Corona bei der EM:Es droht ein Kader-Ungleichgewicht

Lea Schüller

Lea Schüller feiert mit ihrer Vereinskollegin Giulia Gwinn - Szenen wie diese beim Spiel gegen Dänemark wird es nun erst einmal nicht mehr geben bei dieser EM.

(Foto: Alessandra Tarantino/AP)

"Entspricht nicht meinem Fairplay-Gedanken": Die Bundestrainerin kritisiert nach dem Coronabefund bei Stürmerin Lea Schüller die Regularien der Uefa - es geht um Unterschiede bei Frauen und Männern.

Von Anna Dreher, London

Martina Voss-Tecklenburg war bewusst, dass auch sie das Risiko von Infektionen bei dieser Fußball-Europameisterschaft nicht würde ausschließen können. Aber der Zeitpunkt kam dann doch äußerst unglücklich, und die Spielerin im Kader, die sich das Coronavirus ausgesucht hat, hätte es auch nicht sein müssen. Aber nun ist es geschehen, am Montagmorgen fiel der Covid-19-Test von Stürmerin Lea Schüller positiv aus - und das ausgerechnet vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Titelkandidat Spanien am Dienstagabend in Brentford.

"Wir haben im Vorfeld schon gehört, dass es viele Fälle gibt bei anderen Nationen", sagte die Bundestrainerin auf der Pressekonferenz. "Vor dem Matchday möchte man so eine Nachricht natürlich nicht haben. Aber das Wichtigste ist, dass es Lea gut geht und sie wenige Symptome hat." Die 54-Jährige nahm den Ausfall der laufstarken und torgefährlichen Angreiferin vom FC Bayern zum Anlass, die Europäische Fußball-Union (Uefa) deutlich zu kritisieren: "Ich möchte den Moment nutzen, den Finger in die Wunde zu legen. Wir haben die Uefa vorher gebeten, darüber nachzudenken, ob wir 26 Spielerinnen mitnehmen können", sagte sie zur erlaubten Kadergröße. "Das ist nicht gewährleistet worden, obwohl es die Männer bei der WM machen können."

Bei deren Weltmeisterschaft in Katar können alle Teilnehmer auf ein größeres Aufgebot als gewöhnlich zurückgreifen. Der Weltverband Fifa hatte die Entscheidung damit begründet, Rücksicht auf den ungewöhnlichen WM-Zeitraum (21. November bis 18. Dezember) zu nehmen - und auf mögliche Auswirkungen der Pandemie. Bereits bei der EM 2021 waren 26 Fußballer je Nation zugelassen. Schon weit vor dem Frauenturnier hatte Voss-Tecklenburg die Festlegung der Uefa auf maximal 23 Spielerinnen thematisiert - nun sieht sie sich durch die Ereignisse bei der EM bestätigt.

"Das widerspricht mir als Sportlerin", sagt Bundestrainerin Voss-Tecklenburg

In der deutschen Auswahl hatte es zuletzt im Trainingslager in Herzogenaurach Alexandra Popp erwischt. Die Kapitänin wurde nach ein paar Tagen Quarantäne mit leichten Symptomen rechtzeitig vor dem Abflug fit. Bei den Österreicherinnen infizierten sich vor der EM Stürmerin Lisa Kolb und inzwischen Verteidigerin Laura Wienroither. Carlotte Wubben-Moy von Gastgeber England ist ebenfalls positiv getestet worden, ebenso die Italienerin Valentina Cernoia. Schwer getroffen hat es die Niederlande: Am Sonntag musste Mittelfeldspielerin Jackie Groenen in die Isolation, am Dienstagabend meldete das Team, dass ausgerechnet Top-Stürmerin Vivianne Miedema ebenfalls mit Corona ausfällt. Beide hatten beim 1:1 gegen Schweden durchgespielt. Beim Titelverteidiger kommen die Verletzungen von Stammtorhüterin Sari van Veenendaal und Verteidigerin Aniek Nouwen hinzu.

Corona bei der EM: Martina Voss-Tecklenburg ist angesichts der vorgegebenen Richtlinien der Uefa bei der EM verstimmt - sie hätte sich einen größeren Kader gewünscht.

Martina Voss-Tecklenburg ist angesichts der vorgegebenen Richtlinien der Uefa bei der EM verstimmt - sie hätte sich einen größeren Kader gewünscht.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

"Es wird nicht die Möglichkeit bestehen, Spielerinnen im Turnier nachzunominieren. Das entspricht nicht meinem persönlichen Fairplay-Gedanken, das widerspricht mir als Sportlerin", sagte Voss-Tecklenburg angesichts eines drohenden Ungleichgewichts bei der Teamgröße während der EM-Wochen: "Ich bitte die Uefa, das für künftige Turniere zu überdenken, beziehungsweise vielleicht sogar anhand der jetzigen Situation darüber nachzudenken, ob das nicht zu verändern ist."

Laut Uefa können nur Torhüterinnen bei Verletzung oder Erkrankung während des Turniers ausgetauscht werden. Die Niederlande hat die bereits in die Heimat zurückgekehrte van Veenendaal durch die frühere FC-Bayern-Ersatztorhüterin Jacintha Weimar ersetzt. Schwer verletzte oder erkrankte Feldspielerinnen auszutauschen, sei hingegen nur vor der ersten Partie möglich, hieß es - solange 13 gesunde Spielerinnen inklusive Torhüterin zur Verfügung stünden. Die Uefa rechtfertigte sich auf Anfrage von dpa und sid damit, die Entscheidung getroffen zu haben, als sich die Corona-Lage in Europa gebessert hatte. Zudem sei 2021/22 "eine normale Kalendersaison" gespielt worden.

Statt Lea Schüller könnte nun Alexandra Popp beginnen - oder Laura Freigang

Das deutsche Team, sagte Voss-Tecklenburg, versuche, sich so gut wie möglich zu schützen. Bei allen Besprechungen, die in Innenräumen stattfinden, würden alle stets eine Maske tragen, wie auch auf jeder Busfahrt und bereits bei der mehrstündigen Anreise. Zudem sei getestet worden, obwohl es keine Verpflichtung dazu gab. "Wir haben alles versucht. Und trotzdem muss man die Balance finden", sagte die Bundestrainerin. Ein Team brauche schließlich auch sozialen Austausch und Kontakt: "Das macht es gerade so schwierig."

Lea Schüller, die laut DFB nur leichte Beschwerden hat, kann sich gemäß den Regularien nach fünf Tagen ohne Symptome freitesten. Beim 4:0 zum Auftakt gegen Dänemark hatte sie in der Offensive eine tragende Rolle gespielt. Gegen Spanien und wohl auch am Samstag gegen Finnland fängt nun womöglich Alexandra Popp an, die mit 115 Einsätzen erfahrenste deutsche Nationalspielerin. Nach einer Knieverletzung und Corona war Popp eigentlich als Joker vorgesehen.

Weitere Optionen für ganz vorne wären Laura Freigang, die in 13 Länderspielen bereits neunmal getroffen hat - oder Tabea Waßmuth. "Gott sei Dank können wir fünfmal wechseln", sagte Voss-Tecklenburg. "Von daher brauchen wir nicht unbedingt eine Alternative, sondern vielleicht zwei oder drei Alternativen, die über 90 Minuten Vollgas geben." Diese Regel immerhin hatte die Uefa bei Frauen wie Männern angepasst.

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