EM-Aus für Weltmeister Frankreich:Und dann hält Sommer gegen Mbappé

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Moment der Entscheidung: Yann Sommer wehrt den Ball von Mbappé ab. (Foto: Mihai Barbu/Getty Images)

Erst führt die Schweiz, dann führt Frankreich - am Ende verliert der Weltmeister im Elfmeterschießen und verpasst das Viertelfinale der EM. Über eine wilde Nacht in Bukarest.

Von Claudio Catuogno, Bukarest/München

Der Weltmeister lag in Rückstand. Und so langsam hatte man die Vermutung, dass das kein Zufall ist, sondern ein Muster. Rückstand gegen Ungarn - am Ende 1:1. Rückstand gegen Portugal - am Ende 2:2. Und nun, im Achtelfinale von Bukarest, führte tatsächlich die Schweiz gegen den Weltmeister Frankreich. Haris Seferović hatte in der 15. Minute Torwart Hugo Lloris mit einem Kopfball überwunden.

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Aber es würde doch jetzt nur eine Frage der Zeit sein, bis sich in diesem Achtelfinale die viel beschworene individuelle Klasse durchsetzt - oder? Mbappé, Griezmann, Benzema, Pogba, Kanté? Nun, zumindest entwickelte sich - auch dank der feinen französischen Füße - ein Spektakel, das jenem zwischen Spanien und Kroatien zuvor in nichts nachstand. Am Ende der regulären Spielzeit stand es auch in dieser Partie 3:3. Und dann, tatsächlich, bezwang die kleine Schweiz Weltmeister Frankreich im Elfmeterschießen, weil alle trafen - außer Kylian Mbappé.

Das Drama entspann sich Anfang der zweiten Halbzeit: zunächst mit einer absurden Grätsche des Franzosen Benjamin Pavard gegen Steven Zuber auf der Strafraumlinie, einer Videokontrolle, einem Elfmeterpfiff - und einer Parade von Hugo Lloris gegen den nicht sehr präzisen Schweizer Schützen Ricardo Rodríguez (55.). Die Schweiz hatte also das 2:0 auf dem Fuß. Aber nur vier Minuten später stand es 2:1 für Frankreich; zweimal Benzema, in der 57. und in der 59. Minute. Paul Pogba setzte dann noch einen famosen Weitschuss zum 3:1 in den Winkel (75.). Auch das reichte aber nicht, um hier als Sieger vom Platz zu gehen. Erneut Seferović (81.) und der eingewechselte Mario Gavranović (90.) erkämpften der Schweiz tatsächlich noch die Verlängerung.

Auch die Franzosen spielen jetzt Dreierkette - aber nur bis zur Pause

Einer von vielen Gründen für das wilde Hin und Her: taktische Verunsicherung. Auch die Franzosen waren am Montagabend zunächst auf den Trend dieser EM aufgesprungen und versuchten sich an einer Dreierkette: mit Clément Lenglet als zusätzlichem zentralen Innenverteidiger zwischen Raphaël Varane und Presnel Kimpembe. Für seine Viererkette waren Didier Deschamps schlicht die Linksverteidiger ausgegangen: Sowohl Lucas Hernández als auch dessen Vertreter Lucas Digne waren verletzt. Also musste der Nationaltrainer improvisieren: Neben Lenglet rückte auch Adrien Rabiot wieder in die Startelf, allerdings besetzte Deschamps ihn als linken Flügelläufer anstatt im zentralen defensiven Mittelfeld.

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Ob Zufall oder nicht, damit spielten die Franzosen fast exakt dasselbe System wie die Schweizer - bloß, dass diese darin vertrauter wirkten. Schon beim 3:1-Erfolg gegen die Türkei waren ihre Außenspieler Zuber (links) und Silvan Widmer (rechts) konsequent in die sich öffnenden Räume gelaufen, Zuber war der wertvollste Vorlagengeber gewesen. Und ausgerechnet bei Angriffen über die Außen hatten die Franzosen bislang verletzlich gewirkt. Kein Wunder also, dass nicht nur der Kapitän Granit Xhaka vor dem Spiel selbstbewusst geklungen hatte: "Wer weiterkommen oder das Turnier gewinnen möchte, muss jeden schlagen", hatte er gesagt, auch "wenn er Frankreich heißt".

Dass da tatsächlich der Weltmeister auf dem Platz stand, erschloss sich aber zunächst nur in den ersten Minuten, als Mbappé ein paar Hochgeschwindigkeits-Soli zeigte; einmal brachte er den Ball zu Benzema, der brachte ihn aber nicht unter Kontrolle (6.). Ansonsten blieb aus der ersten Halbzeit lediglich ein Weitschuss von Rabiot in Erinnerung, der knapp am Pfosten vorbeistrich (29.). Dafür: Erkennbare Abstimmungsprobleme bei den Bleus, die ein Unwohlsein mit dem ungewohnten System offenbarten.

Pogba feiert sein Tor mit einem lässigen Tänzchen, das sich aber als voreilig erweist

Das brachte Deschamps dazu, zur Halbzeit wieder umzustellen: Der FC-Bayern-Flügelspieler Kingsley Coman kam für den Abwehrmann Lenglet; Rabiot musste nun einen echten Linksverteidiger geben, aber das war der Preis dafür, dass die Franzosen ihr geliebtes 4-4-2 wieder in Kraft setzen konnten. Und wie: Griezmann leitete den Ball zu Mbappé weiter, der schickte Benzema, der wiederum nahm den Ball spektakulär mit der Hacke mit - und schoss mit voller Wucht ein (57.). Dann ein Doppelpass zwischen Griezmann und Mbappé, ein Chip an den zweiten Pfosten, wo Benzema (59.) nur noch einnicken musste. Für ein paar Minuten wirkte das famose Angriffstrio Benzema/Mbappé/Griezmann nun tatsächlich so, als habe man es kurz unter Starkstrom gesetzt. Und nachdem Pogba den Ball dann aus 20 Metern ins Tor von Yann Sommer geschickt hatte, feierten die Franzosen ihr Comeback schon mit einem lässigen Tänzchen - das sich als voreilig erweisen sollte.

Denn die Franzosen blieben verwundbar, vor allem bei Flanken: Dass erneut Seferović einen Kopfball in Lloris' Tor unterbrachte, diesmal nach einer Hereingabe von rechts, legte diese Schwäche erneut schonungslos offen. Und weil Gavranović einen Konter bemerkenswert kaltblütig abschloss, retteten sich die Schweizer in eine hin und her wogende Verlängerung, die torlos blieb.

Nie zuvor (seit 67 Jahren) hatte die Schweiz das Viertelfinale eines großen Turniers erreicht, mehrmals war nach einem leidenschaftlichen Achtelfinale Schluss. Aber diesmal, ausgerechnet gegen den Weltmeister, kam es anders. Für die Schweiz trafen Mario Gavranović, Fabian Schär, Manuel Akanji, Ruben Vargas und Admir Mehmedi ihre Elfmeter. Für Frankreich verwandelten Paul Pogba, Olivier Giroud, Marcus Thuram und Presnel Kimpembe - und dann hielt der Gladbacher Torwart Yann Sommer den Elfmeter von Kylian Mbappé.

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