Am Dienstag, dem Tag nach dem gewonnenen Achtelfinale gegen Belgien (1:0), ackerten zwölf französische Nationalspieler auf dem Rasen der Home Deluxe Arena in Paderborn: jene zwölf, die mal wieder nicht zum Einsatz gekommen waren. Beobachter berichteten von einer schweißtreibenden Trainingseinheit, die Cyril Moine, der Fitnesstrainer der Bleus, mit den Reservisten absolviert habe. Sie müssen schließlich in Form bleiben. Sie spielen bei dieser EM ja praktisch nie.
Nur 18 Spieler aus seinem 26-Mann-Kader hat der Nationaltrainer Didier Deschamps in den ersten vier Spielen eingesetzt, so wenige wie keiner seiner Kollegen. Deschamps wechselt am seltensten – im Schnitt nur drei Mal pro Partie – und vertraut, wenn möglich, einer weitgehend unveränderten Startformation. Die Sporttageszeitung L’Équipe berichtete deshalb schon von einer „gewissen Frustration“ in der Gruppe, und als der Co-Trainer Guy Stéphan am Mittwoch in Paderborn zur Pressekonferenz erschien, war auch dort die Rolle der Reservisten ein Thema. „Didier hat allen gesagt, dass sie nicht nachlassen sollen“, berichtete Stéphan. Zur Motivation habe der Chefcoach Beispiele von Spielern genannt, die etwa 2018 bei der WM in Russland zunächst kaum eingesetzt worden seien. Dann aber zum Beispiel im gewonnenen Finale. „Man weiß nie, was kommt.“
Eduardo Camavinga, der 21-jährige Mittelfeldspieler von Real Madrid, zählte bisher zu jener Gruppe im Team, die, gemessen an den persönlichen Erwartungen, „keine positive Bilanz ziehen“ konnten, wie er kürzlich in Paderborn zugab. „Jeder will spielen, auf der Bank zu sitzen, ist kein großes Vergnügen.“ Aber, klar: Man ordnet sich dem großen Ganzen unter. Immerhin: Im Auftaktspiel gegen Österreich (1:0) kam Camavinga für die letzten 20, im dritten Gruppenspiel gegen Polen (1:1) für die letzten 30 Minuten auf den Platz, er wurde jeweils eingewechselt für Adrien Rabiot. Im Achtelfinale kam Camavinga dann wieder gar nicht zum Einsatz.
Grund für Rochade: Stammspieler Adrien Rabiot sah die zweite gelbe Karte
Aber noch während der Partie gegen die Belgier ahnte man zumindest, was bald kommen könnte: Rabiot sah zum zweiten Mal gelb. Nun dürfte Camavinga auch von Beginn an als sein Ersatz vorgesehen sein, wenn die Franzosen am Freitagabend (21 Uhr) in Hamburg im Viertelfinale auf Portugal treffen.
Deschamps ersetzt Spieler gerne möglichst positionsgetreu, weil er etwas anderes überhaupt nicht mag: Änderungen am System. Als im zweiten Gruppenspiel gegen die Niederlande (0:0) der Stürmer und Kapitän Kylian Mbappé wegen seines Nasenbeinbruchs ausfiel, wechselte Deschamps vom eingeübten 4-3-3 auf ein asymmetrisches 4-4-2. Der Vortrag auf dem Rasen war dann eher nicht so ermutigend. Umso entschiedener ist Deschamps zum Ursprungssystem zurückgekehrt: mit Mbappé auf der linken Angriffsseite, Marcus Thuram als Zentralstürmer und Antoine Griezmann, der eher über rechts angreift.
Der Linksfuß Camavinga würde dann Rabiot im linken Mittelfeld ersetzen. Co-Trainer Stéphan lobte vorsorglich schon mal Camavingas „Box-to-box-Fähigkeit, die uns offensiv ein Plus bringen kann“. Ein bisschen erinnert Camavinga mit seiner Dynamik an den (inzwischen wegen Dopings gesperrten) Paul Pogba, der bei der WM 2018 noch zwischen dem eigenen und dem gegnerischen Strafraum für permanenten Wirbel sorgte.
Alternativen? Ousmane Dembélé könnte auf die rechte Offensivflanke zurückkehren und Griezmann dafür ins Mittelfeld rotieren – anstelle von Camavinga. Nur: Dembélé ist wegen seiner mangelnden Effizienz in den ersten Partien zum Ersatzspieler herabgestuft worden. Und was seine Ersatzspieler angeht, ist Didier Deschamps nun mal nicht zu Experimenten aufgelegt.