Mageres 0:0 gegen die Ukraine:Belgien zieht ins Achtelfinale ein – und wird ausgepfiffen

Lesezeit: 2 Min.

Repräsentativ für die Einfallslosigkeit der Belgier? Die einzige nennenswerte Torannäherung hatte Kevin De Bruyne (re.) und setzte den Schuss ans Außennetz. (Foto: Carl Recine/Getty Images)

In einem Nervenspiel qualifiziert sich Belgien für die K.-o.-Runde und trifft nun auf Frankreich. Die besseren Chancen haben die Ukrainer, die am Ende unglücklich ausscheiden.

Von Sven Haist, Stuttgart

Fast durchweg lief Domenico Tedesco unruhig in seiner Coaching-Zone im Stuttgarter Neckarstadion umher. Mal hatte er die Hände in der Hüfte, mal in der Hosentasche. Mit zunehmender Matchdauer gestikulierte er immer mehr in Richtung seiner Spieler auf dem Platz. Er versuchte zwar, Gelassenheit auszustrahlen. Aber je mehr sich die Tabellensituation in der Gruppe E zuspitzte, desto angestrengter wirkten seine Anweisungen. Weil auch die parallel laufende Partie zwischen der Slowakei und Rumänien auf ein Remis hinauslief und dann auch so endete (1:1), hätte nur ein einziges Tor für die Ukraine in der Schlussphase das Aus für Tedescos Belgier bedeutet. Es wäre eine Blamage sondergleichen gewesen, mehr noch als das peinliche Vorrundenaus bei der WM 2022.

In der 83. Spielminute wäre dieses Schreckensszenario aus belgischer Sicht beinahe eingetroffen. Der scharf aufs Tor gewuchtete Eckball von Ruslan Malinowskyi überraschte Belgiens Torwart Koen Casteels. Der konnte den Ball gerade noch vor der Torlinie abfangen. Ein solches Gegentor wäre für Tedesco einem Unding gleichgekommen. Am Ende rettete Belgien ein nervöses 0:0 über die Zeit. Das Ergebnis brachte zwar den Einzug ins Achtelfinale, aber den Fans war das nicht genug: Sie pfiffen Tedescos Team hinterher ohrenbetäubend aus. Am Montag geht es in der nächsten Runde gegen den Mitfavoriten Frankreich. Alle Teams der Gruppe E beenden die Vorrunde mit jeweils vier Punkten.

Für die Ukraine ist die schlechteste Tordifferenz aber gleichbedeutend mit dem EM-Aus. Aus der Ferne spendete Präsident Wolodimir Selenskij umgehend Trost. „Wir danken dem ukrainischen Team, das trotz des unglücklichen Ausgangs für uns als Nation gekämpft hat“, schrieb er auf der Plattform X.

Aufgrund der komplizierten Ausgangslage in der Gruppe entwickelte sich ein von der aktuellen Tabellensituation geprägtes Spiel. Beide wollten keinesfalls in Rückstand geraten und zogen sich bei gegnerischem Ballbesitz weit zurück. Um die gefährlichen Schnittstellenpässe der Belgier zu verhindern, stellte Ukraines Trainer Serhij Rebrow sogar die Grundordnung um, er formierte statt einer Vierer- eine Fünferabwehrreihe. Zudem verzichtete er auf den spielstarken Linksverteidiger Oleksandr Sintschenko.

Die Strategie war auf aggressives Verteidigen und Konter ausgelegt, was sich mehrmals gut anließ. Obwohl Außenangreifer Mychajlo Mudryk verletzt passen musste, gelang es der Doppelspitze Artem Dowbyk und Roman Jaremtschuk immer wieder, den Ball vorn zu behaupten und abzulegen. Die Ukrainer kamen so überraschend immer wieder zum Abschluss: Bei der besten Chance unmittelbar vor der Halbzeit verpasste Dowbyk eine Flanke von Jaremtschuk minimal.

Die einzige nennenswerte Torannäherung vor der Pause zeigt die Einfallslosigkeit der Belgier

Anders als die Ukraine verfiel Belgien in der Defensive weiter in Passivität. Bisweilen war der Elf die Sorge vor einem erneut ernüchternden Aus anzumerken. Trotz der Qualität in der Offensive konnten sich die Belgier aus dem laufenden Spiel heraus zunächst keine Gelegenheit kreieren. Die dribbelstarken Außenstürmer Jeremy Doku und Leandro Trossard aus der Premier League blieben ebenso wirkungslos wie Zielspieler Romelu Lukaku. Alle drei Spieler wurden später vorzeitig ausgewechselt. Als Folge waren dem belgischen Spielmacher Kevin De Bruyne die Optionen genommen, mit seinen Präzisionszuspielen die ukrainische Abwehr auszuhebeln. Repräsentativ für die Einfallslosigkeit der Belgier war die einzige nennenswerte Torannäherung vor der Pause: De Bruyne schoss eine Freistoßflanke aus der Ferne direkt ans Außennetz.

Dezente Freude: Belgiens Trainer Domenico Tedesco nach dem Abpfiff. (Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

Belgien erhöhte immerhin das Tempo, dominierte das Geschehen – ohne aber wirklich Druck aufzubauen. Aus dem taktisch angelegten Match entwickelte sich in der zweiten Halbzeit dann ein Nervenspiel. Nach Ballverlusten der Ukrainer ergaben sich für Lukaku und den eingewechselten Yannick Carrasco nach einer Stunde zwei Konterchancen, Lukakus Schlenzer rollte letztlich auf das Tor zu und Carrasco wurde rechtzeitig eingeholt.

In der Schlussphase spielte Belgien einige weitere Gegenstöße unsauber aus. Dies ließ Tedesco weiter bangen – bis er nach dem Abpfiff mehrmals vehement die Hände zu Fäusten ballte.

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