Fußball:Ein Hör-Buch zum Geburtstag

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Nolens, volens zum Club-Fan geworden: Günther Koch wird 80 Jahre alt, sein Leben ist nun in einer Biografie nachzulesen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Reportieren als Obession: Günther Koch, 80, hat eine der bekanntesten Fußballstimmen Deutschlands. Viele seiner Reportagen sind jetzt nachzulesen - in einer bemerkenswert ehrlichen Biografie über einen, der gerne spricht und sich gerne hört.

Von Markus Schäflein

Am 28. April 2019 hat sich Günther Koch ausnahmsweise mal getäuscht. Als Radioreporter hat er unzählige Szenen in Fußballspielen antizipiert, er bekam darin mit den Jahren ja eine gewisse Routine, weil fast alles, was im Fußball überraschend erscheint, halt doch schon mal da war. Von weit mehr als 1000 Partien hatte Koch schon berichtet, über 500 Mal vom 1. FC Nürnberg. Aber diesmal, als es in der 91. Minute einen Elfmeter gab für den Club beim Stand von 1:1 gegen Bayern München, da rief Koch: "Behrens, bitte nicht schießen! Wer schießt? Wer schießt? (...) Lass es den Leibold machen!"

Und in der Tat legte sich dann nicht Hanno Behrens den Ball zurecht, sondern Tim Leibold. Da ahnte Koch dann plötzlich doch etwas: "Bitte, bitte, Leibold, mach kein' Schmarrn! Achtung!" Und dann: "Nein! Nein! Das ist der Club! Ich halt es nicht aus! Liebe Freunde, das passiert nur dem Club." Leibold hatte nämlich einen Schmarrn gemacht, den Koch dann noch erläuterte: "Wollt ihr wissen, wo er hingeschossen hat? An den Pfosten rechts unten." Der Sensationssieg, der den Nürnbergern im letztlich aussichtslosen Kampf um den Bundesliga-Verbleib etwas Hoffnung gemacht hätte, blieb aus.

Seine Nachfolger haben aus Kochs Sicht zum größten Teil "Ministranten- oder Quarkstimmchen"

Die Reportage des Spiels gegen die Bayern für das Nürnberger Fanradio vor gut zweieinhalb Jahren war noch einmal ein Höhepunkt in der Laufbahn von Günther Koch, der an diesem Montag 80 Jahre alt wird. Nachzulesen ist sie, wie zahlreiche Reportagen Kochs, in dem Buch "Wir melden uns vom Abgrund - ein Leben als Fußballreporter" (Verlag Antje Kunstmann), das der mit Koch befreundete Frankfurter Autor und Fußballfan Jürgen Roth geschrieben hat. Es ist eigentlich ein Hör-Buch - die Stimme von Koch muss man kennen und im Kopf haben, damit es wirkt.

Andererseits: Wer kennt Kochs Stimme nicht, wenn er sich für Fußball interessiert? Sie zählte über Jahre hinweg zu den prägnantesten in "Heute im Stadion" auf Bayern 1 und der so genannten ARD-Schlusskonferenz. Die Faszination seiner Reportagen hatte aber auch einen anderen Grund - er traute sich im Gegensatz zu den meisten Kollegen, parteiisch zu sein: "Im Radio kann man parteiisch und doch objektiv sein. Wenn man an der Stimme merkt, dass dir etwas wehtut, ist es okay - so lange es sachlich richtig ist."

Reportieren ist eine "Obsession" für Koch, wie Roth schreibt: "Riefe ein Sender an, er würde sofort ans Mikrofon zurückkehren." Seine Nachfolger haben aus seiner Sicht zum größten Teil "Sparstimmen", "Konfirmandenstimmen" und "Ministranten- oder Quarkstimmchen". Das Buch ist nicht nur eine Mischung aus gedruckten Reportagen und Gesprächen sowie Kochs ungewöhnlicher Biografie als Reporter - sondern vor allem ein bemerkenswert ehrliches Portrait über einen, der gerne spricht und sich gerne hört.

Koch wird auch in Zukunft für das Club-Fanradio im Einsatz sein - und erläutert in einem Podcast des Vereins den "Bericht zur Gesellschaftlichen Verantwortung" des 1. FC Nürnberg. Als er aus München nach Nürnberg kam, war er allerdings noch ausschließlich FC-Bayern-Fan. 1964 zog er nach Franken, weil er seine erste Stelle nach dem Lehramtsstudium an der Peter-Henlein-Realschule in Eibach erhielt. Das 3:7 der Münchner im Frankenstadion in der Nürnberger Meistersaison 1967/68 erlebte er auf seine Weise: "Das war nicht mal ein besonderes Spiel. Da war halt jeder Ball drin. Ich dachte mir: Da geh' ich nie mehr rein in dieses Stadion."

"Durch die Arbeit habe ich nolens, volens irgendwann gemerkt: Ich bin ja Club-Fan geworden."

Das war ein großer Irrtum. Denn mit 35 Jahren schrieb er auf Anregung seiner zehnjährigen Tochter - und aus Wut über seiner Meinung nach miserable Radioreportagen von Fußballspielen - einen Brief an den Bayerischen Rundfunk und bot sich als "bessere Alternative" an. Er durfte Probereportagen machen und am 3. April 1977 sein Debüt beim Zweitligaspiel Hof gegen Augsburg geben. Er blieb als Lehrer in Teilzeit tätig, arbeitete dazu als Radioreporter. Bald betrat er das Frankenstadion fast jedes zweite Wochenende. "Durch die Arbeit habe ich nolens, volens irgendwann gemerkt: Ich bin ja Club-Fan geworden", sagt Koch. Ob er wirklich das Wort Cluberer erfunden hat, ist fraglich - aber er hat es auf jeden Fall überregional populär gemacht. Wegen dieses Begriffs rief ihn sogar ein BR-Redakteur aus München an, ob er es nicht mal sein lassen könne mit seinen Wortschöpfungen. Koch erklärte ihm: "Die reden hier halt so: Taxifahrer - Taxerer. Postbote - Posterer. Ich dachte mir: Club - Cluberer. Das ist doch normal."

2006 gab Koch seine Tätigkeit beim Bayerischen Rundfunk im Streit auf, bis 2011 arbeitete er beim Fußballradio 90elf. Beim 1. FCN spielte er auch danach noch eine wichtige Rolle: Von 2011 bis 2020 saß er im Aufsichtsrat und bereitete manchen Kollegen und Vorständen Stress durch seinen kritischen Geist und seinen Drang, ihn kundzutun. Vor den Heimspielen machte er mit einem Mikrofon Mitgliederwerbung am Stadion. Und im Keller seines Bungalows in Nürnberg-Langwasser hat er ein riesiges Club-Archiv. Dennoch nahmen ihm aufgrund seiner langjährigen - auch im Radio zu hörenden - Sympathie für den FC Bayern manche Franken den Club-Fan nicht ab, was sich auch in Hörerpost niederschlug: "Der alte Depp soll seine BAUERN kommentieren und uns nicht mehr erzählen, dass er ein Cluberer ist. Koch = BAUERNPACK!"

Auch derlei Zuschriften sind in dem Buch zu lesen, hauptsächlich aber natürlich Lob, von Hörern, Kollegen, Cluberern. "50, 70 oder 80 Lobeshymnen" enthalte das Buch, sagt Koch selbst. Sein Lieblingsvogel ist ja der Gimpel, wie er Roth erzählt - "weil mein Klassenleiter, der Florschütz Günter, aus dem Krieg zurückgekommen, gefürchtet in München-Schwabing, mit nur einem Arm und einem Bein, immer gesagt hat: Koch, Sie sind ein richtiger Gimpel! Ich wusste gar nicht, was ein Gimpel ist."

Ein bunter Vogel, "mit so einer Brust" (Roth). Heute weiß Koch, was ein Gimpel ist, und er weiß auch, dass der Florschütz Günter in dieser Hinsicht Recht hatte. Dass Koch so gerne im Mittelpunkt steht, hat ihn zu dem gemacht, der er ist. Und was gäbe es für einen Gimpel Schöneres zum Geburtstag, als ein Buch über sich selbst.

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