Fußball: Debatte um Fangewalt:"Fankultur wird unterdrückt"

Tobias H., Mitglied der Bayern-Fanklub-Vereinigung Club Nr. 12, über Krawalle in den Stadien, die anstehende Innenministerkonferenz zum Thema Fangewalt und die Jugendkultur der Ultras.

Jonas Beckenkamp

Der 31-jährige Münchner Tobias H. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) fährt seit mehr als 16 Jahren zu allen Spielen des FC Bayern. Im Club Nr. 12, einer Dachorganisation verschiedener Fanklubs und Ultra-Gruppen, ist er für den Arbeitsbereich "Faninteressen" zuständig. Dabei engagiert er sich auch gegen Stadionverbote, die der Verein und der DFB gegen vermeintliche Krawallmacher unter den Bayern-Anhängern verhängt haben. Neben Faninteressen kümmert sich der Club Nr. 12 auch um organisierte Choreographien im Stadion wie den überdimensionalen Rot-Weiß-Schriftzug "Pack Ma's" mit Vereinswappen vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Lyon.

Fußball: Debatte um Fangewalt: Mit Plakaten wie "Ausgesperrte immer bei uns" oder "Gegen den modernen Fußball" protestieren die Ultras gegen Stadionverbote und Kommerzialisierung im Profigeschäft.

Mit Plakaten wie "Ausgesperrte immer bei uns" oder "Gegen den modernen Fußball" protestieren die Ultras gegen Stadionverbote und Kommerzialisierung im Profigeschäft.

(Foto: Foto: imago)

sueddeutsche.de: Am Freitag kommt es in Berlin zu einem runden Tisch mit den Innenministern von Bund und Ländern, Fanvertretern und Fußballfunktionären - welche Impulse erwarten Sie sich von diesem Treffen?

Tobias H.: Relativ wenige. In der Regel ist alles, was da politisch passiert, nur eine Reaktion auf Ereignisse. Immer wenn es wieder unschöne Vorkommnisse gibt, kommt es zu Verschärfungen für Fans. Wirklich konstruktiv ist das nicht. Ich denke, dass dieses Treffen, wie die meisten Gesprächsrunden, ein bisschen ins Leere gehen wird. Das ist ernüchternd.

sueddeutsche.de: Zur Debatte stehen auch personalisierte Tickets, Beschränkungen für Auswärtsfans oder die Abschaffung von Stehplätzen - was würden diese Maßnahmen bringen?

Tobias H.: Für das Problem der Gewalt beim Fußball relativ wenig. Stattdessen wäre es eine weitere repressive Unterdrückung der Fankultur. Ich denke eher, dass der Schuss nach hinten losgehen wird und die Fans sich weiter einigeln werden. An einen sinnvollen Kompromiss, was die wirklichen Probleme angeht, glaube ich nicht. Was die Stehplätze betrifft: Aus Fansicht halte ich diese Bereiche für die wichtigsten Areale im Stadion.

sueddeutsche.de: In Berlin, wo vor einigen Wochen Hunderte Fans den Platz stürmten, scheinen die Stehplätze nicht das Problem gewesen zu sein - dort gibt es nur Sitzplätze ...

Tobias H.: ... Genau! Was in Berlin passiert ist, hat damit überhaupt nichts zu tun. Der einzige Effekt der Abschaffung von Stehplätzen wäre, dass Sitzplätze teurer sind als Stehplätze und man weitere Gesellschaftsschichten über Preiserhöhungen aus dem Stadion drängt. Ob das etwas an dem Gewaltproblem ändert, sei dahingestellt.

sueddeutsche.de: Wie ist derzeit die Stimmungslage zwischen Fans, Vereinen und Polizei?

Tobias H.: Mein Eindruck ist, dass sich die Lage zwischen Fans und Polizei vor allem in den vergangenen drei, vier Jahren zunehmend verschlechtert hat. Die Vereine sind einigermaßen dialogbereit, so dass die meisten Fans sich ganz gut mit ihrem Klub arrangieren und in strittigen Punkten akzeptable Lösungen gefunden haben.

sueddeutsche.de: Warum ist die Beziehung zur Polizei so schwierig?

Tobias H.: Ich denke, dass in den vergangenen Jahren mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde. Bei ganz normalen Spielen mit geringem Risikopotential werden Sonderheiten wie das bayerische USK (Unterstützungskommando, Anm. d. Red.) abgestellt. Die sind generell immer dabei. Damit fährt der Staat ein gewisses Aggressionspotential auf, das auf Fans angreifend wirkt. Das USK ist eine Spezialeinheit, um Gewaltausbrüche zu bekämpfen. Wenn man die bei unseren Spielen schon mit Vorverdacht einsetzt, um die Ultras zum Stadion zu geleiten, gibt es überhaupt keine Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz. Die sind darauf gedrillt, Leute festzunehmen oder niederzuprügeln. Das trägt nicht gerade zur Deeskalation bei, denn die Staatsmacht setzt pauschal voraus, dass es hier Reibereien geben kann.

sueddeutsche.de: Würde sich dieses festgefahrene Verhältnis verbessern, wenn die Polizei ein wenig auf Entspannung setzen würde anstatt auf Repression?

Tobias H.: Als Fan bin ich ein Freund von Selbstregulierung. Fangruppen sind nicht an sich unvernünftig. Die Szene ist ein stark hierarchisches System, da zählt es sehr wohl, was Ältere aus der Gruppe sagen. Letztendlich wollen wir nur friedlich Fußball schauen und unsere Fankultur ausleben - mit allem was dazugehört, also vielleicht auch manchmal unschöne Sachen. All das lässt sich am besten selbst regulieren. Der Freiraum ist über die vergangenen zehn Jahre deutlich geringer geworden.

"Ein gewisser Gewaltanstieg außerhalb der Stadien"

sueddeutsche.de: Zuletzt gab es mehrere Vorfälle, die zu drastischen Strafen geführt haben. Wie beurteilen Sie das Gewaltproblem im deutschen Fußball?

Fußball: Debatte um Fangewalt: Auch das gehört zur Ultra-Kultur: Beeindruckende Choreographien, wie vor dem Heimspiel gegen Lyon. Diese Aktion kostete die Anhänger 12.000 Euro.

Auch das gehört zur Ultra-Kultur: Beeindruckende Choreographien, wie vor dem Heimspiel gegen Lyon. Diese Aktion kostete die Anhänger 12.000 Euro.

(Foto: Foto: imago)

Tobias H.: Ich würde schon sagen, dass es außerhalb der Stadien einen gewissen Gewaltanstieg gibt, vor allem Überfälle unter Fangruppen nehmen zu. Gewalt hat es immer gegeben, die kommt wellenartig wieder. Ich denke, wir erleben derzeit auch eine Art Gegenrevolution zur totalen Überwachung, die irgendwann in den Stadien eingesetzt hat. Ab 2004 wurde sicherheitspolitisch ziemlich aufgerüstet, gleichzeitig war aber der Fußball Anfang des Jahrzehnts so friedlich wie noch nie. Fußball wurde damals absolut gesellschaftstauglich, auch höhere Bildungsschichten und Besserverdienende gingen hin. So bekam alles einen Freizeitpark-Charakter und die Gewalt war sehr gering. Trotzdem wurde im Zuge der WM 2006 der Sicherheitsapparat weiter aufgestockt und die Polizei kümmerte sich auf einmal um Dinge, die ich völlig lapidar finde. Zum Beispiel mussten bestimmte Fahnenstocklängen genau eingehalten werden. Dabei ist das ein völlig ungefährliches Instrument. Plötzlich wurde auch die kleinste Regelüberschreitung geahndet und die Fans erhielten mit voller Härte Stadionverbote. Damit mussten bei jedem Verein auch ein paar Fans draußen bleiben - aus dieser "Ausgesperrten-Kultur" heraus begannen wiederum einige, sich untereinander zu prügeln. Aber der Hauptimpuls kommt von der grundlosen Kriminalisierung der Fans.

sueddeutsche.de: Was muss man den Ultras vorwerfen?

Tobias H.: Vorwerfen kann man ihnen, dass sie kritiklos jeden neuen Trend übernehmen. Wenn eine Ultra-Gruppe anfängt, andere zu überfallen, breitet sich das wie ein Lauffeuer über die ganze Republik aus. Innerhalb kürzester Zeit machen dann alle dasselbe. Die negativen Strömungen ahmen viele Ultras einfach zu schnell nach.

sueddeutsche.de: Wären Randale wie in Berlin auch bei Spielen des FC Bayern denkbar?

Tobias H.: Ich halte Berlin für ein schlechtes Beispiel. Das ist ein Einzelfall, der aus einer sehr emotionalen Situation heraus passierte. Auszuschließen ist so was nie, aber dort hatten die Leute unterschiedliche Motive, das Spielfeld zu stürmen. Ich glaube, dass die meisten selbst nicht genau wussten, was sie da machen. Das ist ein ziemlich atypischer Fall, den es so noch nicht gegeben hat und ich finde es unnötig, wegen dieses Einzelfalls nach großen Sanktionen zu rufen. Das Spielfeld zu stürmen wird nicht in Mode kommen.

sueddeutsche.de: In Berlin wurde nach den Jagdszenen im dem Spiel gegen Nürnberg die ganze Kurve gesperrt - wie wirken sich solche Konsequenzen auf den friedlichen Rest der Fans aus? Wann kommt der Zusammenhalt an seine Grenzen?

Tobias H.: Bei solchen Urteilen ist der Zusammenhalt besonders stark. Die Mehrheit der Fans ist der Meinung, dass Art und Durchführung der Strafe zu hart sind, dadurch solidarisieren sie sich. Das wäre auch bei uns so. Wenn beim FC Bayern mal die Kurve gesperrt werden sollte, würde das sicherlich ein Großteil der Fans ablehnen und sagen: Warum so eine Strafe? Ich glaube nicht, dass das abschreckt.

sueddeutsche.de: Warum schützen die Fangruppen Straftäter in ihren Reihen anstatt sich von ihnen zu distanzieren?

Tobias H.: Es geht viel um Zusammenhalt. Kleinere Delikte betrachten manche als nicht so wild. Schlimmer wird es, weil die Polizeiseite ganz ähnlich reagiert. Bei jedem Einsatz mit Schlagstöcken bricht das USK klar die Regeln, die verprügeln Leute, die schutzlos sind und decken sich gegenseitig genauso über ihren Ehrenkodex. Es gibt auch keine Möglichkeit, einen Polizisten zu belangen. Wenn das öffentlich wird, werden solche Fälle intern verzögert und unter den Tisch gekehrt. Hinzu kommt, dass die Strafen meistens inakzeptabel hoch sind. Selbst für Bagatelldelikte gibt es oft sofort Stadionverbot - die Höchststrafe für Fans. Wenn jemand so aus meinem Freundeskreis gerissen wird und vor dem Stadion steht, solidarisiert man sich leicht.

"Feuerwerkskörper will die Mehrheit der Fans nicht"

Fußball: Debatte um Fangewalt: Die Südkurve ist seit vielen Jahren die treibende Kraft für Anfeuerung, Gesänge und Choreographien der Bayern-Fans.

Die Südkurve ist seit vielen Jahren die treibende Kraft für Anfeuerung, Gesänge und Choreographien der Bayern-Fans.

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sueddeutsche.de: Wäre es nicht ein wünschenswerter Kurvengeist, sich gegenseitig ein bisschen auf die Finger zu schauen?

Tobias H.: Absolut. Ich bin lange dabei und in diesem Hierarchiesystem zählt meine Meinung auch etwas. Ich bin da in der Regel sehr verantwortungsvoll und passe auch auf. Klar gibt es Aktionen, über die ich mich ärgere, darüber wird auch geredet. Wenn etwas passiert, das nicht in Ordnung ist, werden die Leute auch intern dafür zur Rechenschaft gezogen und ihnen wird klargemacht: Mach das nie mehr! Dass bei uns beispielsweise keiner Feuerwerkskörper zündet, liegt daran, dass ein Großteil der aktiven Fanszene sagt: Nein, wir wollen das nicht bei Bayern.

sueddeutsche.de: An den jüngsten Gewaltausbrüchen waren auch Ultras beteiligt, denen es sonst eigentlich nur um Support geht ...

Tobias H.: ... das ist eine sehr lebendige und junge Kultur, die absolut "in" ist. Diese Subkultur zieht viele Leute an, da müssen sich einige auch beweisen und ich denke schon, dass es einen Wandel von einer absolut friedlichen Ultra-Kultur in Deutschland hin zu mehr gewalttätigen Motiven gegeben hat. Ich gebe der Polizei aber wegen ihrer Repressionen eine Mitschuld.

sueddeutsche.de: Es heißt, die Ultras des FC Bayern hätten mittlerweile jeglichen Dialog mit der Polizei eingestellt. Warum?

Tobias H.: Das lag daran, dass von Seiten der Polizei der Druck gegen die Bayern-Ultras immer höher wurde. Daraus entwickelte sich unser Konsens: Wir reden nicht mit der Polizei, wir steigen nicht in einen Dialog ein. Jeder soll sein Ding machen. Das ist mittlerweile ein Kleinkrieg geworden: Die Polizei versucht Fangruppen wie die "Schickeria" zu schikanieren, die wiederum auf die Provokationen so wenig wie möglich einzugehen versucht.

sueddeutsche.de: Der Club Nr. 12 kämpft seit Jahren gegen Stadionverbote seiner Mitglieder - wie kommt es zu diesen Verboten?

Tobias H.: Die werden relativ willkürlich ausgesprochen. Wenn ich in einem Ermittlungsverfahren als Beschuldigter gelte, bekomme ich ziemlich bald auch Stadionverbot. Bei Fällen wie der Sache mit der Schickeria in Würzburg, wo einige Fans vermutlich im Zug randaliert hatten, kann die Polizei einzelne Täter nicht feststellen und stellt deshalb pauschal ganze Gruppen von über 100 Leuten unter den Verdacht des Landfriedensbruches. Der Verdacht und das aufgenommene Verfahren gegen jeden Einzelnen reicht dann schon für ein Stadionverbot aus. Das kritisieren wir, weil es der total falsche Weg ist, zu sagen: Stadionverbot für 100 Leute, dann werde ich den Richtigen schon erwischt haben.

sueddeutsche.de: Welche Verhältnismäßigkeit aus Sanktion, Repression und Prävention wäre gegen Fangewalt am wirkungsvollsten?

Tobias H.: Am sinnvollsten wäre ein allgemeiner Dialog, der den Fans Vertrauen entgegenbringt. Die Polizei sollte einige Schritte auf uns zukommen, uns ein paar Zugeständnisse machen und man könnte sich gegenseitiges Vertrauen aussprechen. Das war in den neunziger Jahren vielmehr gegeben, aber dieser Zustand hat zuletzt gewaltig gelitten. Wenn wir in dieser Abwärtsspirale weitermachen, führt das auf beiden Seiten nur zur Eskalation, davon müssen wir wegkommen.

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