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Fußball-EM - England vor dem Frankreich-Spiel:Fürchterlich - aber aus den richtigen Gründen

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Das englische Team startet ohne große Hoffnung, ohne Wayne Rooney und mit einer biederen Defensive um Ex-Kapitän John Terry gegen Frankreich in das EM-Turnier. Trainer Roy Hogdson versichert, dass es für England entweder drei wunderbare oder drei fürchterliche Wochen werden.

Raphael Honigstein

Kurz vor dem Abflug in die Ukraine hat sich der überaus vorsichtige Trainer Roy Hogdson doch noch zu einer optimistischen Aussage durchgerungen. "Die Spieler glauben, dass wir Frankreich schlagen können", sagte der 64-Jährige, sehr präzise in der Wortwahl. Überhaupt sei es doch sehr schön, in ein Spiel zu gehen, von dem die Leute sagen, dass die Anderen die Besseren sind: "Die Jungs haben so oft Matches, bei denen Siege erwartet werden und man sich nach einem 2:0 beschwert, dass es kein 4:0 war."

Ein 2:0 gegen die unter Laurent Blanc wiedererstarkten Franzosen erwartet in der Heimat dieses Mal ehrlich gesagt kaum jemand, schon eher ein 0:4. Manchester Uniteds technisch versierte Bulldogge, Wayne Rooney, der einzige Weltklassespieler? Rot-gesperrt.

Frank Lampard, Gary Cahill (Chelsea) und Gareth Barry (Man City) mussten verletzt auf der Insel bleiben, der erfahrene Verteidiger Rio Ferdinand (Man Utd) wurde von Hodgson mit Rücksicht auf das Binnenklima ausgemustert - John Terry soll Anton Ferdinand, Rios Bruder, rassistisch beleidigt haben.

Zurück blieb eine Mannschaft, die mit den jugendlichen Sprintern Ashley Young und Dany Welbeck (Man Utd) und Torhüter Joe Hart von Manchester City ganz vorne und ganz hinten ihre Stärken hat, aber keine überzeugende Mitte. Kapitän Steven Gerrard (Liverpool), der fernab des Platzes oft wirkt, als habe man ihn gegen seinen Willen zur fußballerischen Wehrpflicht für sein Land einbezogen, hat in 92 Länderspielen seine Leistungen aus dem Verein nur selten bestätigen können. "Es ist eine Reise ins Ungewisse", schrieb die Mail on Sunday, "ohne Schlagzeilen der Hoffnung, ohne eitle Sprüche über Weltklasse-Spieler in der besten Liga der Welt."

England, das konnten die Fans am Wochenende noch einmal überall nachlesen, hat noch nie das erste Gruppenspiel bei einer Europameisterschaft gewonnen. Vor acht Jahren, auf dem Höhepunkt der David-Beckham-Manie, führte das Team in Lissabon gegen die Franzosen kurz vor Schluss 1:0, bevor Beckham mit einem verschossenen Elfmeter und Gerrard mit einem verunglückten Rückpass einem jener spektakulären Zusammenbrüche den Weg bereiteten, mit denen sich die vermeintlich goldene Generation haufenweise Denkmäler setzte.

Sechs Wochen nach dem Amtsantritt von Hodgson hat sich das Land endgültig von den Illusionen verabschiedet, aber der Weg zu einer gesünderen, neuen Einstellung ist lange und beschwerlich. Mit dem Engagement des äußerst soliden, in der Außenwirkung eher spröden Fußballbürokraten Hodgson ("Ich setze mir keine Ziele, das sollen andere machen. Ich kann nur dafür sorgen, dass die Mannschaft gut organisiert ist") hat die Football Association (FA) ein Signal gesetzt.

Mit Hybris und Personenkult soll es nun vorbei sein, Inhalte müssen in den Vordergrund rücken. Eine Reform der Jugendausbildung wurde - gegen den Widerstand von verstaubten Funktionären in verstaubten blauen Jacketts - bereits angeschoben, zwischen Manchester und London baut der Verband zudem ein Ausbildungszentrum für Trainer und Elitespieler.

Die EM kommt vor diesem Hintergrund vielleicht eine knappe Dekade zu früh, zumindest hat Hodgson mit seinen überaus verhaltenen Statements mitunter diesen defätistischen Eindruck erzeugt. Am Samstag zuckte der FA-Boss David Bernstein einige Male zusammen, als der frühere Nationaltrainer der Schweiz unangenehm ausführlich zwei hypothetische Szenarien des Scheiterns durchspielte.

Es können wunderbare oder fürchterliche drei Wochen werden", sagte Hodgson, "aber wenn es schon fürchterlich wird, dann wenigstens aus den richtigen Gründen." - "Aus den richtigen Gründen?", fragten die englischen Reporter verwundert. "Damit meine ich, dass die Spieler mich und das Team im Stich lassen. Falls ich merke, dass sie mich reingelegt haben, und dass sie keine guten Jungs sind. Das würde mir mehr weh tun als zu lesen, dass ich taktische Fehler gemacht habe, den falschen Spieler ausgewählt habe, oder dass der Elfmeterpunkt nicht hell genug war."

Was genau der Fußballlehrer damit meinte, blieb nebulös. Man könnte es vielleicht so zusammenfassen, dass er als Sündenbock nicht zur Verfügung stehe. Gerade die Debatte um den Verzicht auf Ferdinand nach der Verletzung von Cahill dürfte jedoch noch einmal aufflammen, da seine neueste Erklärung zu der Personalie doch ein paar logische Löcher aufwies.

Einen erfahrenen Klassemann wie Ferdinand mit seinen 81 Länderspielen nimmt man nicht als Ersatzspieler mit", sagte Hodgson. Rio Ferdinand ist, wenn das man zu Ende denkt, also zu gut für einen Kader, der biederen Defensivkräften wie Phil Jagielka (Everton) und Martin Kelly (Liverpool) Platz bietet. Hodgsons Pech könnte sein, dass er am Ende Recht behält.

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SZ vom 11.06.2012
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