Fußball:Pandemie-EM bleibt Pandemie-EM

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Eng zusammen in einer Stadt mit hohen Infektionszahlen: Insgesamt 86 Positivtests gab es bislang unter den finnischen Fans, die aus Sankt Petersburg zurückkehrten. (Foto: Dmitri Lovetsky/AP)

Spätestens mit den Positivtests vieler Fans und den Reisewarnungen für London ist das Turnier von der Corona-Realität eingeholt worden. Man muss es deshalb nicht verteufeln - aber man sollte dies auch nicht vergessen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Wie wichtig eine friedliche Zusammenkunft von Fans für ein Duell zwischen England und Deutschland ist, das wussten schon die Lightning Seeds, und vielleicht hat es niemand jemals schöner dargestellt als sie. Die Band, die anlässlich der im Mutterland des Fußballs ausgerichteten EM 1996 "Football's coming home" sang, hat die Hymne seitdem mehrmals neu aufgelegt, völlig zu Recht, weil sie zeitlos schön ist - und weil der Fußball zumindest in Form eines Pokals immer noch nicht auf die Insel heimgekehrt ist.

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Von Sebastian Fischer

In der Version vor der WM 1998 in Frankreich kommt es im dazugehörigen Musikvideo zur Revanche der Engländer für die Niederlage gegen Deutschland im EM-Halbfinale 1996. Dafür treffen englische Fans (inklusive der Band und Robbie Williams als Zuschauer) auf einem französischen Parkplatz auf eine Gruppe deutscher Fans, die hässliche Perücken, Schnäuzer und Kuntz-Trikots tragen - der Name des damaligen Stürmers liest sich wie eine englische Beleidigung. Es sind allerdings die Details der Szenerie, die sie so schön machen. Der deutsche Kapitän trägt bei der Platzwahl ein Magazin mit dem gerade so zu erahnenden Titel "Wool Socks", Wollsocken, in der Gesäßtasche. Und im Spiel trifft die deutsche Vokuhila-Auswahl mit einem missratenen Kopfball einen Mercedes.

Man könnte sich nun durchaus vorstellen, wie so eine völkerverständigende Begegnung im Sommer 2021 aussehen würde, vor dem Achtelfinale der deutschen Mannschaft in London am Dienstag. Stereotyp wären inzwischen wohl eher peinliche Schland-Hüte als Schnurrbärte. Flanken und Kopfbälle sind auch nicht mehr charakteristisch für das deutsche Spiel. Und passender als ein lädierter Benz wäre es inzwischen, wenn der Ball im Auspuff eines umweltverschmutzenden VW stecken bliebe. Aber man sollte sich das lieber nicht vorstellen. So ein Kick auf dem Parkplatz bräuchte sehr gewissenhafte Vorbereitung, mindestens fünf Tage Quarantäne bis zum dritten negativen Corona-Test. Und vernünftig wäre er natürlich auch nicht, da er im Virusvariantengebiet stattfände.

Sechs Spiele in Sankt Petersburg wirken angesichts der hohen Zahlen und laschen Maßnahmen beinahe zynisch

Zwei Wochen ist die EM im Pandemiesommer 2021 nun alt, und man kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass das Turnier von einer absehbaren Realität eingeholt worden ist - nicht nur wegen der aktuellen Warnung vor Reisen deutscher Fans nach London. Zunächst gab es sie ja wirklich, mal fernab von den Gehässigkeiten ungarischer Hooligans: Fußballfans, die andere Fußballfans in freundlicher Absicht trafen, in Sankt Petersburg zum Beispiel, vor dem Spiel der Finnen gegen Russland. Allerdings steigen leider just in Sankt Petersburg die Infektionszahlen längst wieder rasant, weshalb nun aus Finnland die wenig überraschenden Konsequenzen Tausender Fan-Reisen vermeldet wurden: 86 Positivtests gab es bislang unter den Rückkehrern. In Dänemark sollen 4000 Stadionbesucher zum Test kommen, weil bei drei Zuschauern die Delta-Variante nachgewiesen wurde.

Man muss nun nicht gleich die ganze EM in die Pfanne hauen, wie es irgendein Immer-alles-Besserwisser auf Twitter sicher schon vorgeschlagen hat. Eine EM in der Pandemie, eine paneuropäische zumal, mit unterschiedlichem Infektionsgeschehen an elf Austragungsorten, war immer eine Idee mit Widersprüchen. Nun treten sie eben zutage.

In München sind Spiele mit 13 000 Fans völlig plausibel. In Sankt Petersburg mit seinen steigenden Zahlen (mehr als 1000 Neuinfektionen, also mehr als in ganz Deutschland) und ganz besonders laschen Maßnahmen (ein Test am Stadioneingang, zum Beispiel, war nicht nötig) wirken sechs Vorrundenpartien (die meisten aller Austragungsorte) rückblickend beinahe zynisch. Dass nun die Gästefans in London fehlen, ist einfach nur logisch. Es ist schlichtweg eine Erinnerung, dass die "Euro 2020" im Sommer 2021 keine gewöhnliche EM ist.

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