Fußball:Das ist die Mannschaft der EM

Wer war der gefährlichste Stürmer? Welches Mittelfeld-Ass stach? Welcher Abwehrstratege glänzte? Die SZ präsentiert das Team, das bei dieser EM ganz gewiss unschlagbar gewesen wäre.

Trainer: Chris Coleman (Wales)

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(Foto: Getty Images)

Chris Coleman hat die schwierigste Aufgabe aller EM-Trainer hinter sich. Nach dem Suizid von Nationaltrainer Gary Speed, ein Jugendfreund Colemans, übernahm er 2012 das geschockte Team, das mit ihm fünfmal nacheinander verlor. Der 45-Jährige baute um: Er buchte andere Hotels wie Speed, wählte neue Reisewege, gab Ashley Williams die Kapitänsbinde. Dann gewann Wales wieder. So wie bei dieser EM - weil Coleman auch große Fußballer wie Bale oder Ramsey vom Verteidigen überzeugt hat. Und, weil er seine Gegner mit pfiffigen Standardvarianten überraschte. Das brachte ihn als neuen Trainer Englands ins Gespräch. Coleman antwortete trocken: "Ich? Das würde ich nie in Betracht ziehen. Ich bin Waliser durch und durch." Johannes Kirchmeier

Hugo Lloris (Frankreich)

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(Foto: AP)

Gut, klar, sicherlich. Der Manuel Neuer kann links wie rechts und vorwärts wie rückwärts die Bälle halten. Aber der beste EM-Torwart war Hugo Lloris. Ohne den 29-Jährigen von Tottenham Hotspur wären die Franzosen kaum ins Finale gekommen - Lloris kratzte die Bälle mit sensationellen Reflexen von der Linie, auch seine Strafraumbeherrschung ist exquisit. Viel Aufhebens macht Lloris darum nicht. Er redet nicht viel - sein Vorbild war einst der Tennisprofi Pete Sampras, genannt "der Schweiger". Lloris redet dann, wenn es nötig ist. Seit 57 Spielen ist er Frankreichs Kapitän, länger als alle Vorgänger. Und anders als Manuel Neuer hat er bei der EM keinem gegnerischen Stürmer einen Ball vor die Füße gepatscht. Claudio Catuogno

Leonardo Bonucci (Italien)

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(Foto: AFP)

Endstation, Schluss, aus. Nichts flößt mehr Angst ein, als den Innenverteidiger Leonardo Bonucci lächeln zu sehen. Mit aufeinander gebissenen Zähnen, bedrohlich, eisern entschlossen. Es ist ein "Ist-mein-Kaffee-fertig?"-Fletschen. Bonucci stammt aus Viterbo, einer Stadt, in der sich das Volk zwischen grauen mittelalterlichen Tuffsteinpalästen auf der Piazza della Morte zum Samstagabendvergnügen trifft: Platz des Todes, an der Ecke steht ein Papstpalast. Vor Jahrhunderten boten Bonuccis Vorfahren den Päpsten Schutz vor den Römern, natürlich nicht nur gegen Himmelslohn. Als die Kirchenfürsten nicht mehr zahlten, vertrieben die Bonuccis sie zurück nach Rom. Solche Leute kann man durch nichts erschrecken. Leonardo Bonuccis Eisenlächeln vertrieb alte Schweden, junge Belgier, müde Spanier. Ausbremsen und eiskalt kontern, auch gegen Deutschland. Bonucci servierte Manuel Neuer den Ausgleichs-Elfmeter on the rocks. Erst in der Strafstoß-Lotterie zog er eine Niete. Aber das ist schon kalter Kaffee. Birgit Schönau

Jérôme Boateng

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(Foto: Getty Images)

Ronaldo, Bale und Griezmann sind Weltstars, und Weltstars dürfen mehr als andere. Für die Weltstars ist es deshalb keine gute Nachricht, dass Jérôme Boateng in der All-Star-Elf hinter ihnen spielt. Boateng ist nämlich einer, dem es auffällt, falls die hohen Herren da vorne mal zu wenig laufen oder gar stehen bleiben; er ist sogar einer, der nachher vor die Mikrofone geht und das mit leiser Stimme laut sagt. Schon nach dem Auftaktspiel gegen die Ukraine hat er die Angreifer mit seinem traurigen Blick ermahnt, nach dem 0:0 gegen Polen noch mal, und er hat sich damit offenbar so viel Respekt verschafft, dass ihn wiederum keiner ermahnt hat, als er gegen Italien kurz Handball spielte. In der All-Star-Elf wird ihm das nicht passieren, hat er versprochen, deshalb ist seine Nominierung unstrittig. Der Einsatz eines Verteidigers, der hinten jeden Ball abläuft und nach vorne millimetergenaue Pässe spielt, kann nur von der Uefa verhindert werden. Denn wer Boateng im Team hat, verzerrt im Grunde den Wettbewerb. Christof Kneer

Giorgio Chiellini (Italien)

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(Foto: dpa)

Im Showbusiness des Fußballs sind andere für die Heldenrolle vorgesehen, nicht dieser etwas linkische Grobmotoriker und stille Kämpfer. Aber auf Helden kann eine Mannschaft notfalls verzichten, auf einen Chiellini nicht. Ein Spieler, der notfalls alles allein macht. So wie im EM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan: Italien siegte 2:1, Chiellini schoss alle drei Tore. Nach dem Führungstreffer machte er ein Eigentor, dann brachte er die Angelegenheit selbst wieder in Ordnung. Im Achtelfinale gegen Spanien sah es so aus, als wolle Chiellini schon wieder alles allein machen. Er war einfach überall, hinten, beim Bremsen, in der Mitte, beim Heizen, und vorne feuerte er Italien in Führung. Wer einen Chiellini hat, muss sich um den Rest wenig Sorgen machen. Der Mann kann einstecken, aber auch austeilen. Beides mit nimmermüder Beharrlichkeit. Und weil ihm noch zwei Prüfungen fehlten bis zum Master in Wirtschaftswissenschaften, steckte Giorgio Chiellini nach dem Abpfiff seine Nase noch in Bücher: Heldenhaft. Birgit Schönau

Aron Gunnarsson (Island)

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(Foto: AFP)

Bei dieser EM war das Spiel mit Ball für viele Mannschaften eher Risiko denn Vergnügen; sie wollten ihn lieber nicht haben, aus Angst ihn zu verlieren. Den Stil, in dichten Reihen zu verteidigen und abzuwarten, haben die Isländer in Frankreich in Reinform dargeboten. Mitreißend waren ihre Spiele trotzdem, weil sie mit viel Herzblut kämpften. Und Aron Gunnarsson kämpfte von allen Isländern am effektivsten. Der Kapitän sei der beste Spieler der Welt ohne Ball, sagte sein Trainer Heimir Hallgrímsson - und das war als Lob gemeint. Wenige Spieler verstehen es wie der 27-Jährige von Cardiff City, Räume zuzustellen, Mitspieler mit endloser Laufarbeit abzusichern, Defensivbewegungen zu organisieren und Gegner anzugreifen - der furchteinflößende rote Bart tat sein Übriges. Seine auffälligsten Szenen hatte Gunnarsson nicht etwa mit dem Ball am Fuß, sondern mit dem Ball in der Hand: Mit weiten und präzisen Einwürfen leitete er zwei Tore ein. Sebastian Fischer

Ivan Rakitić (Kroatien)

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(Foto: Getty Images)

Am Abend von Lens klang Ivan Rakitić, wie er selten klingt: verbittert. In Spanien ist der Mittelfeldmann des FC Barcelona als "todocampista" berühmt, weil er sich auf höchstem Niveau überall auf dem Feld klaglos unter- und einordnet. Doch an jenem Abend, Kroatien hatte das Achtelfinale 0:1 gegen Portugal verloren, wollte er nichts klaglos hinnehmen. "Ich denke, dass das beste Team dieser EM nun nach Hause fährt", sagte Rakitić. Man hätte es ihm nicht verdenken können, hätte er hinzugefügt, dass dieses Schicksal auch einem der besten Spieler widerfahre: ihm. Für Kroatien spielte Rakitić, 28, eine offensivere Rolle als in Barcelona, er war der "Zehner", veredelte die von Luka Modrić eingeleiteten Angriffe mit dem finalen Pass, traf gegen Tschechien selbst. Er bewies leider nur vier Spiele lang, was sie beim FC Schalke 04 kopfschüttelnd registrieren, seit sie ihn 2011 gehen ließen: Rakitić ist einer der faszinierendsten Mittelfeldspieler der Welt. Sebastian Fischer

Toni Kroos

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(Foto: AFP)

Das deutsche Team spielt inzwischen spanischer als Spanien das je getan hat. Der größte Spanier im deutschen Team ist Toni Kroos, auf seine norddeutsche Art könnte er Andrés Iniestas Zwillingsbruder sein. In der DFB-Auswahl gibt es einige Persönlichkeiten, was sich auch im einflussreichen, meinungsfreudigen Spielerrat abbildet, dem unter anderem Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Mats Hummels angehören. Kroos ist weder Ratsmitglied noch soziales Herdentier, aber auf dem Rasen bestimmt vor allem er das Geschehen. Das Prinzip des deutschen Spiels geht vom Pass-Spieler Kroos aus. Ohne autoritäre Gesten, mit unauffälliger, verlässlicher Perfektion, verteilt er Bälle auf kurzen Wegen, diagonal, in die Tiefe, immer mit einer Präzisionstechnik, die er markenrechtlich schützen lassen sollte. "Es gibt wenige Spieler überhaupt, die so cool sind wie der Toni Kroos", sagt der Bundestrainer über seinen unentbehrlichen Spanier aus Greifswald. Philipp Selldorf

Aaron Ramsey (Wales)

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(Foto: AFP)

Wales würde es auch ohne ihn schaffen, hatte Aaron Ramsey gedacht. "Wir haben Spieler, die einspringen und meinen Job übernehmen können. Unser Teamgeist ist so unfassbar, jeder ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen", sagte der gelbgesperrte Ramsey vor dem EM-Halbfinale gegen Portugal. Danach musste aber auch er erkennen: Sie schafften es nicht. Die Waliser waren überfordert ohne ihren auffälligen, wasserstoffblondierten, im Viertelfinale gegen Belgien überragenden Regisseur; ohne ihr Scharnier zwischen Defensive und Offensive. Ein Tor, vier Vorlagen in fünf Spielen - Ramsey gehört zu den effektivsten Spielern dieser Europameisterschaft. Der Mittelfeldmann des FC Arsenal ist neben dem Angreifer Gareth Bale zum wichtigsten Spieler der Waliser bei ihrer ersten Teilnahme an einem Großturnier seit der WM 1958 geworden. Und zu dessen wichtigstem Helfer. Ohne Ramsey fehlte den "Dragons" Feuer. Nicht nur optisch. Anna Dreher

Antoine Griezmann (Frankreich)

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(Foto: Getty Images)

Ein Stürmer, der Umwege geht, um ans Ziel zu kommen. Auf und neben dem Platz. War einst allen französischen Klubs, bei denen er vorspielte, zu schmächtig - da war er aber erst 14. Vier Tage lang überredete ein spanischer Scout die Eltern, ihn nach San Sebastián ins Fußballinternat zu schicken, oft war er dort einsam, aber das ist ein Stürmer vor dem Tor ja auch. Inzwischen Frankreichs "joueur décisif", der Spieler, der den Unterschied ausmacht. Eiskalt vor dem Tor, selbst wenn es von Manuel Neuer bewacht wird. Und noch viel dezisiver, seit der Trainer Didier Deschamps ihn in die Mitte des Spiels gerückt hat. Neun Tore bei einer EM, das ist der einsame Rekord von Michel Platini - Griezmann liegt auf Platz zwei, schon vor dem Finale hatte er sechs. Und trotzdem ist es nicht nur Griezmanns Treffsicherheit, die ihn so wichtig macht. Sondern auch seine Lauf-, Sonder- und Umwege. "Er macht die Spieler um ihn herum besser", sagt Deschamps. Claudio Catuogno

Cristiano Ronaldo (Portugal)

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(Foto: AFP)

Cristiano Ronaldo war der ambitionierteste, einflussreichste, schönste, scheinwerfersüchtigste, kopfballstärkste, bestfrisierte, wehleidigste, solidarischste, egozentrischste, flitzerfreundlichste, islandophobischste, frei- und strafstoßungefährlichste, medienfeindlichste, meistverachtete, meistbewunderte, führungsstärkste, androgynste, rekordverdächtigste, manierierteste, stolzeste, eitelste, gelassenste, exaltierteste, portugiesischste, albernste, körperfettärmste, synthetischste, hungrigste, führungs- und willensstärkste, familienfreundlichste, bestbezahlte, illusionierendste, enttäuschendste, größtmäulige, maulfaulste, hysterischste, bestmassierte, mannschaftsdienlichste, steigerungsfähigste, singulärste, superkalifragilistischexpiallegorischste Stürmer der EM. Unter anderem. Niemand erschöpfte das Kompendium der Adjektive so sehr wie Ronaldo, der so oft infantil wirkt, obwohl er mit nun 31 Jahren auch nicht mehr der Jüngste ist. Javier Cáceres

Gareth Bale (Wales)

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(Foto: AP)

Alba Violet Bale hat den Fußball für immer geprägt. Nach dem Sieg von Papa Gareth gegen Nordirland rannte die Dreijährige auf das Spielfeld, hüpfte, lachte, ließ sich in die Luft werfen, gab dem Papa einen Kuss. Kurz darauf verbot die Uefa allen Kindern den Zugang zum Spielfeld. So etwas dürfe nicht überhandnehmen, argumentierte der europäische Verband. Gareth Bale, der starke Papa mit dem schicken Zöpfchen, wollte dennoch nicht aufhören zu gewinnen. Er schoss die besten Freistöße im Turnier, er sprintete und dribbelte an den meisten Gegnern vorbei, er half seinen Mitspielern beim Verteidigen. Dabei verdienen die anderen Waliser vermutlich zusammen nicht so viel wie Gareth Bale in Madrid. Doch er stieg hinunter aus dem Real-Olymp zu seiner kleinen Heimat-Auswahl und gab einen wahren Anführer. Es reichte bis zur historischen Halbfinal-Teilnahme. Zur Belohnung bekam er bestimmt noch mal einen Kuss von Alba Violet. Thomas Hummel

Joker: Renato Sanches (Portugal)

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(Foto: dpa)

Die Hochglanz-Gesellschaft des Fußballs staunt über Renato Sanches, als käme er aus einem fremden Universum. Und das stimmt ja auch. Das Universum heißt Musgueira, früher ein Ghetto in Lissabon. Sein Spiel spiegelt sich darin: respektlos vor Autoritäten, angstfrei, draufgängerisch. Gegen Kroatien bereitete er das entscheidende Tor vor, gegen Polen schoss er den Ausgleich, blieb im Elfmeterschießen kühl. Mit 18 Jahren. Was der Portugiese einmal hat, gibt er nicht mehr her, den Ball verteidigte er bei der EM unerbittlich. Er gönnt niemandem etwas, schon gar nicht den Stammplatz. Dass er in dieser Elf des Turniers nur Joker ist, wird er der SZ noch einmal nachtragen. Er kommt ja bald nach München, ins Universum FC Bayern. Thomas Hummel

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