Es hat gottlob keine Rangelei gegeben um das Trikot von Cristiano Ronaldo, keinen Streit zwischen dem georgischen Nationaltrainer Willy Sagnol und dem georgischen Ausnahmestürmer Chwitscha Kwarazchelia. Dabei hätte man so etwas durchaus befürchten können. Kwarazchelia hatte vor dem Spiel erstaunlich freimütig mitgeteilt, gegen Ronaldo zu spielen, sei ein Kindheitstraum, und er hege Hoffnungen auf dessen Trikot. Sagnol wiederum hatte gesagt, einer seiner Söhne sei allergrößter Ronaldo-Fan, was ebenfalls Ambitionen auf dieses Hemd suggerierte. Wer das Trikot letztlich bekommen hat, blieb am Abend zunächst offen, denn Ronaldo wurde in der 66. Minute entnervt ausgewechselt.
Stutzig machen müssen hätten die beiden georgischen Fanboys mit ihrem Ronaldo-Tick freilich ihr ganzes Fußballland, das sich im finalen Gruppenspiel gegen Ronaldos Portugiesen schließlich noch die Teilnahme am Achtelfinale hatte ausrechnen dürfen. Und vielleicht war das Getue im Vorfeld auch wirklich nur ein Täuschungsmanöver gewesen, um die Portugiesen in Sicherheit zu wiegen. Es hat dann nämlich tatsächlich eine der ganz großen Überraschungen bei dieser EM gegeben am Mittwochabend in Gelsenkirchen auf Schalke.
Der 74. der Weltrangliste, der EM-Debütant Georgien, besiegte die allerdings zuvor schon als Gruppensieger feststehenden und deshalb mit einer B-Mannschaft angetretenen Portugiesen (Weltranglisten-Sechster) überraschend mit 2:0 (1:0). Mit diesem ersten Sieg bei ihrer ersten EM zogen die Georgier völlig unerwartet als Gruppendritter ins Achtelfinale ein. Am Sonntagabend heißt der Gegner dort Spanien. Das werden sie in der Heimat kaum glauben können, schon die EM-Qualifikation im Playoff gegen Griechenland hatte für rasende Euphorie im Land gesorgt.
Die erste EM-Teilnahme war entsprechend schon vor dem Turnier als riesiger Erfolg gefeiert worden. „Wir sammeln hier wichtige Erfahrungen für die Zukunft“, erzählt immer wieder der Trainer Sagnol, der mit seiner Mannschaft in den kommenden Jahren weitere Turnierteilnahmen anstrebt. Schon im ersten (1:3 gegen Türkei) und auch im zweiten Spiel (1:1 gegen Tschechien) waren seine Georgier sehr respektabel und absolut konkurrenzfähig aufgetreten. Skurril im dritten Spiel: Während sie selbst erstmals bei einer Europameisterschaft dabei sind, ist es für Cristiano Ronaldo, 39, schon die sechste EM.
Portugal rotiert – ein kapitaler Fehlpass leitet das 1:0 für Georgien ein
Die Portugiesen hatten also nahezu ihre komplette Startelf ausgetauscht. Nur der Torwart Diogo Costa sowie der FC-Bayern-Wunschspieler João Palhinha und – natürlich – Cristiano Ronaldo verblieben in der Anfangsformation. Hoffnungen weckte eine derartige Rotation schon früh droben auf der Tribüne beim georgischen Fußballpräsidenten Lewan Kobiaschwili; er hat übrigens von 2003 bis 2010 in diesem Stadion für Schalke 04 gespielt.
Die Nummer 7 sorgte dann auch für den ersten Höhepunkt des Spiels, allerdings nicht Portugals Nummer 7 (CR!), sondern die von Georgien: Kwarazchelia! Ein kapitaler Fehlpass von António Silva landete bei Georges Mikautadze vom FC Metz, dem bis dahin zweimaligen georgischen Torschützen. Mikautadze schaltete blitzschnell um, bediente Kwarazchelia von der SSC Neapel – und der schoss nach 91 Sekunden flach zum 1:0 ein. Die das Stadion in Gelsenkirchen-Buer etwa zur Hälfte füllenden georgischen Fans tobten.
Mit etwa drei Viertel Ballbesitz drückten die Portugiesen zwar auf den Ausgleich, vergaben aber alle Chancen. Seltsam erschien eine frühe gelbe Karte für Ronaldo wegen Schimpfens über ein nicht gepfiffenes Foul an ihm. Bei einem Turnier, bei dem es schon für zwei gelbe Karten ein Spiel Sperre gibt, ist das gefährlich. Nun muss Ronaldo im Achtelfinale vorsichtig sein.
Die Portugiesen unternahmen viel, um im dritten Spiel den dritten Sieg zu landen. Doch es kam anders. Bei einem der wenigen georgischen Konter wurde Luka Lotschoschwili (US Cremonese) von António Silva im Strafraum gefoult, den fälligen Elfmeter verwandelte Mikautadze in der 57. Minute zum 2:0. Mikautadze ist mit nun drei Treffern auch noch der aktuell beste Torschütze der EM. Das alles grenzt schon jetzt an ein georgisches Wunder, verspricht aber vielleicht noch mehr Erstaunen für die K.-o.-Runde.