Fußball-EM in Gefahr?:Gedankenspiele in unsicheren Zeiten

Die politisch angespannte Situation im EM-Gastgeberland Ukraine holt den Fußball ein: Die Uefa nimmt die Anschläge in Dnjepropetrowsk besorgt zur Kenntnis, doch eine Absage des Großevents scheint nicht denkbar. Im schlimmsten Fall könnte man das Turnier um ein Jahr verschieben. In der Bundesliga fordern erste Stimmen ein klares Bekenntnis des Sports - und auch der Politik.

Thomas Kistner

Als die erste Bombe explodiert war am vergangenen Freitagmittag in Dnjepropetrowsk, ereilte Martin Kallen die Schreckensnachricht "in derselben Minute", sagt er; eng ist sein Draht zu den Regierungsverantwortlichen in der Ukraine. Und natürlich, räumt der EM-Beauftragte der Europäischen Fußball-Union (Uefa) für die Ukraine ein, habe ihn sofort die Sorge umgetrieben, was dies für die Austragung des Turniers bedeute, das am 8. Juni in der Ukraine und in Polen beginnen soll. Am Samstag reiste Kallen dann in die Schweiz, wo am Montag in der Uefa-Zentrale in Nyon die Lage analysiert wird. "Zurzeit", sagt er, "haben wir keine großen Bedenken wegen einer Absage des Turniers."

Michel Platini

Noch keine Bedenken wegen der EM in der Ukraine: Uefa-Präsident Michel Platini. 

(Foto: dpa)

Zurzeit - Vorsicht klingt an. Zugleich umreißt der zuständige Uefa-Direktor Kallen Plan B für den Fall, dass die politischen Unruhen im Lande eskalieren und weiter mit Anschlägen einhergehen sollten. Zunächst müsste der Hintergrund der vier Bomben-Attacken in Dnjepropetrowsk aufgeklärt werden, sagt Kallen, der eng in Kontakt mit Uefa-Präsident Michel Platini und dessen Stab ist. "Platini nimmt das sehr, sehr ernst."

Kallen geht wie die Uefa-Führung davon aus, dass die Anschläge "nichts mit dem Euro-Turnier zu tun und die Behörden die Sicherheitslage unter Kontrolle haben". Auch sei Dnjepropetrowsk kein EM-Ort. Jedoch ist es Heimatstadt der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko, deren Schicksal immer enger mit dem EM-Thema verknüpft wird und Bundeskanzlerin Angela Merkel nun darüber nachdenken lässt, ob sie das Turnier besuchen will.

Das Thema ist zum Minenfeld geworden. "Wir beobachten die Situation ganz genau, jeden Tag", sagt Kallen, für Änderungen gebe es "keinen Grund, das ist für uns derzeit kein Thema." Er sagt aber auch, man sei vorbereitet auf den Fall der Fälle: "Wenn die Situation zu gefährlich wird, dann würde das nicht durchgeführt. Wir organisieren ein Fußball-Fest, und nichts anderes."

Eine Absage der Fußball-EM wäre im schlimmsten Falle die ultima ratio. Die Notlösung, die in der Schublade steckt. "Solche Fragen haben wir schon ganz generell, nicht auf die Ukraine bezogen, durchdiskutiert", sagt Kallen. Die Lösung, falls es gar nicht funktioniert? "Da gäbe es nur eine Möglichkeit: Dann müsste man an eine Verschiebung des Turniers denken, in ein anderes Jahr."

Kein Wechseln nach Deutschland

Keine Alternative sei hingegen ein Planspiel, das es vor Jahren einmal gab, als die Ukraine an ihren schleppenden - vom Organisationsexperten Kallen fortan massiv beschleunigten - technischen Vorbereitungen zu scheitern drohte: Ein Last-Minute-Wechsel gefährdeter EM-Spiele aus der Ukraine nach Deutschland. "Das ist unmöglich. Das bekäme man in so kurzer Zeit gar nicht hin", sagt der Uefa-Verantwortliche.

Anti terror exercise in preparation of UEFA Euro 2012

Anti-Terror-Einheiten üben vor dem Kiewer EM-Stadion. 

(Foto: dpa)

Ist es so? Hinter den Kulissen regen sich auch andere Stimmen. Aber das Thema ist heikel, hochpolitisch; gerade für den deutschen Fußball. Der Deutsche Fußball-Bund schweigt zu den jüngsten Entwicklungen. Auch Reinhard Rauball, Präsident der Deutschen Fußball-Liga, will sich nicht zur "Was-wäre-wenn-Frage" äußern. Erinnerlich sei ihm nur: "Als damals der Gedanke mit Deutschland aufkam, ist er sofort verworfen worden."

Im übrigen aber teilt Rauball nicht das Credo vieler Sportpolitiker, dass Fußball eine unpolitische Sache sei. "Ich denke, dass sich der Fußball sehr wohl politisch äußern darf. Er sollte aber nicht der Meinungs-Trendsetter sein, hinter dem sich Politik und Wirtschaft verstecken können." Vielmehr müssten letztere klare Zeichen setzen. "Da reicht es nicht, zu sagen, ich fahre nicht zur EM. Durch weniger Politiker in den Stadien ist der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine noch nicht geholfen. Ich wünsche mir, dass sich gerade die Kanzlerin klar äußert."

Und die Wirtschaft - müssten da die EM-Großsponsoren vorangehen? "Wenn ich sage, die Wirtschaft allgemein, kann sich jeder denken, wer damit auch gemeint sein kann", sagt Rauball.

Bisher lockten nur die Tierschützer den Clan der Sponsoren aus der Reserve: Nach scharfer internationaler Kritik an der Massentötung von Straßenhunden in der Ukraine lenkte die Regierung in Kiew im Herbst 2011 ein und kündigte harte Strafen für Tierquäler an. Werbepartner wie der Sportartikler Adidas oder die Fastfood-Kette McDonalds reagierten auf eine Welle der Kritik im Internet. Sie forderten die Behörden auf, den Vorwürfen "gewissenhaft nachzugehen und Maßnahmen zu ergreifen".

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