Fußballer Andreas Nägelein in Hongkong:Abenteuer des Nie Ling Fung

Hong Kong vs Argentina

Andreas Nägelein (l.), auf dessen Nationaltrikot "Nie Ling Fung" steht, im Zweikampf mit Argentiniens Enzo Perez.

(Foto: Alex Hofford/dpa)
  • Aus der deutschen Provinz in 30-Millionen-Städte: Andreas Nägelein aus Franken bestreitet am Donnerstag sein neuntes Länderspiel für Hongkong.
  • Seine Geschichte erzählt von einer fernen Welt des Fußballs.

Von Johannes Kirchmeier

Knapp zwei Jahre ist es her, da machte der fränkische Fußballer Andy Nägelein als 32-Jähriger sein erstes Länderspiel. Die Nationalhymne, den Marsch der Freiwilligen, konnte er nicht mitsingen. Das kann er nach wie vor nicht. Er spricht kein Chinesisch. Trotzdem ist er seit dem 15. Oktober 2013 nicht mehr aus der Auswahl Hongkongs wegzudenken. Er ist ein Führungsspieler in dem Land, in dem er geboren wurde und aus dem seine Mutter stammt.

Am Donnerstagmittag europäischer Zeit trifft Nägelein in der WM-Qualifikation nun mit Hongkong auf China, das Highlight seiner Fußballkarriere. "Es ist so etwas wie ein Derby für mich", sagt er voller Vorfreude. "Meine Verwandten in Asien und ich fiebern dem Spiel schon lange entgegen." Andere Franken denken bei einem Derby natürlich an den 1. FC Nürnberg gegen Greuther Fürth. Und tatsächlich liegen der Spielort Shenzhen und Hongkong ähnlich nah beieinander wie Nürnberg und Fürth - "Shenzhen und Hongkong sind nur 30 Mal größer", sagt Nägelein.

Sein neuntes Länderspiel

Er ist gerade noch rechtzeitig fit geworden, um sein neuntes Länderspiel bestreiten zu können, nachdem er sich mit einer Achillessehnenverletzung herumgeplagt hatte. Nationaltrainer Pan-Gon Kim hatte ihn frühzeitig zum Physiotherapeuten geschickt. Zu wichtig ist der 34-Jährige, auf dessen Trikot "Nie Ling Fung" steht: Ling Fung ist der Name des Großvaters in Hongkong, also des Vaters der Mutter. Nie kommt von Vater Nägelein. Dessen Name wurde verkürzt, als er in China lebte.

In Asien schätzen sie besonders die oft beschworenen deutschen Tugenden an Nägelein: "Leidenschaft, Ehrgeiz und um jeden Zentimeter zu kämpfen" hebe ihn von den Mitspielern ab. Außerdem ist er einer der am besten ausgebildeten Spieler im Kader: "Gerade im taktischen Bereich sind die Asiaten meiner Meinung nach hinten dran. Pressen, Verschieben oder Zurückfallenlassen habe ich schon als Kind beim 1. FC Nürnberg erklärt bekommen." Das und seine Erfahrung machen den Mittelfeldspieler zum Leistungsträger. Die Verständigung klappt auf Englisch, Hongkong ist eine ehemalige britische Kolonie.

Seit 1997 gehört das Land wieder zu China, ist jedoch zu einem großen Teil unabhängig, eine Sonderverwaltungszone. Klarer Favorit ist am Donnerstag die Weltmacht, als 79. der Fifa-Weltrangliste. Weltstadt Hongkong liegt auf Platz 151, direkt hinter Puerto Rico und vor Guyana, Fußball-Niemandsland. 2004 verlor die Metropole einmal 0:7 gegen China. In der aktuellen Qualifikationsgruppe liegt Hongkong nach zwei Siegen gegen die Malediven (2:0) und Bhutan (7:0) auf Rang eins vor dem Nachbarn, der drei Punkte sammelte. "Wir können für eine Überraschung sorgen", sagt Nägelein. Ein Triumph der Sieben-Millionen-Einwohner-Stadt über das Milliardenvolk wäre sogar eine Sensation.

Von den Kickers Emden zum Shenzhen FC

Hongkong würde zudem große Feierlichkeiten stören: China feiert am 3. September den Sieg über Japan vor 70 Jahren im Zweiten Weltkrieg. Staatspräsident Xi Jinping startet die größte Militärparade der Geschichte. Und die Fußballer sollen das kleine Hongkong besiegen. Dessen Fans wurden im Vorfeld darauf hingewiesen, dass sie nicht wie bei den ersten Qualifikationsspielen während der chinesischen Nationalhymne (eine eigene hat Hongkong nicht) buhen sollen. Der Weltfußballverband Fifa sprach eine Verwarnung wegen "ungebührlichen Verhaltens" aus. Für die Partie wurden aus Sicherheitsgründen nur 27 434 Zuschauer zugelassen, die Arena hat 40 000 Plätze.

Andy Nägelein kennt das Stadion. Es war zwei Jahre lang seine Heimspielstätte. Nachdem er sich in der Jugend in Nürnberg nicht durchsetzen konnte und auch in Schweinfurt, Feucht, Burghausen und Emden nicht richtig glücklich wurde, wechselte er 2010 als 28-Jähriger zum Shenzhen FC. Später ging er nach Hongkong, wo er derzeit bei Eastern AA spielt. "An der Stadt fasziniert mich, dass sie sowohl einen asiatischen als auch einen westlichen Flair hat", sagt er. "Und die Hochhäuser. Unser Business Tower in Nürnberg hat 34 Stockwerke, das ist hier ein kleines Haus."

Immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer

Außerdem verändere sich China dauernd, es werde immer gebaut. Dieser Veränderungseifer sagt ihm, der in seinem Leben für 15 Vereine aufgelaufen ist und immer das nächste Abenteuer sucht, besonders zu. "Vielleicht wechsle ich nächstes Jahr noch einmal zurück nach China oder in ein ganz anderes Land", sagt er.

Seit fünf Jahren ist er in Asien zu Hause, seine Heimat bleibt das Frankenland. Zwei-, dreimal im Jahr kommt er nach Deutschland, besucht Familie und Freunde. Ansonsten nutzt er das Telefon und den Chat-Dienst Skype. "Wir sind das gewohnt als internationale Familie." Der Vater stammt aus Franken, die Mutter aus Hongkong, die Schwester lebt in London. Seit Kurzem gehört auch eine Russin dazu: die Freundin, in Hongkong kennengelernt.

Seit Freitag bereitet sich Nägelein mit seinem Team auf das vielleicht größte Spiel in seiner Karriere vor. Dass er es nie in die deutsche Nationalelf geschafft hat, stört ihn nicht. Er freue sich, dass er für Hongkong spielen darf, "für jeden ist es eine Ehre, einmal in der Nationalmannschaft zu spielen, egal in welcher". So lange er nominiert werde, wolle er dabeibleiben. Als Fußballer denkt er aber kurzfristiger: Erst einmal soll ein Sieg im Derby gegen China her.

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