Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei der Fußball-EM:Jetzt spielt auch Covid mit

Die stark gestarteten Deutschen stehen vor der größten Herausforderung der Vorrunde - gegen Spaniens Elf, die selbst ohne Weltfußballerin Putellas überragt. Erschwerend hinzu kommt der Corona-Ausfall von Stürmerin Lea Schüller.

Von Anna Dreher, London

Auf ein Mannschaftsfoto hat es Alexia Putellas vor dieser Europameisterschaft noch geschafft. Sie humpelte mit Krücken auf den Rasen, bis sie zwischen Kapitänin Irene Paredes und Patri Guijarro angekommen war. Um sie herum standen all ihre Mitspielerinnen. Putellas suchte einen festen Stand, dann hielt sie zusammen mit Paredes und Guijarro ihr rotes Trikot mit der gelben Nummer 14 in die Kamera. Und auch kurz bevor es für Spanien gegen Finnland im ersten Gruppenspiel ernst wurde, war die Weltfußballerin vom FC Barcelona präsent: Die Rede in der Umkleidekabine hielt sie. "Das war der Schlüssel für den Sieg", sagte Teamkollegin Aitana Bonmati nach dem klaren 4:1.

Wenn die Spanierinnen nun an diesem Dienstag (21 Uhr, Liveticker SZ.de) gegen Deutschland spielen, werden sie ohne Anfeuerung von Putellas auskommen müssen, die 28-Jährige ist zur Reha zurück in die Heimat geflogen. Kurz vor Turnierbeginn hatte sie sich ein Kreuzband gerissen. Und weil Spanien bereits auf die Tore der verletzten Jenni Hermoso (45 Treffer in 91 Partien) verzichten muss, ist das favorisierte Team angeschlagen - aber eben nicht abgeschlagen, wie die Auftaktpartie zeigte. Auch wenn Finnland nicht der Maßstab im Frauenfußball ist, die Entschlossenheit und Einheit der Spanierinnen hat sich deutlich gezeigt, wie auch ihre Stärke bei Standards.

Dies wird auch die DFB-Frauen herausfordern, zumal in Lea Schüller überraschend die Sturmspitze ausfällt: Die 24-Jährige vom FC Bayern wurde am Montag positiv auf das Coronavirus getestet und mit leichten Symptomen isoliert. Schüller (26 Tore in 40 Länderspielen) traf auch beim 4:0 gegen Dänemark zum EM-Auftakt, bevor sie für Alexandra Popp ausgewechselt wurde - die sich wiederum vor der EM mit Covid-19 infiziert hatte. "Zwei Jahre habe ich es geschafft, es nicht zu bekommen und einfach nur gehofft, es nicht während oder kurz vor der EM zu kriegen", schrieb Schüller bei Instagram, nun ist es doch passiert. Man teste, so gut es geht, könne aber "das Risiko nicht zu 100 Prozent minimieren", sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Nun also beeinträchtigt Corona die Deutschen auch beim Turnier, just vor dem Duell mit dem stärksten Gruppengegner.

Seit 24 Länderspielen ist Spanien ungeschlagen - das Torverhältnis in der WM-Qualifikation war 48:1.

Vier verschiedene Torschützinnen im ersten Spiel zeigen Spaniens Klasse und Variabilität, die sich größtenteils aus den Reihen des FC Barcelona ergibt. Für die EM wurde zwar die bestens harmonierende Mittelfeldachse aus Putellas, Guijarro und Bonmati durchbrochen. Größere Probleme aber scheint den Spanierinnen das nicht zu bereiten. Wohl kaum ein Team ist derart eingespielt, zudem wird es bereits seit 2015 von Jorge Vilda, 41, trainiert. Titel hat den Spanierinnen das alles noch nicht gebracht, bestes Ergebnis bei einer EM war 1997 das Halbfinale, aber lange dürfte es nicht mehr dauern. In England jedenfalls treten sie mit dem Selbstbewusstsein aus nunmehr 24 Länderspielen ohne Niederlage an (seit März 2020). In der WM-Qualifikation schafften sie zuletzt ein Torverhältnis von 48:1.

"Spanien macht sehr viel sehr gut", sagte am Wochenende Joti Chatzialexiou, seit 2018 Leiter Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), und prognostizierte auch mit Blick auf die Erfolge der Jugend-Auswahlen: "Ich glaube, dass der spanische Frauenfußball dominierend sein wird, weil ich sehe, was da heranwächst, welche Spielerinnen da ausgebildet werden. Deshalb reisen wir immer wieder nach Spanien, um das Geheimnis zu lüften." Trifft also am Dienstag im Brentford Community Stadium im achtmaligen Europameister Deutschland die Vergangenheit auf die Zukunft?

So würde das beim DFB natürlich niemand sagen. Das wäre auch ungerechtfertigt, gerade nach der überzeugenden Leistung gegen Dänemark. Vor dem Turnier herrschte international Unschlüssigkeit, wo diese einst so dominante Nation Deutschland 2022 einzuordnen sei. Ein paar entschlossen abgewehrte Angriffe, viele kreative Spielzüge und zahlreiche donnernde Abschlüsse später sind die DFB-Frauen aber wieder aufgestiegen zum Titelanwärter - und werden gelobt für ihren begeisternden Spielstil.

Dänemark jedoch war ein weniger eingespielter Startgegner als Spanien, und in Pernille Harder boten die Däninnen zwar eine herausragende Stürmerin auf, insgesamt aber weniger Klasse als Deutschlands zweiter Gruppengegner. Der dürfte mit einem ganz anderen Selbstverständnis, mit mehr Ballbesitz und wesentlich torgefährlicher auftreten.

"Spanien wird uns anders fordern. Da müssen wir ein sehr gutes Pressing spielen und kompakt bleiben, weil sie sich mit ihrem Kurzpassspiel gerne durch die Reihen spielen", sagte DFB-Abwehrchefin Marina Hegering. "Sie werden uns früh unter Druck setzen, da müssen wir Lösungen parat haben. Wir müssen uns gegenseitig Sicherheit geben." DFB-Torhüterin Merle Frohms ergänzte: "Sie haben Offensivpower und viele individuell starke Spielerinnen, die ein Spiel entscheiden können." Die 27-Jährige bestreitet ihre erste EM als Nummer eins und rückt nun wie die gesamte deutsche Defensive stärker in den Fokus.

Die deutsche Defensive muss sich beweisen, sie wirkt aber bisher keineswegs verunsichert.

Vom bisher letzten großen Turnier, der WM 2019, sind zwei Patzer in der deutschen Verteidigung im Kopf geblieben, die den zweimaligen Weltmeister im Viertelfinale gegen Schweden das Weiterkommen und auch die Olympia-Qualifikation kosteten. Beim 1:1 verschätzte sich damals Hegering bei einem langen Ball, dem 1:2 ging eine schlechte Abstimmung der Viererkette voraus, die bei einem schnellen schwedischen Angriff nicht hinterherkam.

Drei Jahre später wirkt die Defensive von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg aber alles andere als verunsichert. Die Innenverteidigung mit Hegering und Kathrin Hendrich - beide einst beim FC Bayern und ab nächster Saison beim VfL Wolfsburg wieder vereint - leistete sich gegen Dänemark kaum Fehler, arbeitete gut nach vorne und auch die Kommunikation mit der künftigen VfL-Klubkollegin Frohms funktionierte. Und das, obwohl Hegering vor der EM verletzungsbedingt kaum gespielt hatte.

Die Außenverteidigerinnen, Felicitas Rauch (Wolfsburg) auf der linken und Giulia Gwinn (Bayern) auf der rechten Seite, vervollständigen die Kette. Und gemäß einer von Rauch zitierten Fußballweisheit - "Die Abwehr beginnt immer vorne, genau wie das offensive Spiel schon hinten beginnt" -, wehrte auch das Mittelfeld mit Sara Däbritz, Lina Magull und der unermüdlich ackernden Lena Oberdorf gegnerische Annäherungen ab. "Wenn eine von uns den Ball verloren hat, waren zehn andere da. Alle haben sich gegenseitig unterstützt", sagte Oberdorf.

"Wir müssen das Duell mit den Spanierinnen annehmen, ohne unser Spiel zu vergessen", sagte Voss-Tecklenburg. Ihre Devise lautet ohnehin, sich aufs eigene Spiel zu fokussieren und dieses dem Gegner aufzuzwängen, statt dem Ball hinterherrennen zu müssen. Das Selbstbewusstsein ist nach dem guten EM-Start gestiegen: "Die Gegner müssen erst mal Mittel und Wege finden, uns zu stoppen, wenn wir wieder so spielen", betonte die Trainerin. Und auch die Statistik macht Mut: Das jüngste von bisher sechs Duellen mit Spanien endete im Februar 1:1, eine Niederlage gab es noch nie.

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