Fußball-EM:Nach einer solchen Vorstellung muss man keine Sprüche mehr reißen

Julian Draxler überzeugt gegen die Slowakei mit Hüftwacklern, Dribblings und einem kunstvollen Tor. Joachim Löw kann nun ein bisschen entspannter sein.

Von Thomas Hummel, Lille

Gerade noch rechtzeitig kam Lukas Podolski um die Ecke. "Hey, komm jetzt, genug gequatscht", rief er Julian Draxler zu und packte ihn am Arm. Dabei wollte der gerade erklären, ob nun das Problem auf der linken Offensivseite der deutschen Nationalmannschaft gelöst sei.

Mit Podolski am Arm konnte Draxler nun schlecht sagen: Klar ist das Problem gelöst, das habe ich heute doch gezeigt. Schürrle? Götze? Oder gar dieser Podolski hier? Aber nicht doch. Jetzt bin ich dran, Jule Draxler, an mir kommt keiner mehr vorbei. Stattdessen sagte er: "Es gibt viele Spieler, die das gut machen können, deshalb überlasse ich das dem Bundestrainer, wen er da nun spielen lässt." Was man halt so sagt als höflicher junger Mann, der sich keinen Feind machen will. Und Draxler ist zwar erst 22 Jahre alt, aber dennoch lange genug dabei, dass er weiß: Nach einer solchen Vorstellung auf dem Platz muss man keine Sprüche mehr reißen.

Deutschland hat das Achtelfinale der Europameisterschaft mit 3:0 gewonnen, die Slowakei hatte praktisch keine Chance. Die Elf schlug ein Tempo an, das der Gegner nicht mitgehen konnte, sie stand hinten sicher und führte vorne ein energisches Pressing durch. Kein Spieler fiel ab. Doch ein Spieler fiel besonders auf.

Julian Draxler bot die Szenen, die in Erinnerung bleiben werden. Sein Tor zum 3:0 per Volleyabnahme war nicht von der Gewalt wie der Knaller von Jérôme Boateng, dafür künstlerisch wertvoll mit dem Rücken zum Tor. Dazu sein Dribbling vor dem 2:0 gegen den Berliner Peter Pekarik. Ein Hüftwackler, ein Antritt, ein Sprint und ein Pass auf den Mittelstürmer, der nur noch den Fuß hinhalten muss. So etwas sieht man beim FC Bayern alle drei Tage, aber bei der Nationalmannschaft dürfte seit Pierre Littbarski niemand mehr so formgerecht gedribbelt haben.

"Ich war sehr zufrieden mit ihm heute", erklärte Joachim Löw. Denn genau das hatte er vor dem Spiel von Draxler gefordert: Dribblings, Eins-gegen-eins-Duelle suchen, eine Variante ins deutsche Spiel bringen, die es so vorher kaum gab. Der Wolfsburger kam dem Aufruf des Bundestrainers mit Elan nach, wenngleich er gewisse Schwierigkeiten entdeckte. "Das war nicht einfach, weil unser Spiel sehr darauf bedacht ist, Ballsicherheit zu haben", sagte Draxler. Gehe er dann viermal ins Eins-gegen-eins und verliere dreimal den Ball, dann brauche man die Rückendeckung aller, um es dennoch weiter zu versuchen.

Ein eher theoretischer Ansatz, denn Draxler hatte im ganzen Spiel keine dreimal den Ball verloren. Er wirkte immer sicherer und traute sich bald auch die schwierigsten Tricks zu. "Ich bin jetzt nicht ins Spiel gegangen und habe gesagt: Ich versuche heute mal zu zaubern. Aber es ist viel gelungen, deshalb bin ich froh und glücklich."

Lösung gefunden für eine umkämpfte Position

Joachim Löw wollte von Überschwang freilich auch im Fall Draxler nichts wissen. In der Slowakei erkannte er keinen Gegner der höchsten Kategorie. Soll heißen: Wenn er in Lille zaubert, heißt das noch lange nicht, dass er auch am Samstag in Bordeaux zaubert. Dann stellen sich Italiener oder Spanier in den Weg, und die kennen sich aus mit Hüftwacklern und Antritten. Dennoch könnte Löw ob Draxlers Leistung ein wenig entspannter sein als zuvor. Denn vielleicht hat er nun die Lösung gefunden für eine umkämpfte Position im Team. Manche meinen, für eine Problemposition.

Draxler hatte ja schon zu Beginn des Turniers seine Chance bekommen. Gegen die Ukraine und Polen war er von Beginn an dabei, doch als es nach dem Polen-Spiel zu Rundum-Kritik an der Offensive kam, war es am Ende er, der gegen die Nordiren auf der Bank saß. Er musste schon fürchten, das gleiche Schicksal zu erleiden wie vor zwei Jahren bei der WM, als er bis auf 15 Minuten gegen Brasilien keine Rolle gespielt hatte. "Das war nicht einfach für mich, Spiel für Spiel draußen zu sitzen", erinnerte er sich.

Doch dann fuhr gegen Nordirland durch den Bundestrainer plötzlich ein Zucken. Mario Götze hatte zweimal alleine vor dem Tor den Ball nicht im Netz untergebracht, da sprintete Löw fast zurück zur Ersatzbank und forderte André Schürrle auf, sich sofort ein Trikot anzuziehen. Die Auswechslung folgte sogleich.

Es kam der ewige Podolski

Auch Schürrle traf bekanntlich nicht. Die Spezialkraft für späte Einsätze verrichtete seinen Dienst ansprechend, jedoch nicht überwältigend. Manch einer trauerte bereits den im letzten Moment gestrichenen Karim Bellarabi und Julian Brandt nach, die in Leverkusen auf den Außen eine grandiose Rückrunde gespielt hatten.

In Lille nun brachte Löw den ewigen Podolski am Ende. Die Möglichkeiten in der Offensive sind vielfältig, bis Sonntagabend fehlte aber das Besondere, der Knalleffekt. Eine Leistung, die auch die Mitspieler würdigen würden. Etwa so: "Jule hat ein Superspiel gemacht, er war fast an allen gefährlichen Szenen beteiligt." Das sagte Jérôme Boateng, und was der bei dieser EM von sich gibt, hat bekanntlich Gewicht.

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