Frankreich bei der EM 2021:Ausgerechnet eine Stürmerdiskussion

19 KARIM BENZEMA (FRA) FOOTBALL : Hongrie vs France - UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2020 - 19/06/2021 Ant

Tut sich noch schwer: Karim Benzema gegen drei Ungarn.

(Foto: Anthony Bibard/PanoramiC/Imago)

Seit seiner Begnadigung hat Karim Benzema noch in keinem Länderspiel ein Tor erzielt. So langsam fragen sich die Franzosen: Hat es seine umstrittene Rückholaktion zur EM überhaupt gebraucht?

Von Claudio Catuogno

Wer ein Tor schießt und wer keins, das ist rund um eine Fußballmannschaft meistens kein allzu wichtiges Thema, so lange sie gewinnt. Und so haben die Franzosen auch keine große Geschichte daraus gemacht, dass es keiner aus ihrem allseits verherrlichten Sturmtrio war, der in der vergangenen Woche den Sieg gegen den Auftaktgegner Deutschland herausgeschossen hatte, nicht Mbappé, nicht Griezmann, nicht Benzema. Sondern Mats Hummels.

Aber nun haben die Franzosen eben ihr zweites Spiel nicht mehr gewonnen, sondern im Dezibel-Inferno von Budapest dem Gastgeber Ungarn mit Mühe ein 1:1 abgerungen. "Ein Weltmeistertitel und der Status als Favorit wiegen weniger schwer als das Engagement von elf disziplinierten Fußballern, die von einer ganzen Nation getragen werden", kommentierte die Zeitung Le Monde.

Und die Folge dieses 1:1 ist nun, was doch nahezu ausgeschlossen sein müsste in einer Elf, die auf dem Papier mit Offensivgeist und Angriffstalent gesegnet ist wie keine zweite: Ausgerechnet Frankreich führt eine Stürmerdiskussion. Oder jedenfalls die zarte Andeutung einer solchen.

Benzemas EM-Bilanz: 30 Schüsse aufs Tor, null Schüsse ins Tor

Die Geschichte habe gezeigt, schrieb etwa die Sportzeitung L'Équipe am Sonntag, dass die französische Mannschaft in der Lage sei, ein Turnier auch ohne Mittelstürmer-Tor zu gewinnen. Aber "aus persönlichen Gründen" sei es für den Stürmer Karim Benzema jetzt mal an der Zeit, "nach fünf Jahren und acht Monaten Verbannung endlich dieses erste Tor für Les Bleus zu erzielen".

Notwendig sei das "für sein Selbstvertrauen und seine Gelassenheit", aber eben auch "für die Öffentlichkeit: um den Beginn einer Debatte über ihn zu vermeiden" und "um den Sound des Zählwerks auszuschalten", das nun wieder jede Spielminute ohne Benzema-Treffer einmal laut Klick macht. "So wie 2013", erinnerte L'Équipe, "als die Uhr erst bei 1222 Minuten stoppte."

Im Mai hatte der Nationaltrainer Didier Deschamps den Angreifer von Real Madrid zur allgemeinen Überraschung in seine Auswahl zurückgeholt, nach einer langen Zwangspause wegen Benzemas mutmaßlicher Verwicklung in die Sexvideo-Erpressung eines Teamkollegen. Seither hat der 33-Jährige in keinem Testspiel und in keinem EM-Spiel getroffen - bei der Generalprobe gegen Wales (3:0) hatte der Kollege Antoine Griezmann ihm sogar einen Elfmeter überlassen, aber der ging nicht rein.

Und jetzt kommen langsam aber sicher wieder die Zahlen um die Ecke und erhöhen den Druck: 30 Schüsse aufs Tor, null Schüsse ins Tor - das sei Benzemas Bilanz bei bisherigen Europameisterschaften, rechneten Frankreichs Zeitungen vor. Subtext: Hätte es die umstrittene Rückholaktion vielleicht gar nicht gebraucht?

"Er macht gute Dinge", sagt Didier Deschamps über Benzema, "aber die letzte Zuspitzung fehlt."

Dass der Trainer Deschamps sich gegen diese Lesart wehrt, ist wohl keine Überraschung: "Das Entscheidende ist, dass er sein Vertrauen behält - und mein Vertrauen", sagte Deschamps über Benzema. "Das habe ich ihm gesagt. Und mit seiner Erfahrung besteht daran auch kein Zweifel. Er macht sehr gute Dinge, es fehlt nur noch die letzte Zuspitzung."

Die Zuspitzung fehlte insbesondere in jener vielleicht spektakulärsten Angriffsszene, als Kylian Mbappé einen hohen Ball artistisch im ungarischen Strafraum sicherte, ihn mit der Hacke direkt weiter vors Tor legte - wo der heranrauschende Benzema ihn allerdings nicht richtig traf und am Pfosten vorbei setzte.

Den (neben Hummels' Eigentor) einzigen französischen Treffer bisher steuerte Antoine Griezmann in Budapest bei, allerdings auch hier mit der Einschränkung, dass es vorher den Ungarn Willi Orban brauchte, der den Ball unglücklich genau in Griezmanns Lauf hinein abfälschte. Und Mbappé? Auch er ist noch ohne eigenen Treffer, allerdings ist der 22-Jährige erkennbar derjenige, von dem die größte Gefahr ausgeht. Nicht nur, was die Zahl seiner Abschlussversuche angeht (gegen Ungarn waren es sechs), sondern auch im Zusammenspiel auf engem Raum mit den Kollegen.

Bislang wird daher Karim Benzema mit dem kritischsten Blick bedacht. Ein baldiger Treffer des Real-Stürmers "wäre gut für ihn, aber er wäre auch gut für alle anderen", schrieb der ehemalige Profi und heutige Kolumnist Willy Sagnol zum langen Warten auf Benzemas erstes Tor in diesem Jahrtausend. Ansonsten könne Deschamps bald "vor eine schwierige Entscheidung gestellt werden".

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