Hamdi Al-Kadri wirkt angespannt, als er sich aufwärmt. Fünf Minuten joggt er auf der Stelle und lässt die Arme kreisen, seine schnellen Hüpfer hallen durch den Gang des Vereinsheims. "Nein, nervös bin ich nicht", versichert er und steckt sorgfältig die Karten für das Spiel ein, die gelbe in die vordere Hosentasche, die rote hinten. Als er die Trillerpfeife testet und alle zusammenzucken, schaut er kurz auf und grinst schelmisch. Er hat das alles ja auch schon tausendmal erlebt: Hamid Al-Kadri, 51 und aus Syrien, ist ehemaliger Fifa-Schiedsrichter. Jetzt steht er in der Nähe eines Fußballplatzes in der oberpfälzischen Provinz, den man erst erreicht, wenn man an zwei schwarz-weißen Ponys vorbei und unter einer Autobahnbrücke hindurch gelaufen ist, um die Begegnung zwischen Pilsach und Oberwiesenacker in der A-Klasse zu leiten. Es war ein weiter Weg für ihn.
1985 pfiff Al-Kadri sein erstes Spiel in seinem Heimatland Syrien, dann stieg er in zwölf Jahren bis zum Fifa-Schiedsrichter auf. Danach leitete er Spiele in 45 Ländern, stand mit dem Fähnchen an der Seitenlinie oder hielt Tafeln mit der Nachspielzeit in die Höhe, von Malaysia über Bahrain bis zur WM 2006 in Deutschland. Für den syrischen Fußballverband koordinierte und beobachtete er Schiedsrichter, war Geschäftsführer der Schiedsrichterkommission, er betreute syrische olympische und paralympische Teams und trat im Fernsehen als Experte auf.
Seine Kinder Leen und Ali begleiten ihn zum Spiel
Das Pfeifen, die Reisen, die Karriere: Mit dem Bürgerkrieg, der 2011 in Syrien ausbrach, wurde das alles unmöglich für Al-Kadri. Sechs Jahre lang leitete er kein Spiel, bevor er und seine Familie über Jordanien nach Deutschland kamen. Seine Frau und die beiden älteren Kinder flohen zuerst: mit Schleppern übers Mittelmeer, zu Fuß durch die Hitze in Griechenland. Mitte 2016 wurde der Familiennachzug genehmigt, am 23. August stieg Al-Kadri mit den zwei jüngeren Töchtern in Deutschland aus dem Flugzeug.
Eine Patin, die sich ehrenamtlich um die Familie kümmert, organisierte für ihn den Kontakt zum Fußballverein SV Postbauer, in dem er jetzt kostenlos Mitglied ist und Schiedsrichtertreffen der Gruppe Neumarkt besucht. Die Begegnung zwischen Pilsach und Oberwiesenacker ist die erste, die er in Deutschland pfeift, bei der WM 2006 hatte er als fünfter Offizieller unter anderem im Gruppenspiel der Italiener gegen die USA im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern vor 46 000 Zuschauern auf Abruf bereitgestanden. Höher als bis zur Kreisliga kann er nicht mehr aufsteigen: Er ist zu alt. A-Klassen-Spiele in der Oberpfalz werden Al-Kadris neuer Alltag sein.
Kurz bevor das Spiel beginnt, verstaut er in seiner Brusttasche die Notizkarte, auf der er später die Wechsel und Strafen vermerken wird. Die Trikotfarben der Mannschaften stehen auf der Karte, seine Kinder Leen, 18, und Ali, 17, haben ihm die arabische Übersetzung darunter geschrieben. Die beiden begleiten ihn als Dolmetscher, Al-Kadri selbst sagt bisher kaum mehr als "danke", "bitte" und "hallo" auf Deutsch. Auch einige Fußballbegriffe kennt er, Tor, Abseits, aber wenn er sie braucht, fallen sie ihm nicht immer ein. Dass er nach den Spielen selber den obligatorischen elektronischen Spielberichtsbogen ausfüllen könnte, ist utopisch. "Wenn es die wenigstens auf Englisch gäbe", meint er, "dann wäre das kein Problem, das habe ich bei der Fifa ja auch schon gemacht." Gibt es aber nicht. Bei dem ganzen bürokratischen Drumherum soll ihm ein Paten-System helfen, ein deutscher Schiedsrichter begleitet ihn zu den Spielen und unterstützt ihn.