Es gab inmitten der Pandemie diesen furchtbaren Moment der Selbsterkenntnis, und er hält seither an: Das ganze Fußballgeschäft kann über Nacht in die Binsen gehen. Peng!, einfach so. Sobald die ersten fünf, sechs Profiklubs Insolvenz anmelden müssen - und das war in der Bundesliga durchaus denkbar -, können auch die anderen, die mit den fetteren Festgeldkonten, einpacken: Ohne Gegner, ohne werthaltigen Spielbetrieb versinkt nach Mainz, Schalke oder Bremen auch der FC Bayern in der Bedeutungslosigkeit. Und das mit einem Spitzenpersonal, dem auch ohne Arbeit Millionengagen zustünden.
So verwandelte sich das Solidaritätsgerede in der Profifußball-Blase schnell in einen harten Überlebensreflex. 13 der 36 Profiklubs in der ersten und zweiten Liga drohte die Pleite, zwölf verpfändeten sogleich ihre letzte Fernsehrate, um flüssig zu bleiben. Nervös konferierte die Deutsche Fußball Liga (DFL) zur Frage, wie sie die Krise überstehen könnte - überleben kann sie nur, wenn (fast) keiner bankrottgeht. Und weil das Geschäft im Kern nur am Geld für Profikicker hängt, die immer teurer bezahlt werden wollen, weil überdies die Transfer-Spirale schon in den Bereich von einer Viertelmilliarde Euro für Messi, Neymar und Co. gedreht ist, bräuchte es Grenzen. Grenzen für alle, damit sich das Konstrukt nicht beim nächsten Krisenfall, peng!, in Luft auflöst.
Mit den neuen Existenzängsten hat sich auch Thomas Oppermann befasst, der seit 2005 für die SPD dem Bundestag angehört, inzwischen als Vizepräsident, und der seit 2019 auch dem Ethikkomitee des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vorsitzt. In der Hinwendung zum Problem hat Oppermann eine Geste der "Demut" erkannt, weil ja "das ganze Geschäftsmodell des Fußballs durch Corona mit einem Schlag auf der Kippe stand". Oppermann bat also die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags um unabhängige Gutachten zur Kernfrage der Kickerbranche: Ist eine Gehaltsobergrenze in Europa möglich?
Es geht um die Chancengleichheit im Wettbewerb
Dagegen sperrt sich seit Jahrzehnten der dominante Teil des Fußballgewerbes; mit dem Totschlagargument, dass einer solchen Obergrenze (nach Vorbild des US-amerikanischen Sports auch Salary Cap genannt), in Europa fundamentale Rechte entgegenstünden. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf freie Arbeitsplatzwahl, und kartellrechtliche Bestimmungen.
Am Freitag erhielten DFB-Präsident Fritz Keller und DFL-Chef Christian Seifert die neuen Gutachten, pünktlich zur Sitzung der DFL am Dienstag, die dann eine Taskforce zum Thema einrichtet. Fazit: Das Argument von der angeblich unüberwindbaren EU-Hürde ist vom Tisch. "Gehaltsobergrenzen", schreibt der Wissenschaftliche Dienst, "können nach deutschem und europäischem Recht zulässig sein"; es käme auf die konkrete Ausgestaltung an. Der "Fachbereich Europa" der Dienste kam zu der Empfehlung: "Im Falle eines verbandsrechtlich eingeführten, absoluten und teambezogenen Salary Caps lässt sich dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht gut begründen."
Die Obergrenze ziele ja darauf ab, "dem Verlust der Chancengleichheit im europäischen Fußball entgegenzuwirken und so die Wettbewerbsgerechtigkeit zu fördern". Sie könne zudem das Schuldenwachstum der Klubs stoppen, indem sie den "europäischen Überbietungswettbewerb beschränkt". Und just mehr Chancengleichheit sei "ein überragend wichtiges Verbandsinteresse als auch berechtigtes Allgemeininteresse". Ergo: Wenn, wie hier, die Interessenslagen übereinstimmen, erleichtere das die juristische Rechtfertigung sehr.
Grundsätzlich grünes Licht also, trotz diverser wirtschafts- und arbeitsrechtlicher Überlegungen. Alle Bedenken seien zu überwinden, wenn der Wille in der Branche vorhanden sei, ihre Kostenspirale einzugrenzen. Von diesem Willen ist Oppermann ebenso überzeugt wie von der rechtlichen Zulässigkeit eines Salary Caps; froh ist er aber, dass diese Chance nun "schwarz auf weiß" dokumentiert sei. "So viel Rückenwind für eine vernünftige Regelung des Spielermarktes gab es noch nie", sagt Oppermann der SZ, überall werde er dazu angesprochen, "auch weit über Fankreise hinaus, ich treffe niemanden, der dagegen ist". Zumal Corona den Fußballmarkt ja bereits beeinflusse. "Wir sehen schon jetzt die dämpfende Wirkung für viele Sportarten." Der Bund zahle Hilfen für die dritte Fußball-Liga, für Basketball und Handball, weil diese 30 Prozent ihrer Einkünfte aus jenen Zuschauergeldern generierten, die nun wegfallen.
Beide Expertisen befinden, dass ein Salary Cap nicht durch den Gesetzgeber, sondern nur auf Ebene des europäischen Fußball-Dachverbands Uefa eingeführt werden könne, um im EU-Rechtekanon bestehen zu können. "Obwohl die Einführung einer Gehaltsobergrenze auch durch den Gesetzgeber möglich ist", heißt es, "erscheint die Einführung im Wege der Selbstregulierung im Rahmen der Organisationsstruktur des Fußballs sachgerechter."
Gehältergrenzen sind nicht unüblich in der Berufswelt. Das gilt für Vergütungen im Finanzwesen; für Ärzte und Rechtsanwälte sind Leistungsvergütungen verbindlich festgesetzt. Aber: Nationale Lösungen sind im Fußballgeschäft ungeeignet, weil sie europaweit Nachteile schaffen. Auch EU-Richtlinien, wie sie Oppermann zunächst favorisierte, funktionieren im Fußball kaum: Für die britische Premier League etwa wären sie nach dem Brexit ohne Bedeutung, heißt es in der Expertise. Europas Bewerbe wären noch mehr verzerrt. Deshalb sei, obwohl die EU für den Sportbereich durchaus "eine Zuständigkeit hat", ein Beschluss auf politischer Ebene zu langwierig. Überdies sei "der Wille der Fußballverbände, die Entscheidungshoheit über eine Gehaltsobergrenze in die Hände der EU zu legen, derzeit nicht erkennbar", heißt es im Gutachten.
Alternativen wären: Tarifregelungen, die Deckelung von Spielerberater-Salären und von Ablösesummen. Oder die Ausweitung des Financial-Fairplay-Reglements der Uefa; schon jetzt sei ja die Begrenzung von Ausgaben für Spieler eine Sanktionsmöglichkeit gegen Vereine. Theoretisch. Nur hat hier gerade im Zuge der Finanzaffäre um den Superklub Manchester City der oberste Sportgerichtshofs Cas die eklatanten Defizite der internen Sportrechtsprechung offenbart.
In Betracht käme laut der Bundestags-Gutachten auch eine Luxussteuer für Klubs, die eine Gehaltsobergrenze überschreiten - in Höhe des überzogenen Betrags. Diese Luxusabgabe könnte aus einem Solidarfonds an Klubs fließen, die die Grenze nicht überschreiten - eine Idee, die Uefa-Präsident Aleksander Ceferin in einem SZ-Interview ins Spiel gebracht hatte.
Wirklich tragfähig sei aber nur eine Obergrenze per Uefa-Dekret. Sie würde die Ballung der Elite bei den Superreichen auflösen und sportliche Chancengleichheit fördern. Die Folge sei ganz im Sinne der Zahlkundschaft: "Dass auch die Ungewissheit des Ausgangs eines Spieles gesteigert wird." Auch der Spannungsverlust sei ja längst ein Problem. Ein Salary Cap würde "den Unterhaltungswert steigern". Ausdrücklich erwähnen die Dienste hier die Bundesliga, sie zeige "die Ausmaße der Aufwärtsspirale besonders deutlich, etwa in der Dominanz des FC Bayern München". Der Überbietungsstreit am Spielermarkt "durch englische, spanische und deutsche Vereine" habe sich so weit verselbstständig, "dass es keinem europäischen Verein mehr möglich ist, aus diesem auszusteigen, ohne dabei seine sportliche und wirtschaftliche Existenz zu gefährden".
Ein Profifußball, der sich "in der öffentlichen Wahrnehmung von der Durchschnittgesellschaft und seinen Fans" entferne, stehe im Zielkonflikt mit Politik und Verbänden: Es gelte "den sozialen Rückhalt für den Sport und das bisher ungebrochene öffentliche Interesse in Zukunft zu erhalten". Was umso mehr in Corona-Zeiten gilt, der gewaltigsten Mittelumverteilung von der öffentlichen in die private Hand.
Eine für alle verbindliche Obergrenze der Uefa, heißt es in der Expertise, müsste für nationale und europäische Wettbewerbe gleichermaßen gelten, und bei Vertragsabschluss zwischen Klub und Profi vereinbart werden. Auch müsste das neue Regelwerk "Sanktionen vorsehen, um mögliche Verstöße europaweit ahnden zu können".
Der Fußball hat das Papier vorliegen, Oppermann will schon im Herbst bei der Klausurtagung in Brüssel die Chancen ausloten, "eine entsprechende Regelung europarechtlich abzusichern". Vielleicht ließe sich die zuständige Kommissarin Margarethe Vestager überzeugen, "der Beifall von Millionen Fans in Europa wäre ihr sicher".
Nur über eines machen sich die Experten keine Illusionen: dass manchem Klub so ein Solidaritätsszenario nicht in die Titelträume passen dürfte. "In jedem Fall", schreiben sie, "muss beachtet werden, dass bei einer Gehaltsobergrenze die Gefahr besteht, dass die geltenden Regelungen von Beteiligten durch anderweitige Vereinbarungen umgangen werden."