Fußball:Der Hirsch des Anstoßes

Wie Günter Mast der Bundesliga die Trikotwerbung beibrachte.

Ralf Wiegand

(SZ vom 30.7.2003) - Die Geschichte ist schon lange her, 30 Jahre, und damals war sie eine Sensation, und er war ein Medienstar. Er ist es geblieben, irgendwie, "erst jetzt wieder bin ich innerhalb von zehn Tagen drei Mal ins Fernsehen eingeladen worden", sagt Günter Mast.

Er sitzt auf der Terrasse unter einem Sonnenschirm, der die besten Jahre schon hinter sich hat, und faltet die Zeitung zusammen. Volksmusik dringt durch das offene Fenster aus dem alten Bauernhaus hinaus auf die große Lichtung, die das Herz des Forstguts ist, auf dem Günter Mast seine Freizeit verbringt. Alle zwei Wochen für ein paar Tage kommt er auf seinen bayerischen Landsitz, Gämsen beobachten, Sturmschäden prüfen. Ganz selten legt er mit der Flinte auf einen Hirschen an. Der Hirsch ist seine Geschichte.

Heute liest sie sich im Anhang II zur Lizenzspielerordnung, Paragraph 10 und 11, so: "Werbung auf der Spielkleidung ist gestattet. (...) Jede Lizenzmannschaft kann einen eigenen Werbepartner (juristische oder natürliche Person) in jedem der von ihr bestrittenen Wettbewerbe haben. (...) Die Werbung darf nicht gegen die allgemein im Sport gültigen Grundsätze von Ethik und Moral oder die gesetzlichen Bestimmungen oder die guten Sitten verstoßen. (...) Hat die Werbung irritierende Wirkung für den Schiedsrichter, so ist sie in abzustimmender Weise anzupassen. Die Form der Werbung ist frei. Sie ist jedoch nur auf der Vorderseite des Hemdes und in einer Größe von maximal 200 qcm auf dem Brustteil zentriert und in horizontaler Ausrichtung oder auf der rechten oder linken Körperhälfte in vertikaler Ausrichtung zulässig."

Das Geld nicht wert

Das ist also aus der Geschichte von Günter Mast geworden, der, mit Mitte 70, noch immer ein Mann voller Energie ist. Wenn er von früher erzählt, als Trikotwerbung im Fußball noch ein Tabubruch war, ein Skandal wie die nackte Hildegard Knef auf der Kinoleinwand, dann fliegt seine Hand in Luft, als führe sie den Taktstock zum Radetzkymarsch. Die Konzerne heute, findet Mast, gäben Millionen dafür aus, auf der Trikotbrust von Fußballern zu erscheinen, "aber das ist das Geld nicht wert. Sie haben es bis heute nicht begriffen, dass man die Geschichte darum forcieren muss". Krachend landet die Faust auf dem schweren Holztisch. Für Günter Mast gehörte Poltern schon immer zum Geschäft.

Heute ist Sportsponsoring eine wissenschaftliche Angelegenheit. Unternehmen wie TNS Heidelberg oder die Berliner Firma Ausschnitt Medienbeobachtung verlangen 4000 bis 15.000 Euro pro Verein, Sponsor und Saison dafür, die Effektivität von Banden- oder Trikotwerbung zu analysieren. Tausende von Zeitungsartikeln, zig Internetseiten, Hunderte Fernsehminuten werden ausgewertet, um Sponsorennennungen aufzuaddieren und anhand von Werbepreisen zu quantifizieren. Der Fachverband für Sponsoring und Sonderwerbeformen, dem auch die Deutsche Fußball-Liga beigetreten ist, arbeitet an einem Standard zur Messung der Medialeistung im Sponsoring. 2002 flossen in Deutschland 2,7 Milliarden Euro in Sportwerbung.

Der Streit um den Hirschen

Nur 300.000 Mark kostete es Günter Mast und die Firma Jägermeister, eine Aufmerksamkeit zu erregen, die heute unbezahlbar wäre. So viel zahlte das Unternehmen für die erste Saison als Trikotsponsor an Eintracht Braunschweig. Es begann an einem heißen Nachmittag Anfang der siebziger Jahre in Braunschweig. Der Anwalt der Firma Jägermeister hatte, wie er das alle zwei, drei Jahre zu tun pflegte, seine wichtigsten Klienten zu einem privaten Fest eingeladen, "sieben, acht Herren aus der Wirtschaft", erinnert sich Günter Mast, damals Jägermeister-Vorstand.

Man saß auf der Terrasse. "Ich beobachtete, wie einer weg ging und nicht wieder kam. Ein anderer ging und kam auch nicht wieder." Als sie nur noch zu dritt draußen saßen, ging auch Günter Mast ins Haus - und fand die Vermissten vor dem Fernseher in der Küche, beim Länderspiel Deutschland gegen England. "Da habe ich gemerkt, dass meine Meinung, der Fußball sei in Deutschland nur in den unteren Schichten angesiedelt, nicht richtig ist. Mit Fußball konnte man alle Schichten unseres Volkes erreichen."

So entstand die Idee, den Hubertushirschen, jenes stattliche Wild mit dem lichtweißen Kreuz zwischen den Stangen seines Geweihs, aufs Trikot des Fußball-Bundesligisten Eintracht Braunschweig zu bringen. Zwei Monate lang stritt Mast mit dem Deutschen Fußball-Bund darüber, weil der diese Werbeform verbot.

Noch heute amüsiert sich Mast darüber, für welch "hohes Gut" der Verband seinen Sport hielt, "in dem die Wirtschaft nichts zu suchen haben sollte". Der Streit um den Hirschen hätte für seinen Geschmack noch länger dauern können, er war spektakulär und machte aus Mast, einem strengen Unternehmer der Wirtschaftswunderzeit, eine schillernde Figur mit Stammplatz in den Schlagzeilen. Am 24. März 1973, gegen Schalke, lief Eintracht Braunschweig erstmals mit 176,5 Quadratzentimetern Werbung auf der Trikotbrust auf.

Komische Zeiten

Mast wurde Präsident von Eintracht Braunschweig, um kontrollieren zu können, was mit seinem Geld dort geschah, aber für ihn war der Sport nur die Projektionsfläche für seinen Kräuterschnaps aus 59 Zutaten, und manchmal brauchte er nicht einmal mehr seinen Hubertushirschen ins Bild zu bringen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Es waren komische Zeiten.

Als sich das Fernsehen einmal weigerte, ein Länderspiel aus dem Wembleystadion zu übertragen, weil dort zu viel Werbung angebracht sei, griff Mast zum Telefon. Er rief bei der zuständigen Schweizer Vermarktungsfirma an und übernahm alle Banden, "aber ich sagte denen, sie sollten sie weiß lassen". Eine kauzige Idee, die rund 200.000 Mark kostete - aber auf die Frage nach den weißen Banden gab es nur eine Antwort: "Das hat Jägermeister gemacht."

In diesen Gründerzeiten des Fußballsponsorings war jede neue Idee eine Grenzüberschreitung, die Aufmerksamkeit erzeugte und damit einen Werbewert. Heute ist das Trikotsponsoring ein Geschäft unter vielen für die Vereine. Alles wird gesponsert, jedes Ding bekommt einen Firmennamen: die Eckballstatistik auf der Anzeigetafel, das Jackett des Trainers, die Sitzplätze in der Kurve, sogar die Spielzeit auf der Uhr "wird präsentiert von..." Konzerne kaufen Stadionnamen, und andere Konzerne finanzieren die Fernsehsendungen, in denen die Stadien genannt werden.

Werbefreie Spielerbrust

Der Markt ist gesättigt. Gelegentlich bleibt die Spielerbrust schon werbefrei, was dann auch wieder ein Ereignis ist: Werder Bremen verkaufte kein Trikot so gut wie das dunkelgrüne ohne Werbepartner, das die Mannschaft eineinhalb Jahre, bis zur letzten Winterpause, trug. Der Hamburger SV freut sich über den reißenden Absatz seiner Leibchen, auf denen nur noch "Hamburg" steht. Fünf Millionen Euro von einem Werbepartner wären ihm allerdings lieber. Und der 1.FC Köln war sehr froh, dass er kurz vor dem Liga-Start in einem Kartoffelchip-Hersteller doch noch einen Partner fürs Hemd fand.

Den Pionier der Kommerzialisierung müsste so etwas amüsieren, aber er kümmert sich nicht darum. Zweimal nur war Günter Mast im Stadion von Eintracht Braunschweig, als er Klubpräsident war. Er hat mitbekommen, dass der Klub eben aus der Zweiten Liga abgestiegen ist. "Fußball hat mich eigentlich nie interessiert", sagt er, er war Mittel zum Zweck. Den hat er erfüllt. Noch heute stattet Jägermeister hunderte von Jugendteams mit Hirsch-T-Shirts aus; die alten Trikots von damals sind im Retro-Trend zum Kult geworden.

Als Eintracht Braunschweig sich weigerte, den Verein in Jägermeister Braunschweig umzubenennen, begann Mast die Verträge nach und nach aufzulösen. Da war die Geschichte für ihn zu Ende.

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