Süddeutsche Zeitung

Fußball-Clásico Barcelona - Real:Politisch aufgeladen wie noch nie

Der FC Barcelona und Real Madrid treffen sich zum 222. Clásico in Spanien. Dass dieses Duell der Giganten wegweisend für die Saison ist, spielt kaum eine Rolle. Die katalanische Unabhängigkeits-Bewegung wird das Spiel für sich nutzen. Auch der alte Barca-Trainer Pep Guardiola heizt die Stimmung an.

Oliver Meiler

Diese Fahnen, diese Farben, diese Chöre. Selten hing mehr politische Spannung über einem Clásico als über diesem, dem ersten der laufenden Meisterschaft, am Sonntagabend im Camp Nou zu Barcelona. Und das will etwas heißen: FC Barcelona versus Real Madrid war ja immer schon viel mehr als ein Fußballspiel. Viel, viel mehr.

Dieser Affiche fiebert man in beiden Städten mit einer solchen emotionalen Wucht entgegen, dass die Beschwörung von Folklore unerhört verharmlosend wirkt. Alles fließt da zusammen: große und kleine Gefühle, große und kleine Geschichte, große und kleine Politik. Jedes Mal neu, auch in der 222. Auflage wieder.

Und doch steckt diesmal eben noch mehr drin als sonst. Die Mossos d' Esquadra, die Geschwaderjungs der katalanischen Polizei, sind in außergewöhnlich großer Zahl aufgeboten. Die Begegnung gilt als "Hochrisikospiel". In jeder Hinsicht, nebenbei auch sportlich. Gewänne nämlich Barça, würde das den Vorsprung auf Real auf sagenhafte elf Punkte erhöhen. Nach nur sieben Spieltagen. Das wäre eine kleine Vorentscheidung und eine große Schmach für die Madrilenen. Mindestens ebenso stark wie die Tore Messis und Ronaldos interessieren diesmal aber die Gesänge auf den Rängen, die Choreografien, die wehenden Tücher, die Transparente.

Der Clásico wird zur Bühne der Independencia. In der Schuldenkrise wächst der Wunsch vieler Katalanen, sich von Spanien loszulösen. Sie werden die rot-gelb gestreifte Unabhängigkeitsfahne mit dem Stern ins Stadion tragen, werden wohl in die katalanische Nationalhymne einstimmen. Und wie bei den jüngsten Heimspielen werden sie neben den obligaten "Messi! Messi!"-Huldigungen immer mal wieder ein "Ia-ia, Independencia" ins Camp Nou hinein schmettern. Real, der Verein aus der Hauptstadt, dient als Verkörperung des ungeliebten Zentralstaats, als Punching Ball gewissermaßen. Das war schon früher so, zu Zeiten Francos. Die Schmähungen durch die Diktatur, die Unterdrückung des Katalanischen nähren die antispanische Verve bis heute.

Als der Generalísimo im November 1975 gestorben war, druckten sie in den Textilateliers Barcelonas schnellstmöglich viele senyeras, katalanische Fahnen, für den nächsten Clásico. Der fand nach Weihnachten statt, am 28. Dezember, es sollte ein historischer Tag werden. Trainer in Barcelona war damals Hennes Weisweiler. Das spanische Staatsfernsehen übertrug live, bot so eine formidable Plattform. Die Katalanen gewannen 2:1. In den Köpfen aber blieb der Blickfang der vielen gestreiften Fahnen haften, das politische Statement der Barcelonistas. Über die Stadion-Lautsprecher ertönte erstmals alles nur auf Katalanisch, in der Sprache der neuen, noch fragilen Freiheit. Man war nun endlich sich selber.

Der FC Barcelona ist ein durch und durch katalanischer Verein, mag er sich in der Vergangenheit auch als unpolitisch bezeichnet haben. Nicht alle, aber eine stattliche Mehrheit seiner 180.000 Mitglieder, sind Katalanen und Katalanisten. Und der Verein ist nun mal der ganze Stolz Barcelonas, die beste Marke der Stadt, sozusagen das Außenministerium Kataloniens mit quasiplanetarischer Wirkung. "Més que un club", "mehr als ein Klub" - das ist sein Motto. Es ist auch sein Mantra.

In Barcelonas Straßen sieht man seit einigen Wochen rot-gelb gestreifte Trikots mit dem Abzeichen Barças, von denen man nicht so genau weiß, woher sie kommen und ob sie offiziell sind. Als am vergangenen 11. September, dem Nationaltag Kataloniens, Hunderttausende für die Unabhängigkeit demonstrierten, wurde über Großleinwand jener Mann aus New York zugeschaltet, der den Verein als Trainer richtig groß gemacht hatte: Pep Guardiola. Und der sagte unter dem Applaus der Massen, seine Stimme gehöre der Independencia. Das wiederum sorgte für viel Aufregung unter Guardiolas früheren Kameraden der spanischen Nationalelf. Ist Pep ein Nestbeschmutzer? Ein Verräter des Vaterlandes?

In Spanien wird nun die Frage diskutiert, ob Barça selbst dann noch in der nationalen Liga spielen dürfte, wenn Katalonien tatsächlich irgendwann mal, nach langem und kurvigem Prozess, ein eigener Staat werden sollte. Und: Was wäre dann mit den Clásicos?

Als ob das nicht schon reichte an Politik und Polemik, spielt noch ein anderer politischer Konflikt eine mächtige, medial hysterisch begleitete Rolle bei dieser Begegnung. Man hält es zwar kaum für möglich, doch es geht um Nahost, um Israel und Palästina. Und das kam so: Vor einigen Wochen wandte sich ein ehemaliger israelischer Minister mit der Bitte um Dreh-Erlaubnis an Barças Vereinsleitung. Ein Dokumentarfilmer will das bewegte, junge Leben des ehemaligen Soldaten Gilad Shalit verfilmen, heute 24 Jahre alt, der wegen seiner fünfjährigen Geiselhaft in den Händen der palästinensischen Hamas weltbekannt wurde. Shalit ist Barcelonista, ein großer Fan.

In seiner Geiselhaft, von 2006 bis 2011, hat er die erfolgreichste Ära in der Geschichte seines Lieblingsvereins verpasst. Über Radio, erzählte er nach seiner Freilassung, konnte er sich zuweilen die Live-Berichterstattung über die israelische Liga anhören. Manchmal gab es auch Spiele der Champions League.

Der Film soll diese Liebe zum Fußball und für Barça spiegeln - mit Bildern von Shalit im Camp Nou, beim Clásico. Der Verein sagte zu und zog damit den Zorn palästinensischer Organisationen in Spanien auf sich. Die drohten damit, man würde fortan dafür sorgen, dass in der Heimat keine Barça-Spiele mehr übertragen und dass die dortigen Zeitungen keine Berichte über die Katalanen mehr veröffentlichen würden. Der Zorn legte sich selbst dann noch nicht, als der Verein daran erinnerte, dass man im vergangenen Jahr Mahmud Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, empfangen hatte.

Und so lud Vereinspräsident Sandro Rosell nun aus Sorge um "Frieden und Harmonie im Nahen Osten" auch zwei ehemalige palästinensische Häftlinge zum Spiel ein, einen Fußballer und den Vorsitzenden des Fußballverbands. Irgendwie neutral, irgendwie besorgt, vielleicht sogar eine Spur überfordert von so viel drückender Politik, nationaler und internationaler.

Vor dem Spiel wünschte Rosell, dass es bei allem Recht auf freie Meinungsäußerung gesittet zugehe im Camp Nou. Jedes Spruchband der Katalanisten, das der spanischen Gesetzgebung höhne, jede überzogene Propaganda soll von den Stewards entfernt werden. Heißt es wenigstens, etwas heuchlerisch.

Die Marketingabteilung des Futbol Club Barcelona hat nämlich vor, auf alle 90.000 Stühle farbige Kartonstücke zu legen, vorwiegend rote und gelbe. In die Höhe gereckt ergibt das dann die größte Senyera aller Zeiten, auf 27.000 Quadratmetern. Einige tausend Zuschauer erhalten blaue Kartons für ein Bekenntnis mit Ausrufezeichen: "Barça!"

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Quelle:
SZ vom 06.10.2012
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