Wolfsburgs Aus im DFB-Pokal:Nach zehn Jahren gewinnen jetzt die anderen

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„Wir müssen nun alles bündeln, was in uns steckt“, sagt Wolfsburgs Kapitänin Alexandra Popp, nachdem die bisher stets größte Titelchance in dieser Saison dahin ist. (Foto: Wunderl/Beautiful Sports/Imago)

Die schier ewige Siegesserie ist vorbei: Wolfsburg scheidet im DFB-Pokal aus. Das passt zum aktuellen Kräfteverhältnis im Frauenfußball – und verschafft Bayern München unerwartete Möglichkeiten.

Von Anna Dreher

Alexandra Popp benötigte eine Nacht, um ihre Gedanken zu sortieren. Am Donnerstagmorgen meldete sich die Kapitänin des VfL Wolfsburg dann mit Zeilen, in denen all ihre Enttäuschung steckte. „Es war einem natürlich bewusst, dass irgendwann diese Serie mal reißen wird. Aber darauf vorbereitet zu sein, ist unmöglich“, schrieb Popp bei Instagram: „Der Schmerz sitzt ziemlich tief, zu wissen, mein sogenanntes Baby nun ziehen zu lassen.“

Die Bedeutung jenes Spiels, das sie zu verarbeiten hatte, ging weit über das hinaus, was es auf den ersten Blick war: eine Niederlage gegen Hoffenheim. Der TSG reichte am Mittwochabend ein Tor von Ereleta Memeti, um eine Serie zu beenden, die sich so womöglich nicht mehr wiederholen wird. Unglaubliche 52 Spiele hintereinander hatte es kein Team vermocht, die Wolfsburger Fußballerinnen im DFB-Pokal zu besiegen. Zehn Jahre lang hatten stets sie nach dem Endspiel die silberne Trophäe überreicht bekommen; insgesamt gewannen sie den Titel sogar elfmal – der Pokal war der ihrige, eine stete Quelle des Selbstvertrauens. Und jetzt: Aus im Viertelfinale, die erste Pokalpleite des VfL seit Mitte November 2013.

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So strahlt diese Niederlage hinein in eine ohnehin schwierige Phase des Umbruchs in Wolfsburg. Und sie passt zu den sich wandelnden Machtverhältnissen im deutschen Fußball der Frauen. 2012 war der VfL zuletzt ohne Titel aus der Saison gegangen; der erste Pokalerfolg 2013 markierte den Aufstieg der Wölfinnen, die im selben Jahr auch erstmals in der Bundesliga reüssierten und die Champions League gewannen. Ein Triple also zum Start in eine bis dato zwanzigteilige Titelsammlung. Trotz wachsender Konkurrenz mit oft mehr finanziellen Möglichkeiten spielte der VfL immer eine Rolle, international zuletzt vor zwei Jahren als Finalist in der Königsklasse.

Für den Moment wirkt es, als würden die nächsten Monate eher schwierig als beschwingt für Wolfsburg

Dass dies immer schwieriger wird, hat nicht nur Ralf Kellermann, der Direktor Frauenfußball des Klubs, wiederholt betont. Auch Trainer Tommy Stroot hat angemahnt, dass Wolfsburg aufpassen müsse, nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Beim Buhlen um begehrte Talente und Spitzenspielerinnen habe auch die Aussicht auf den nächsten Pokalsieg geholfen. Für den Moment wirkt es nun so, als würden die nächsten Monate eher schwierig als beschwingt. Das liegt nicht nur am frischen Eindruck der verloren gegangenen Aura der Unbesiegbarkeit im Pokal, sondern auch an einer gewissen Unruhe im Verein.

Die Saison begann damit, dass Lena Oberdorf ausgerechnet zum Dauerrivalen FC Bayern fortgezogen war, auch Dominique Janssen und Ewa Pajor hinterließen große Lücken. Im Herbst verkündete Stroot, den Verein entgegen seines ursprünglichen Plans nicht in Richtung Ausland zu verlassen, sondern seinen Vertrag bis 2027 zu verlängern. Immerhin diese Sicherheit erhielt der VfL. Von den Führungsspielerinnen bleiben als Konstanten Alexandra Popp und Svenja Huth, Abwehrchefin Marina Hegering wechselt indes in den Trainerstab, und wie es mit Innenverteidigerin Kathrin Hendrich im Sommer weitergehen wird, ist offen. Fest stehen die Weggänge von Nationalspielerin Jule Brand und Torhüterin Merle Frohms, die nach Bekanntwerden ihres Abschieds zum Saisonende degradiert wurde. Seit dem Ende der Winterpause ist Anneke Borbe, zuvor die dritte Keeperin, plötzlich neue Nummer eins – aus rein sportlichen Gründen, beteuert Stroot. Ein Beigeschmack bleibt.

Erst eingewechselt, dann ihr Team im Spiel gehalten: Jovana Damnjanovic glich für den FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt aus und traf auch zum 4:1-Endstand. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

In der Bundesliga war der VfL bis vor vier Spieltagen noch Tabellenführer. Nach Rückschlägen in Leverkusen (0:1) und Köln (0:0) lauert Bayer 04 mit nur zwei Punkten weniger auf Rang vier, während der zweitplatzierte FC Bayern sowie Tabellenführer Frankfurt nun schon je drei Zähler mehr gesammelt haben als Wolfsburg. Das muss bei noch acht von 22 Spieltagen nichts heißen – aber es kann. Und im Viertelfinale der Champions League (19./27. März) wartet Titelverteidiger FC Barcelona. Popp verknüpfte ihre Worte der Enttäuschung daher nicht nur mit dem Stolz darüber, überhaupt so eine Pokalserie aufgestellt zu haben, sondern auch mit einem Appell: „Wir müssen nun alles bündeln, was in uns steckt.“

„Man weiß nicht genau, was passiert, und das ist das Schöne, es ist noch alles möglich“, sagt Frankfurts Laura Freigang

Beinahe hätte der Viertelfinalabend sogar noch mehr Symbolkraft erlangt: Weil Frankfurt drauf und dran war, auch im Pokal Bewegung in die etablierte Hierarchie mit Wolfsburg und München als führenden Kräften zu bringen. In der 79. Minute war die Eintracht durch ein Eigentor von Carolin Simon in München in Führung gegangen. Auch dem FC Bayern drohte das Aus.

In der 90. Minute aber glich die eingewechselte Jovana Damnjanovic aus. Als dann das Scheitern der Wolfsburgerinnen besiegelt war, hallte 325 Kilometer entfernt eine Durchsage durchs Campus-Stadion des FC Bayern mit der unerwarteten Kunde („der Weg wäre also frei“), begleitet von lautem Applaus. Dass der Dauerpokalsieger keine Hürde mehr darstellt, beflügelte offensichtlich die Bayern, die im Vorjahr im Finale am VfL scheiterten und in der Liga in den vergangenen zehn Jahren ein ewiges Titelduell mit Wolfsburg austrugen. Glodis Viggosdottir (93. Minute), die ebenfalls eingewechselte Momoko Tanikawa (104.) und Damnjanovic (109.) sorgten in der Verlängerung für deutliche Verhältnisse.

Im Kabinengang wirkte das Strahlen der Münchnerinnen noch ein bisschen stärker als sonst – angesichts der nun größeren Chance. Für sie wäre es der erste Pokalsieg seit 2012, ganz abgesehen von Double- und Triple-Träumen. „Das gibt natürlich noch mal einen zusätzlichen Ansporn“, sagte Giulia Gwinn. Mögliche Gegner für das Pokal-Halbfinale am 22./23. März sind neben Hoffenheim noch Werder Bremen und Zweitligist Hamburger SV.

Dass es gerade so eng und teils überraschend zugeht, spricht für die Entwicklung des deutschen Frauenfußballs – das betonten Spielerinnen wie Trainer in Rot wie in Schwarz. „Ich hab’ das Gefühl, es ist viel spannender als in den letzten Jahren“, sagte die Frankfurterin Laura Freigang: „Man weiß nicht genau, was passiert, und das ist das Schöne, es ist noch alles möglich.“ Damit blickte sie direkt nach vorn auf die Liga. Am Sonntag (16.45 Uhr, ZDF) steht der Eintracht ein Team gegenüber, das sich nun noch mehr beweisen will: der VfL Wolfsburg.

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