Historische Niederlage des DFB:Eine Blamage, die zur Initialzündung wurde

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Ähnlich elegantes Outfit wie heute Jogi Löw: Der erste Bundestrainer, Otto Nerz (Mitte), war der bisher letzte DFB-Coach, der ein Spiel 0:6 verloren hatte. (Foto: dpa)

Das letzte deutsche 0:6 vor der Spanien-Pleite gab's 1931 gegen Österreich. Es diente als Anstoß für strukturelle Veränderungen der Fußball-Branche.

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Ernst Kuzorra durfte nicht mitspielen an jenem Sonntag im "Deutschen Stadion" in Berlin. Ein Jahr zuvor hatte er zum 5:0- Sieg in der Schweiz drei Treffer beigesteuert. Und wer weiß, wie das Freundschaftsspiel gegen Österreich ausgegangen wäre, wenn Kuzorra hätte mitwirken dürfen an jenem 24. Mai 1931, der nun plötzlich - aus brandaktuellem Anlass - zu einem historischen Datum in der DFB-Geschichte geworden ist.

Doch der damals 24-jährige Kuzorra hatte sich bei seinem Klub Schalke 04 fürs Fußballspielen bezahlen lassen - mit zehn Reichsmark pro Monat. Damit war er für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) untragbar und wurde nebst anderen Schalkern für Länderspiele gesperrt. Denn im Jahr 1920 hatte der DFB ein "Amateurstatut" erlassen: "Wir bekämpfen das Berufsspielertum aus ethischen Gründen, es wäre ein Frevel an unsrer Jugend."

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So verloren also die deutschen Amateurfußballer am 24. Mai 1931 mit 0:6 gegen die österreichischen Profis. Es sollte für 89 Jahre und sechs Monate die höchste Niederlage einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft bleiben - bis zum andalusischen Desaster der Elf von Joachim Löw. Im Anschluss an das 0:6 anno 1931 erwies sich übrigens ausgerechnet diese Blamage als Anstoß für strukturelle Veränderungen der Fußballbranche.

Erst mit Verzögerung brach sich der Profifußball nach dem Zweiten Weltkrieg langsam Bahn

Nachdem man vier Monate später, am 13. September in Wien, noch einmal 0:5 gegen Österreich verloren hatte, verschärfte sich die andauernde Debatte um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Amateurfußballs. Der "Amateurismus" war für den DFB damals ein sportpolitisches Dogma. Schalker Berufsfußballer wie Kuzorra und Fritz Szepan wurden bereits seit August 1930 demonstrativ für Länderspiele gesperrt. Nach den Pleiten gegen Österreich kochte das Thema wieder auf. Zunächst wurde dem Berufsfußball noch nicht stattgegeben, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland seinerzeit schlimm waren. Im Oktober 1932 gab der DFB-Bundestag in Wiesbaden dann zwar grünes Licht für die Legalisierung des Berufsfußballs, doch dieser Beschluss wurde durch die Machtergreifung der Nazis kurz darauf wieder zunichte gemacht. Erst mit Verzögerung brach sich der Profifußball nach dem Zweiten Weltkrieg langsam Bahn. Die Bundesliga wurde erst im Jahre 1963 eingeführt.

Österreich war Deutschland in Sachen Fußball in den 1930er-Jahren voraus. Das Land hatte damals nicht nur Berufsfußballer, sondern auch eine goldene Generation. Nach dem 6:0 in Berlin nannte die Presse ihre Mannschaft "Wunderteam". Es sollte ein geflügeltes Wort werden. Der Wiener Anton Schall schoss zwischen 1931 und 1933 in 16 Länderspielen 20 Tore. In Berlin traf er im Mai 1931 drei Mal.

Mit "deutscher Härte" hatte man an jenem Tag den Österreichern trotzen wollen. Aber der seit 1926 amtierende, erste deutsche Bundestrainer Otto Nerz hatte seiner Elf nicht helfen können, den überlegenen Gästen etwas zu entgegnen - ähnlich wie Joachim Löw nun in Sevilla.

Der beste deutsche Torjäger, Richard Hofmann aus Dresden, ging leer aus. Torwart Paul Gehlhaar vom deutschen Meister Hertha BSC musste sechs Mal den Ball aus dem Netz holen. Und für den als Kapitän aufgelaufenen Abwehrspieler Heinrich Weber aus Kassel war die Nationalelfkarriere nach dem 0:6 abrupt beendet. Nach der bis heute höchsten deutschen Heimniederlage schrieb die Presse vom "peinlichen Ende Deutschlands". Dabei war es für den Berufsfußball in Deutschland tatsächlich so etwas wie eine Initialzündung.

© SZ vom 19.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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