Dzsenifer Marozsán:Die Regisseurin verabschiedet sich

Dzsenifer Marozsán: Noch ein Länderspiel kommt zu den bisher 111 Einsätzen dazu: Im April wird Dzsenifer Marozsán sich gegen Brasilien aus dem Nationalteam verabschieden.

Noch ein Länderspiel kommt zu den bisher 111 Einsätzen dazu: Im April wird Dzsenifer Marozsán sich gegen Brasilien aus dem Nationalteam verabschieden.

(Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon/Imago)

Knapp vier Monate vor der Weltmeisterschaft tritt Dzsenifer Marozsán überraschend aus dem Fußball-Nationalteam zurück. Die Europameisterin und Olympiasiegerin zieht die Konsequenz aus zahlreichen Verletzungen.

Von Anna Dreher und Frank Hellmann

Vor etwa einem Monat klingelte das Telefon der Bundestrainerin. Dzsenifer Marozsán meldete sich und sagte Sätze, die Martina Voss-Tecklenburg aus der Fassung brachten. "Sie war sprachlos, aber sie hat meine Entscheidung respektiert", erzählt Marozsán. "Im ersten Moment fehlten ihr wirklich die Worte, deswegen bot ich ihr an, eine Woche später noch mal zu telefonieren." Am Inhalt des Gesprächs änderte sich jedoch nichts mehr: Dzsenifer Marozsán hat beschlossen, mit erst 30 Jahren aus dem deutschen Nationalteam zurückzutreten. Mit dem Gedanken hatte die frühere DFB-Kapitänin sich schon länger beschäftigt - und ihren Entschluss dann dem Trainerteam mitgeteilt.

Für Voss-Tecklenburg kam die Nachricht wie aus dem Nichts. Die 55-Jährige hatte mit Marozsán geplant, sie schätzt die technisch hochbegabte Spielmacherin sehr, fußballerisch wie menschlich. Doch nun muss sie bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) auf Marozsán verzichten, die als eine der weltweit besten Fußballerinnen gilt und in bislang 111 Länderspielen 33 Tore erzielt hat.

In einer am Montag um 12.10 Uhr verschickten Mitteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) drückte Voss-Tecklenburg ihren Respekt für die Entscheidung aus: "Sie ist eine großartige Persönlichkeit und überragende Fußballerin, die unglaublich viel für den deutschen Fußball geleistet hat." Marozsán habe als Führungsspielerin und Identifikationsfigur großen Anteil an den Erfolgen gehabt. Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften, nannte sie "eine der brillantesten Fußballerinnen, die für Deutschland gespielt haben".

Immer wieder verpasste Marozsán Turniere aufgrund von Verletzungen

Vielleicht hätte sich Marozsán noch mehr Einsätze für die Auswahl zugetraut, wenn ihre Pläne nicht vor bald einem Jahr wieder einmal durcheinandergewirbelt worden wären, was ihr viel Zeit zum Nachdenken brachte. Im April 2022 verloren die DFB-Frauen in der WM-Qualifikation 2:3 gegen Serbien. Diese Niederlage war ohnehin schon ein Debakel, aber für Marozsán brachte sie ein ganz persönliches Drama mit sich: Sie erlitt einen Kreuzbandriss, der erst drei Wochen später durch einen Spezialisten in Lyon erkannt wurde. Anfang Mai wurde sie operiert. Das Champions-League-Finale mit Lyon gegen den FC Barcelona sowie die Europameisterschaft in England waren damit für sie gelaufen.

Das Finale ihrer Mitspielerinnen im ausverkauften Londoner Wembley-Stadion gegen England konnte Marozsán nur als Zuschauerin erleben. Doch im Gegensatz zu früher verspürte sie keinen Wehmut, sie erlebte sich schlichtweg als Fan. "Die verpasste EM in England war eines von vielen Zeichen", sagt Marozsán, die zusätzliche Einsätze für das Nationalteam inzwischen als zu belastend empfindet: "Ich bin zwar im Verein wieder gut dabei, aber das Knie ist nicht mehr das alte - ich muss enorm viel arbeiten, damit ich alle Trainingseinheiten und Spiele absolvieren kann." Im November 2022 kehrte sie im Klub zurück, auf den DFB-Lehrgang im Februar verzichtete sie.

Dzsenifer Marozsán: 19. August 2016, Maracanã-Stadion Rio de Janeiro: Im Finale der Olympischen Spiele gegen Schweden erzielt Dzsenifer Marozsán (2.v.r.) eines der wichtigsten Tore ihrer Karriere.

19. August 2016, Maracanã-Stadion Rio de Janeiro: Im Finale der Olympischen Spiele gegen Schweden erzielt Dzsenifer Marozsán (2.v.r.) eines der wichtigsten Tore ihrer Karriere.

(Foto: Rene Schulz/Imago)

Immer wieder verpasste Marozsán in ihren mehr als zwölf Jahren als Nationalspielerin Turniere aufgrund von Verletzungen, das betraf vor allem Weltmeisterschaften. Seit der U 15 durchlief sie alle Auswahlen, im Oktober 2010 debütierte sie mit 18 Jahren für das A-Nationalteam. Die damalige Bundestrainerin Silvia Neid setzte die U-20-Weltmeisterin auf die erweiterte Kaderliste für die WM in Deutschland 2011. Im Mai erlitt Marozsán jedoch im Training einen Innenbandriss im rechten Knie und verpasste das Großereignis. 2015 in Kanada knickte sie auf Kunstrasen vor der Auftaktpartie um und verletzte sich am Sprunggelenk. Gespielt hat sie dennoch bei der WM.

Im Sommer 2018 erlitt Marozsán eine beidseitige Lungenembolie, eine äußerst einschneidende Erfahrung. "Ich hatte Todesängste", erzählt sie, "das hat mein Leben schon sehr verändert, denn seitdem sehe ich die Dinge viel entspannter und mache mir keinen so großen emotionalen Stress mehr wie noch vor der Erkrankung." Erst nach dreimonatiger Therapie konnte sie damals ihre Karriere fortsetzen, gab Mitte Oktober ihr Comeback, holte in dieser Saison mit Olympique Lyon das Triple und wurde zu Frankreichs Fußballerin des Jahres 2019 gewählt.

Bei der anschließenden WM in ihrer Wahlheimat brach sie sich im ersten Spiel gegen China nach einem Tritt einen Zeh und fiel bis zum Achtelfinale aus. Das Turnier war im Viertelfinale für die DFB-Frauen dann aber ohnehin vorbei. 2023 hätte diese Unglücksserie entweder unterbrochen werden können - oder wäre fortgesetzt worden. "Ich will nicht sagen, dass ich Angst hätte, mich jetzt wieder zu verletzen", meint Marozsán dazu: "Aber natürlich sind diese Erlebnisse ein Teil meiner persönlichen Geschichte und daher präsent bei mir."

"Dzsenifer Marozsán kann man nicht ersetzen", sagte die Bundestrainerin während der WM 2019

Zwei Turniere prägte die in Budapest geborene und in Saarbrücken aufgewachsene Marozsán dafür umso mehr. Bei der EM 2013 in Schweden war sie Stammspielerin, mit ihrem Siegtreffer zum 1:0 sicherte sie den Einzug ins Finale, das Deutschland ebenfalls gewann und damit zum achten und bislang letzten Mal den kontinentalen Titel holte. Im Olympia-Endspiel 2016 traf Marozsán im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro mit einem Traumtor zur 1:0-Führung und leitete mit einem Pfostenschuss das Eigentor der Schwedin Linda Sembrant ein, Deutschland gewann Gold.

Im Mittelfeld war Marozsán stets unangefochten. Unter Silvia Neid, Steffi Jones, Horst Hrubesch und Martina Voss-Tecklenburg war sie im deutschen Kader lange die technisch und fußballerisch Beste, die das Spiel mit ihrer Übersicht und Kreativität prägte. Als sie 2019 ausfiel, wurde das Team von dieser Nachricht spürbar durcheinandergebracht, Voss-Tecklenburg sagte damals: "Dzsenifer Marozsán kann man nicht ersetzen. Das funktioniert nicht, weil sie besondere Eigenschaften und Fähigkeiten hat."

So sehr das noch immer zutreffen mag: Nicht zuletzt die EM im vergangenen Sommer zeigte, dass das Mittelfeld auch mit Spielerinnen wie Lina Magull, Sara Däbritz und Lena Oberdorf bestens aufgestellt ist. Beim kommenden Lehrgang aber wird die Zentrale des deutschen Teams noch einmal mit Marozsán besetzt sein. Am Karfreitag trifft Deutschland in Sittard auf die Niederlande sowie am 11. April im Nürnberger Max-Morlock-Stadion auf Brasilien. Es wird das letzte Länderspiel vor der WM sein - und das letzte von Dzsenifer Marozsán.

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