Süddeutsche Zeitung

Europameisterschaft:Der Modus der EM 2020 ist zu kompliziert

Die Europameisterschaft 2020 ist mit zwölf Gastgebernationen schon beispiellos unübersichtlich. Durch den Quali-Modus sorgt die Uefa endgültig für Überdruss.

Kommentar von Philipp Selldorf

In der Stammtischrunde, die sonntags unter dem Serientitel "Doppelpass" im TV tagt, erzählte Stefan Effenberg, dass er am Samstagabend 25 Minuten nach dem Anpfiff in Mönchengladbach entschieden habe, genug gesehen zu haben vom Länderspiel gegen Weißrussland, er sei dann lieber ins Bett gegangen. Effenberg berichtete dies mit einem Ausdruck der Entrüstung, als hätte man ihm eine Zumutung angetan, weshalb er die Höchststrafe vollzog, indem er den Ausschaltknopf betätigte.

Ungeachtet der Frage, ob diese Schilderung ein qualifizierter Kommentar zum eigentlichen Thema war - nämlich dem Auftritt und Zustand der deutschen Mannschaft -, und abgesehen davon, dass es ja eigentlich nie verkehrt sein muss, den Fernseher auszuschalten, hat Effenberg ein berechtigtes Anliegen angesprochen.

Was soll das bringen, wenn Deutschland gegen Weißrussland spielt, Frankreich gegen Moldawien und Spanien gegen Malta? Diese Partien beruhen auf dem altbekannten System der Qualifikationsrunden, die vor großen Turnieren stattfinden, damit haben sich schon die Väter und Vorväter von Gnabry, Kimmich & Co herumgeschlagen - das ändert aber nichts daran, dass diese Sorte von Fußballspielen zunehmend einen Konstruktionsfehler im Terminkalender darstellt.

Stress-Symptome bei den Akteuren, Überdruss beim Publikum

Die Uefa hat das im Grunde richtig erkannt und deshalb die Nations League gegründet, die in ein Klassensystem gegliedert ist und Gleiche gegen Gleiche antreten lässt. Allerdings ist dieser Wettbewerb als zusätzlicher Pflichtbetrieb eingeführt worden, was bei den Akteuren für Stress-Symptome sorgt und beim Publikum für Überdruss. Obendrein hat ihn die Uefa mit Qualifikationsprozeduren verknüpft, was nun dazu führt, dass der ohnehin beispiellos unübersichtlich gestaltete Modus der EM 2020 mit zwölf Gastgebernationen noch komplizierter geworden ist.

Wenn es die Deutschen jetzt doch noch schaffen sollten, als Gruppensieger vor den Holländern abzuschließen, dann hat das nicht die logische Folge, dass ihnen daraus bei der Auslosung für die EM in Gestalt weniger schwerer Gegner ein sportlicher Vorteil entsteht.

Es hat womöglich sogar erst mal gar keine Folge, weil niemand weiß, wie sehr die am 30. November stattfindende Auslosung überhaupt Bestand haben wird. Denn im Frühjahr werden aus dem Feld der Nations-League-Teilnehmer die letzten noch offenen vier EM-Fahrer ermittelt, und deren Zusammensetzung könnte bisher getroffene Dispositionen über den Haufen werfen. Weshalb die Uefa den 1. April als Termin für eine eventuelle zweite Auslosung reserviert hat.

Gewiss ist Folgendes: Deutschland wird in der EM-Vorrunde weder gegen England, Spanien, Holland oder Italien spielen müssen. Dafür könnten Ungarn und die Ukraine als Gegner schon vor der Auslosung feststehen. Es sei denn, die Ukraine wird im Frühjahr wieder umgetopft und in eine andere Gruppe gesteckt. Am besten schaltet man wohl erst wieder ein, wenn am 12. Juni 2020 das Eröffnungsspiel der EM stattfindet.

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SZ vom 18.11.2019/jbe
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