter der EM, kündigte unterdessen Ermittlungen an. Das Strafmaß nach Krawallen reicht gegen beteiligte Verbände von einer Ermahnung bis zum Ausschluss aus einem Wettbewerb.

Autos und Taschen penibel durchsucht

Die Kontrollen fallen derweil sehr unterschiedlich aus. Das ließ sich beispielsweise in den Trainingsquartieren der Mannschaften beobachten. Während es beim öffentlichen Training der Mannschaft der Ukraine in Aix-en-Provence vergleichsweise lax zuging, erinnerten die Kontrollen im Badeort Saint-Cyr-sur-Mer bei der Einheit des türkischen Teams mindestens an jene auf einem Flughafen. Autos wurden penibel durchsucht, Taschen sowieso, dazu kam eine Leibesvisitation. Über dem kleinen Stadion kreiste gar ein Polizeihubschrauber. Sicher auch, weil die türkische Nationalmannschaft als besonders terrorgefährdet gilt.

Umso erstaunlicher, dass es der Fatih Terim am Donnerstag beim einzigen öffentlichen Training vor dem Auftakt seiner Elf gegen Kroatien an diesem Sonntag offenbar an der Zeit fand für eine besondere Geste fernab von Sicherheitskontrollen und Terrorangst. Kurzerhand verließ der türkische Trainer den Trainingsplatz und ging zum Entsetzen der Security zum Stadiontor, um mit jenen rund 100 Fans zu reden, denen zuvor mangels Karten und wegen der bereits gefüllten Tribüne der Einlass verweigert worden war. Terim wies den Sicherheitsdienst an, die Fans hereinzulassen - nicht auf die Tribüne, sondern direkt an den Rasenrand, wenige Meter neben die Nationalspieler.

Recht entspannt ging es auch in den beiden Fanzonen am Stadtstrand von Marseille zu, trotz der massiven Ausschreitungen in der Innenstadt, nur wenige Kilometer entfernt. Die Einlasskontrollen waren aber ziemlich gewissenhaft, drei Kontrollzonen mussten die Fans durchlaufen, ehe sie sich auf dem Gelände vor den beiden Leinwänden einfanden. Drinnen, beim internationalen Publikum, war die Stimmung sehr relaxt. Jedenfalls galt das am Freitagabend, beim Auftaktspiel zwischen Frankreich und Rumänien.

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