Wolfsburg in der Champions League:Reifeprüfung gegen den Nahkampfkönig

Maxence LACROIX ( 4 - Wolfsburg ) - Burak Yilmaz ( 17 - LOSC ) - FOOTBALL : Lille vs Wolfsburg - Champions League - Lil

Maxence Lacroix im Laufduell mit Lilles Stürmer Burak Yilmaz.

(Foto: Federico Pestellini/Imago)

Der Wolfsburger Verteidiger Maxence Lacroix hält beim 0:0 in Lille die Defensive zusammen - und scheint seine Wechselabsichten aus dem Sommer vergessen zu haben.

Von Thomas Hürner

Burak Yilmaz hatte erkennbar schlechte Laune. Das ist für sich genommen keine Meldung von hohem Nachrichtenwert, denn der Stürmer des französischen Meisters OSC Lille zählt schon eine ganze Weile zu den furchteinflößendsten Gestalten der Fußballbranche. Seine auf 1,88 Metern Körpergröße ausgebreitete Kraft vermengt sich mit seiner nicht zu übersehenden Absicht, diese auch einzusetzen. Überdies gibt es über Yilmaz, 36, glaubhafte Berichte seiner Gegenspieler, dass mit ihm keineswegs zu spaßen sei, weder bei seinen häufigen Kopf-an-Kopf-Scharmützeln noch bei allen weiteren Arten des fußballerischen Nahkampfs.

Womit man wiederum bei Maxence Lacroix wäre, dem erst 21 Jahre alten Verteidiger des VfL Wolfsburg. Am Dienstag, beim mühsam erkämpften 0:0 im ersten Champions-League-Gruppenspiel in Lille, war der Franzose so etwas wie der Yilmaz-Sonderbeauftragte: Lacroix verfolgte den Türken bis in die entlegensten Winkel des Platzes und hielt auch dann noch tapfer die Stellung, wenn der Stürmer die Ellenbogen ausfuhr. Der Abwehrmann schreckte auch nicht davor zurück, die bewährten Tricks des schmutzigen Spiels auch selbst anzuwenden, etwa in Form von Klammergriffen im griechisch-römischen Stil oder beherzten Grätschen aus dem Hinterhalt.

"Man kann nicht immer schön spielen", sagt VfL-Coach Mark van Bommel

Das sah ein bisschen so aus, als wollte Lacroix eine selbst auferlegte Reifeprüfung ablegen und zugleich seinen Vorgesetzten stolz machen: Der VfL-Trainer Mark van Bommel hat sich in seinem früheren Leben als Mittelfeldraubein bekanntlich den Ruf als "Aggressive Leader" erworben. Aber auch als Beobachter von der Seitenlinie schätzt er jene hingebungsvollen Anstrengungen, die dem Kontrahenten so richtig schön den Tag vermiesen. "Man kann nicht immer schön spielen", lautete das Fazit van Bommels. Damit war bereits einiges darüber gesagt, wie die Wolfsburger in ihrer ersten Königsklassen-Partie seit fünf Jahren zum Punktgewinn in Lille kamen.

Einen großen Anteil daran hatte Lacroix, der gleich in doppelter Hinsicht gefordert war: Neben seiner Aufgabe als Wachhund für Stürmer Yilmaz, den gefährlichsten Akteur in den Reihen des Gegners, trat er von der 63. Minute an zusätzlich als Organisator eines dezimierten Defensivverbunds auf. Der eigentliche Abwehrchef John-Anthony Brooks hatte nach einem Stellungsfehler einen heranrollenden Angriff per Handspiel unterbunden und war dafür mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen worden. Das war zwar die schmerzhafteste, aber bei weitem nicht die einzige Karte des Abends: Die Wolfsburger sammelten insgesamt sechs Verwarnungen ein, inklusive Trainer van Bommel, der in der Schlussphase eine kleine Schimpftirade in Richtung des Schiedsrichters abließ - dummerweise ist Danny Makkelie des Niederländischen ebenso mächtig wie sein Landsmann.

Aber auch in dieser hitzigen Gemengelage spielte Lacroix mit der Umsicht eines Routiniers, der sich auch von Schreckmomenten nicht aus der Ruhe bringen lässt. Zu überstehen hatten der Franzose und sein Team einige davon, etwa zu Beginn der zweiten Hälfte, als ein Treffer der Heimelf nur deshalb nicht gegeben wurde, weil der Videoschiedsrichter den Ball im vorausgegangenen Angriff im Seiten-Aus gesehen hatte. Oder in der letzten Minute der Nachspielzeit, als sich VfL-Mittelfeldmann Josh Guilavogui eine Unbedarftheit leistete: Ein rüdes Foul an der Strafraumkante gegen Lilles Mittelfeldmann Amadou Onana, das zunächst mit einem Elfmeter geahndet wurde. Auch diese Entscheidung wurde nach Prüfung des Bildmaterials wieder zurückgenommen.

Lacroix wäre gerne nach Leipzig gewechselt - musste dann aber in Wolfsburg bleiben

Vereinzelte Nachlässigkeiten leistet sich auch der 1,90 Meter große Lacroix noch. Davon abgesehen erfüllt er aber alle Gütekriterien des modernen Verteidigerwesens: Er ist pfeilschnell, dynamisch im Vorwärtsgang und unnachgiebig im Zweikampf. Diese Sammlung hervorstechender Fähigkeiten rief im Sommer den Ligakonkurrenten RB Leipzig auf den Plan, der dem Vernehmen nach bereit war, eine Ablöse in Höhe von 20 Millionen Euro zu bezahlen. Das war dem Wolfsburger Sportchef Jörg Schmadtke jedoch zu wenig, obwohl diese Summe eine Vervierfachung des Markwerts innerhalb nur eines Jahres bedeutet hätte. Lacroix wechselte 2020 vom FC Sochaux in die Autostadt und wäre nach eigenem Bekunden gerne nach Sachsen weitergezogen, weil er dort die geeignetere Bühne sah, um sich ins Blickfeld des französischen Nationaltrainers Didier Deschamps zu spielen. Nach dem gescheiterten Transfer sei er deshalb "ein bisschen sauer" gewesen, sagte er. Mittlerweile, so Lacroix, sei aber "wieder alles okay".

Ob das der Wahrheit entspricht? Ein bisschen Wut im Bauch kann ja nicht schaden, wenn man es auf dem Platz mit Burak Yilmaz zu tun bekommt, den gefürchtetsten Nahkämpfer von Antalya bis Lille.

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