Fußball:Der FC Bayern braucht einen starken BVB

Borussia Dortmund's Aubameyang challenges Bayern Munich's Boateng during their German first division Bundesliga soccer match in Munich

Zugpferde der Liga: Dortmund und Bayern (hier Aubameyang, links, gegen Boateng).

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Den Münchnern droht, Opfer der eigenen Dominanz zu werden. Ohne halbwegs gleichwertigen Konkurrenten sind Titel wertlos.

Kommentar von Martin Schneider

Um eine gute Geschichte zu schreiben, muss man nur noch googeln. Man gibt den Satz "Wie schreibe ich ein gutes Buch?" in die Suchleiste ein und findet Seiten, in denen Autoren oder Schreibtrainer Merkmale aufzählen, die eine gute Geschichte haben muss. Punkt 1: Handlung. Punkt 2: Konflikt. Punkt 3: Dramatik. Punkt 4: Interessante Figuren. Klar. Was sonst? Kaum jemand will ein Buch über einen langweiligen Helden lesen oder einen Film über eine Heldin sehen, die keine Probleme lösen muss.

Oder doch? Das größte Theater Deutschlands, die Geschichte, die mit Abstand die meisten Zuschauer anzieht, kommt mittlerweile mit nur zwei dieser vier Punkte aus. Die Geschichte um die Meisterschaft der Fußball-Bundesliga hat Handlung und interessante Figuren. Was sie nicht mehr hat, sind Konflikt und Dramatik, weil die Protagonisten zu ungleich geworden sind. Gerade jetzt fällt das auf. Am Samstag spielen der FC Bayern und Borussia Dortmund im DFB-Pokalfinale gegeneinander und plötzlich ist das Gefühl wieder da: Diese Geschichte ist rund.

Das liegt an Borussia Dortmund. Der BVB ist in einem Spiel potenziell in der Lage, Bayern München zu schlagen. Über 34 Spiele ist Dortmund nicht gut genug, obwohl es die zweitbeste Saison seiner Geschichte gespielt hat. Für Bayern München wird das paradoxerweise zum Problem. Zu einem Problem, dass der Verein nicht selbst lösen kann. Dafür brauchen die Bayern Dortmund und offenbar ahnen sie in München noch nicht, dass sie den BVB gerade in den nächsten Jahren dringender als jemals zuvor brauchen.

Meisterfeier? Eine Pflichtveranstaltung

Denn der FC Bayern hat es geschafft, aus der Bundesliga eine Geschichte ohne Antagonisten, ohne Gegenspieler zu machen. Je nachdem, wie man zum FC Bayern steht, sind die Münchner ein Sherlock Holmes ohne James Moriarty, ein Batman ohne Joker, ein Goliath ohne David oder ein galaktisches Imperium ("Todesstern des Südens") ohne Jedi-Ritter und Rebellen. Alles ist gleich langweilig und dass auch für den FC Bayern ständiger Erfolg ungesund ist, sieht man an der Meisterfeier.

Diese Fete strotzt vor Pflichtbewusstsein. Die Fans machten sich gar nicht erst die Mühe, nach dem Gewinn Begeisterung zu simulieren und hupend über die Leopoldstraße zu fahren. Die Spieler feierten, weil es für sie die Belohnung harter Arbeit war. Für die Zuschauer - auch für die Bayern-Fans - hat einfach jemand mit dem schnellsten Auto das Rennen gewonnen. Ein Rennen, das seit dem 5:1-Sieg der Bayern im Oktober gegen Dortmund für abgezählte drei Tage spannend war. Nämlich Anfang März nach der Niederlage der Bayern gegen Mainz bis zum 0:0 in Dortmund. Das Predigen der Verantwortlichen ("Die Meisterschaft ist der ehrlichste Titel", Karl-Heinz Rummenigge) reicht nicht, um das Gefühl zu unterdrücken: Die Meisterschaft ist für eine erfolgreiche Bayern-Saison nicht mehr genug.

"Der FC Bayern wird sich für seine gute Arbeit nicht entschuldigen", schrieb Rummenigge mal im Vereinsmagazin, als eine Dominanz-Diskussion wieder aufploppte. Nein, der FC Bayern muss sich nicht entschuldigen. Das Ziel eines sportlichen Wettbewerbs ist es, der Beste zu sein. Aber das ist ja das Paradoxon: Je besser der FC Bayern wird und je weniger der Rest mithalten kann, desto mehr entwertet der Klub seine eigenen Titelgewinne. Gerade kamen Renato Sanches von Benfica Lissabon und Mats Hummels, Kapitän des großen Rivalen, für zusammen mehr als 70 Millionen Euro.

Symptome eines sich auflösenden Wettbewerbs

Der FC Bayern hat damit das schnellste Auto auf der Piste noch schneller gemacht und dabei dem zweitschnellsten Auto noch das Getriebe ausgebaut. Und wenn jemand mit einem Formel-1-Auto gegen einen Sportwagen (Dortmund) und Kleinwagen (im Prinzip alle anderen) gewinnt, dann kann man das nicht mehr als Riesenerfolg verkaufen. Was passiert bei der fünften Meisterschaft in Folge? Carlo Ancelotti wäre dann mit dem Renner nicht ins Kiesbett gefahren. Kopfnicken im Biergarten.

Die Münchner sind kurz davor, sich dank finanziellem und sportlichem Vorsprung in eine Situation zu manövrieren, in der sie kaum mehr was gewinnen können. Die Champions League ist wiederum so stark besetzt, dass ihr Gewinn nicht planbar und von vielen Zufällen abhängig ist. Ein Pokal-Spiel im Jahr gegen Borussia Dortmund. Und die Bundesliga?

Wer Spiele in der Fröttmaninger Arena verfolgt, der sieht Symptome eines sich auflösenden sportlichen Wettbewerbs. Hertha BSC mauerte nach einem Rückstand weiter mit dem einzigen Ziel, nicht höher zu verlieren. Berlin war da Tabellendritter. Andere Mannschaften wie Darmstadt oder Bremen holen sich Gelbsperren vorm Spiel gegen die Bayern ab. Früher galt der Leitsatz von Mehmet Scholl: "Gegen Bayern will jede Mannschaft das Spiel des Jahres machen." Heute wollen fast alle möglichst ohne Nullsieben nach Hause kommen, Teams schinden beim Stand von 2:0 für die Bayern Zeit.

Der FC Bayern kann dafür nichts, er muss das Spiel gewinnen. Und als Hertha-Trainer Pal Dardai auf den Umstand angesprochen wurde, dass seine Mannschaft nicht auf Ausgleich gespielt hat, wurde er sehr wütend und schimpfte, wer so etwas fordere, habe keine Ahnung. Eine Lose-Lose-Situation. Einer verliert wirklich. Der andere gewinnt ein Spiel, das der Gegner weder gewinnen kann noch will.

Es gibt Fußball-Feinschmecker, die nun sagen: Der Fußball, den Bayern unter Pep Guardiola gespielt hat, war der beste der Bayern-Geschichte. Das mag stimmen. Aber es gleicht einem Buch mit großartiger Sprache, jedoch ohne Spannungsbogen, ohne unvorhersehbare Ereignisse, ohne Wendepunkte. Ein solches Buch verkauft sich in der Regel schlecht.

Wie real ist eine Superliga?

Deshalb redet Rummenigge von einer europäischen Superliga. Spitzenklubs aller Länder, vereinigt euch gegen die eigene Dominanz! Paris Saint-Germain (vier Meisterschaften in Folge) und Juventus Turin (fünf Meisterschaften in Folge) ergeht es ähnlich. Wahrscheinlich sieht Rummenigge das Problem kommen, aber öffentlich darüber reden kann der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern nicht. 'Wir sind zu gut, der Rest zu schlecht und uns selbst schlechter machen können wir nicht. Also müssen wir uns neue Gegner suchen.' Ein solcher Satz würde ihm ewig um die Ohren geblasen werden, auch wenn er vielleicht wahr ist.

Aber eine Superliga wird es erst einmal nicht geben, und ob RB Leipzig ein Konkurrent wird, muss sich zeigen. Wolfsburg schafft es trotz ähnlicher finanzieller Mittel bislang nicht. Dem FC Bayern bleibt nur, auf Borussia Dortmund zu hoffen. Ein Ritter ohne Drachen steht nur rum, ein Drache ohne Ritter schläft. Drache und Ritter müssen aufeinandertreffen und beide müssen eine Chance auf den Sieg haben. Nur ein starker BVB macht die Meisterschale für Bayern wieder wertvoll.

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