BVB in der Champions League:Fatale Nachricht aus der Blackbox

BVB in der Champions League: Unmittelbar und auch noch nach dem Abpfiff geladen, wie selten: Dortmunds Mats Hummels (Mitte) muss gegen Ajax nach der Entscheidung von Schiedsrichter Michael Oliver (li.) vom Platz.

Unmittelbar und auch noch nach dem Abpfiff geladen, wie selten: Dortmunds Mats Hummels (Mitte) muss gegen Ajax nach der Entscheidung von Schiedsrichter Michael Oliver (li.) vom Platz.

(Foto: Ina Fassbender/AFP)

"Da läuft was falsch im Fußball, wenn so etwas möglich ist": In Dortmund hält die Aufregung nach dem Hummels-Platzverweis an. Er entscheidet das Spiel gegen Ajax erkennbar mit - und befeuert eine ewige Debatte.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Auch nach dem berühmten Drüberschlafen wollte der Zorn nicht abklingen. Hans-Joachim Watzke rang noch eine Nacht nach der roten Karte gegen Mats Hummels mit sich, um ja nichts Falsches über die allmächtige Uefa, ihr Schiedsrichterwesen und den Videobeweis zu sagen. "Fest steht, dass die Entscheidung eine einzige Frechheit war", wollte Borussia Dortmunds Geschäftsführer aber noch angemerkt haben. "Ich hoffe, dass das Sportgericht sich die Szene anschaut, und dass nun wenigstens beim Strafmaß für Mats noch Vernunft einkehrt und er nicht auch noch gesperrt wird."

Aber Watzke kennt die verknöcherten Strukturen von Fußballverbänden. Große Hoffnungen wird er sich nicht machen, dass die äußerst umstrittene Entscheidung des englischen Premier-League-Schiedsrichters Michael Oliver im Champions-League-Gruppenspiel des BVB gegen Ajax wenigstens im sportgerichtlichen Nachgang ein wenig korrigiert wird.

Oliver hatte in der 29. Minute ohne große Grübelei Rot für den Dortmunder Innenverteidiger Hummels gezückt. Allen Protesten zum Trotz. Dortmund spielte danach mehr als eine Stunde in Unterzahl gegen die lauf- und spielstarken Amsterdamer. In der Endphase waren die Dortmunder sichtlich mit ihren Kräften am Ende - und kassierten noch drei Gegentreffer zum 1:3-Endstand.

Die TV-Bilder zeigen: Antony kommt bei der Aktion zwar zu Fall, aber ohne Berührung durch Hummels

Man kann sich an wenige Spiele erinnern, die ein Schiedsrichter mit einer einzigen krassen Fehlbeobachtung so erkennbar mit entschieden hatte. Dabei hätte Oliver noch zwei Chancen gehabt, seinen Blackout beim angeblichen Foul von Hummels gegen Amsterdams Brasilianer Antony richtig zu stellen. Denn Olivers Entscheidung wurde zunächst vom Video-Schiedsrichter (VAR) begutachtet.

Von dort bekam Oliver angeblich die Ansage, dass die rote Karte "vertretbar" sei. Sich die Szene aber selbst noch einmal anzuschauen, auf dem direkt in seiner Nähe stehenden Monitor, verweigerte Oliver. Ein zweifelhaftes Vorgehen eines Schiedsrichters, der es sonst Woche für Woche mit der für Härte und Überhärte bekannten englischen Premier League zu tun hat.

Die Fernsehbilder zeigen unübersehbar: Hummels hat nahe der Außenlinie zwar energisch gegrätscht, aber sein gestreckter Fuß fliegt deutlich vor Antony ins Leere. Der Ajax-Profi kommt bei der Aktion zwar zu Fall, aber keinesfalls rabiat berührt von Hummels. Regelexperten bezweifelten noch am Abend, dass man Hummels für seinen harten Einsatz auch nur mit einer gelben Karte hätte bestrafen dürfen, Rot dagegen sei völlig unangemessen.

Hummels selbst war nach dem Abpfiff geladen, wie man ihn selten erlebt hat: "Ich habe keine Ahnung, wie man als Schiedsrichter auf angeblichem Champions-League-Niveau auf die Idee kommen kann, hier Rot zu geben." Hummels blieb dabei: "Der Schiedsrichter hat damit das Spiel entschieden - und das weiß er auch."

Gut möglich, dass Oliver sich durch das aufreizende Verhalten von Antony emotional täuschen ließ

Eine Blamage war das aber nicht nur für Oliver, weil der sich bei einer so absehbar entscheidenden Situation nicht einmal auf den Weg zum Monitor gemacht hatte. Viel größer noch war der Dortmunder Ärger über den Video-Schiedsrichter, der aus der Anonymität eines entfernten Raums heraus heutzutage Entscheidungen mit verantwortet. BVB-Trainer Marco Rose rang um Fassung: "Da läuft was falsch im Fußball, wenn so etwas möglich ist." Gemeint war damit vor allem die Bestätigung der Fehleinschätzung aus dem VAR-Raum. BVB-Chef Watzke beschrieb die Prozesse in Video-Räumen am Donnerstag als "eine Black Box", eine intransparente Sphäre, die sich nicht einmal mehr direkt auf dem Spielfeld für Entscheidungen rechtfertigen müsse.

"Wenn jemand das beruflich macht", hatte Hummels schon nach dem Abpfiff beim Fernsehsender Dazn über den Video-Referee geflucht, "dann erwarte ich, dass er so eine Szene korrekt beurteilen kann". Die seit drei Jahren anhaltende Diskussion über den Wert der Video-Schiedsrichterei wird der Fall Oliver jedenfalls befeuern. Gegner des Videobeweises, der vollmundig mit dem Versprechen von "mehr Gerechtigkeit" eingeführt wurde, fühlen sich bestätigt, dass VAR-Entscheidungen nur so gut sein können wie die Schiedsrichter vor den Monitoren. Und im zweiten Schritt die Kommunikation mit dem Schiedsrichter auf dem Platz.

Fußball: UEFA Champions League, 4. Spieltag, Borussia Dortmund - Ajax Amsterdam am 03.11.2021 im Signal-Iduna-Park in D

Die entscheidende Szene des Abends: Antony Matheus dos Santos fällt nach dieser Grätsche von Mats Hummels.

(Foto: Christopher Neundorf /Kirchner-Media/imago)

Am falschen Verhalten von Schiedsrichter Oliver ändert die Videobeweis-Diskussion allerdings wenig. Seine eigene Chance, sich die Situation aus mehreren Winkeln von TV-Kameras und in Zeitlupe noch einmal anzusehen, und so seine Fehlentscheidung selbst zu hinterfragen und zu korrigieren, gab Oliver fahrlässig preis. Spätestens seit dem Brexit ist man aus dem Vereinigten Königreich seltsame Entscheidungen gewöhnt, aber gerade englischen Unparteiischen unterstellte man bisher eine gewisse Grund-Qualität.

Gut möglich, dass Oliver sich durch das aufreizende Verhalten des vermeintlich gefoulten Antony emotional täuschen ließ. Antony wand sich vor Schmerzen und wälzte sich am Boden. Watzke rezensierte das als "theaterreife Vorführung". Hummels erzählte später, Antony sei nach dem Aufstehen zu ihm gekommen, und habe ihm gesagt, das sei "nie eine rote Karte" gewesen. "Er ist ein super Fußballer", meinte Hummels später, "aber ein guter Sportler zu sein, muss er noch lernen."

In der Schlussphase profitiert Ajax von den aufkommenden Konzentrationsschwächen der Dortmunder

Minuten nach dem Platzverweis gegen Hummels schusterten sich Oliver und der Video-Schiedsrichter eine weitere fragwürdige Entscheidung zusammen. Dortmunds Engländer Jude Bellingham strauchelte im Ajax-Strafraum bei einem Laufduell. Im Video ließ sich ein leichter Beinkontakt eines Ajax-Verteidigers mit Bellingham erkennen. Oliver hörte erneut auf seinen Video-Schiedsrichter, bemühte diesmal sogar selbst den Monitor am Spielfeldrand - und gab Elfmeter für Dortmund. Das roch nach einer Wiedergutmachung aus dem Video-Raum, war regelkonform, aber nicht unbedingt zwingend. Marco Reus verwandelte, Dortmund führte 1:0.

Was dann kam, war nicht groß überraschend. Dortmund verteidigte geschickt und mit übermäßiger Laufarbeit. Ajax, das deutlich weniger gut organisiert wirkte als beim sprühenden 4:0-Sieg in Amsterdam, profitierte in der Schlussphase erkennbar von den aufkommenden Konzentrationsschwächen der Dortmunder. Dusan Tadic, Sebastien Haller und Davy Klaassen sorgten in den letzten 20 Minuten dann Stück für Stück für die Wende im Spiel. Bis zum Platzverweis dagegen war Dortmund die deutlich bessere Mannschaft gewesen.

Gegen die rote Karte will der Verein nun unter Umständen Einspruch erheben. Sportdirektor Michael Zorc kündigte gegenüber dem Sportinformationsdienst "Kontakt mit der Uefa" an. "Die Uefa wirbt für Respekt, aber das hat mit Respekt nichts zu tun", sagte Zorc. Der BVB prüfe den Vorfall derzeit mit seinem Justiziar.

Sollten die Einwände keinen Erfolg haben, dürfte Hummels für zwei Partien gesperrt werden. Er wird damit auch beim vorentscheidenden Gruppenspiel von Dortmund bei Sporting Lissabon vermutlich nicht einsetzbar sein. Lissabon gewann parallel gegen Besiktas Istanbul und ist nun punktgleich mit dem BVB, der aber das erste Spiel gewonnen hat. Klubchef Watzke weiß: "Wir müssen bei Sporting einen Punkt holen, koste es, was es wolle."

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