Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:Sané zeigt seine ganze Kunst

Beim 2:0 gegen Inter Mailand ist der Stürmer an beiden Toren und weiteren Chancen beteiligt und auch in der Defensive zu finden. In dieser Form ist er aus der Stammelf kaum wegzudenken - wenn der FC Bayern gerade eine hätte.

Von Sebastian Fischer, Mailand

Julian Nagelsmann saß in Mailand und sprach über Paris. Nur kurz zwar, und als Antwort auf eine entsprechende Frage in der Pressekonferenz, aber der Vergleich gefiel ihm offenbar. "War fast deckungsgleich, die Aktion", sagte er und meinte das zweite Tor seiner Mannschaft, bei dem Leroy Sané und Kingsley Coman im Strafraum von Inter einen doppelten Doppelpass spielten, die hohe Fußballkunst. Tags zuvor, beim 2:1 von Paris Saint-Germain gegen Juventus Turin, hatten Kylian Mbappé und Achraf Hakimi einen ähnlichen Treffer erzielt.

Die Klasse von Paris und seinesgleichen, das soll in diesem Jahr der Maßstab für den deutschen Rekordmeister sein. Die vergangene Champions-League-Saison, zur Erinnerung, endete im Viertelfinale gegen den FC Villarreal. Das war, etwas vereinfacht, die Begründung für die vielen Transfers des Sommers. Die neue Champions-League-Saison begann nun mit einem 2:0 gegen Inter. "Wir haben den Härtetest hier absolut bestanden", sagte Thomas Müller.

Bei einem Spiel in Mailand muss natürlich von der Atmosphäre die Rede sein, von diesem Ereignis eines Stadions namens San Siro und den springenden Inter-Tifosi, die nicht nur gefühlt die alten Tribünen ins Wanken bringen. Am Mittwochabend allerdings waren es die Fans aus Bayern im Oberrang, die laut waren und nicht mal vom Stadionsprecher ermahnt wurden, während sie einen Silvestervorrat an Fackeln zum Leuchten brachten. "Superbayern, Superbayern", sangen sie am Ende, und San Siro hörte zu.

Diese Saison hat für Sané auf der Bank begonnen - seit dem dritten Spieltag aber steht er immer in der Startelf

Nur in kurzen Phasen konnte Inter den Bayern ein klein wenig gefährlich werden, wenn sich vorn der aus dem vorletzten Jahrzehnt aus der Bundesliga bekannte Edin Dzeko, 36, in Position brachte, oder als die Münchner am Ende leichtsinnig wurden: Lucas Hernández verlor den Ball am eigenen Strafraum. Anders als zuletzt beim 1:1 gegen Union Berlin hatten die Münchner genug Raum für ihre Angriffe, anders als beim 1:1 zuvor gegen Gladbach nutzten sie ihre Chancen. Vor allem einer.

Nagelsmanns Vergleich mit Paris passte gewissermaßen auch auf einer zweiten Ebene. Bei PSG haben sie bekanntlich lauter mehr oder weniger launische Offensivartisten versammelt, die kaum zu stoppen sind, wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen, wozu sie aber nicht immer Lust haben. In München haben sie so eine launische Offensive natürlich nicht. Aber sie haben zumindest einen hochbegabten Offensivspieler, der seit Jahren das Image eines launischen Künstlers nicht loswird: Sané, der in Mailand das erste Tor erzielte, indem er einen genialen weiten Pass von Joshua Kimmich noch etwas genialer mit dem ausgestreckten linken Fuß annahm und um Mailands Keeper André Onana dribbelte. Das 2:0, ein Eigentor von Danilo D'Ambrosio, erzwang er nach erwähntem Doppelpass.

"Ich denke, dass er sehr gut gespielt hat, dass er ein Schlüsselspieler ist für besondere Momente und Spiele entscheiden kann in der Verfassung, in der er im Moment ist", sagte Torwart Manuel Neuer. "Er hat Freude am Fußball, er ist gefährlich, er arbeitet nach hinten und nach vorne. Das macht wirklich Spaß, dem Leroy zuzuschauen", sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Am treffendsten auf den Punkt brachte es aber wohl Müller: "Wenn er super spielt, kriegt er viel Lob, völlig zu Recht. Wenn er nicht so gut spielt, dann gibt es Kritik. Das Lob ist meistens zu viel und die Kritik auch."

Sané spielt nun seine dritte Saison beim FC Bayern seit seinem Wechsel von Manchester City. Die zweite begann mit Pfiffen von ein paar wenigen Fans in der Münchner Arena, die man vielleicht nur hörte, weil wegen Corona nur wenige Zuschauer zugelassen waren. Der 26-Jährige reagierte mit einer deutlichen Leistungssteigerung darauf, bevor er in der Rückrunde wieder etwas schwächer wurde. Einerseits war er in allen Spielen zusammengerechnet Bayerns zweitbester Vorbereiter und drittbester Torschütze, andererseits war er seit Anfang März bis zur Sommerpause an keinem Tor mehr beteiligt gewesen.

Diese Saison begann für ihn zunächst auf der Bank, aber schon nach seinen Einwechslungen machte er einen guten Eindruck. Seit dem dritten Spieltag stand er in der Liga immer in der Startelf, gegen Mönchengladbach schoss er den wichtigen Ausgleichstreffer. In Mailand stach er mit seiner Beteiligung an Toren und an weiteren Chancen heraus. Und kurz nachdem er getroffen hatte, zum Beispiel, war er nach einem Sprint nach hinten in der Defensive zu finden. Eine angeblich manchmal lässige Einstellung zur Arbeit ist es ja, die ihm seine Kritiker mit besonderer Leidenschaft vorwerfen.

Thomas Müller zeigt an diesem Abend wieder, wie wichtig er ist, vor allem im Pressing

Spielt er so wie zurzeit, ist er aus der Stammelf kaum wegzudenken, was zum prägenden Thema beim FC Bayern dieser Tage führt: Eine Stammelf gibt es nicht, mal abgesehen von Manuel Neuer im Tor, Kimmich im Mittelfeld und Alphonso Davies als linker Außenverteidiger, der anders als Benjamin Pavard auf rechts keinen Herausforderer hat. Auch Angreifer Sadio Mané hat bislang immer von Beginn an gespielt.

In der Offensive wird die Fülle an Möglichkeiten allerdings besonders deutlich. Jamal Musiala etwa kam nur von der Bank, obwohl er in den vergangenen Wochen einer der Besten war. Und Mané fiel erstmals etwas ab. Er bot zwar als vorderste Spitze viele Laufwege an, Nagelsmann lobte das ausdrücklich, er trat aber kaum mit Ball in Erscheinung. Umso mehr zeigte dagegen Müller, wie wichtig, im Grunde unersetzlich er ist, vor allem im Pressing.

Und es geht weiter mit dem Konkurrenzkampf: Im Mittelfeld, wo der nach Knie-OP wieder gesunde Leon Goretzka nach einer Stunde für Marcel Sabitzer kam und später sagte, er sei jetzt "bereit für die Startelf". Oder in der Abwehr, wo es am ehesten eingespielte Innenverteidiger bräuchte, aber kaum mal zwei Spiele hintereinander dasselbe Duo aufläuft. Diesmal spielten Matthijs de Ligt und Lucas Hernández.

Andererseits dürften die Münchner Fußballer die Rotation verstehen. Sie sind ja nicht Paris Saint-Germain. Und sie bekommen vor Augen geführt, warum es in dieser wegen der WM im November historisch kurzen Hinrunde notwendig ist, immer wieder durchzuwechseln: Am Dienstag schon kommt der FC Barcelona nach München, mit Robert Lewandowski, der für Barça beim 5:1 gegen Viktoria Pilsen dreimal traf. "Glückwünsch", sagte Salihamidzic dazu. Mehr wollte er nicht sagen. Am Samstag kommt ja erst mal der VfB Stuttgart.

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