Fußball-Bundesligist Schalke 04:Julian Draxler sagte sogar Mourinho ab

Galatasaray AS v FC Schalke 04 - UEFA Champions League Round of 16

Irrwitzige Wertsteigerung: Julian Draxler.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schalke 04 setzt auf seine königsblaue Jugend: Talente wie Goretzka, Clemens, Meyer und Kolasinac sollen künftig prägende Spieler werden. Doch die Hinwendung zur Jugend hat nicht nur ihre romantische Komponente.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

"Ab und zu" habe während seiner Ferien das Telefon geklingelt, hat Julian Draxler jetzt berichtet, aber er hat höflicherweise für sich behalten, dass ab und zu auch José Mourinho zu den Anrufern zählte. Der portugiesische Trainer, inzwischen wieder beim FC Chelsea tätig, ist ein branchenbekannter Spielerverführer, und auch der junge Schalker Draxler war zunächst ziemlich irritiert.

Er hat sich, wie er zugibt, "alles reichlich durch den Kopf gehen lassen", bis er schließlich in London absagte und dem Vereinspatron Clemens Tönnies mitteilte, dass er lieber in Schalke bleiben möchte: "Ich hoffe", witzelt der Nationalspieler, "dass der Chef sich auch wirklich darüber gefreut und nicht schon insgeheim auf das Geld gehofft hat."

Tatsächlich war es sogar mehr als nur profane Freude. "Alle waren stolz und glücklich" - so hat einer der Betroffenen aus Schalkes Chefetage die Gemütslage geschildert, als die gute Nachricht kam. Erstaunlicherweise herrschte im mit 170 Millionen Euro verschuldeten Klub große Angst davor, dass Chelsea demnächst die für Draxler festgesetzte Ablöse von 45 Millionen Euro anweisen könnte.

Schalke möchte zwar weiterhin den Kontostand stabilisieren, aber nach der Sparrunde im vorigen Sommer sucht man diesmal den Weg über den sportlichen Erfolg und Investitionen in die Mannschaft. Außer den arrivierten Profis Felipe Santana (Dortmund) und Adam Szalai (Mainz) kamen die im ganzen Land begehrten Nachwuchsspieler Christian Clemens (Köln) und Leon Goretzka (Bochum).

Schalkes Mannschaft bekommt ein neues jugendliches Gesicht, zu dem auch die bereits im Vorjahr in den Kader eingeführten Internatsabsolventen Max Meyer und Sead Kolasinac beitragen sollen. Das weckt im Publikum freudige Erwartungen und sorgte dafür, dass Manager Horst Heldt auf der protestumtosten Jahreshauptversammlung als einziger Klubverantwortlicher ungeteilten Beifall erhielt. Das änderte sich selbst dann nicht, als Heldt fairerweise bekanntgab, dass auch er dem hochgradig umstrittenen Vertrag mit der Ticketbörse Viagogo zugestimmt habe.

Die Hinwendung zur Jugend, zumal wenn sie aus dem eigenen Haus stammt, hat ihre romantische Komponente. Aber sie hat - wie der unliebsame Vermarktervertrag - auch ihre wirtschaftliche Seite, dafür bietet Draxler das beste Beispiel. Der 19-Jährige hat zuletzt eine aberwitzige Wertsteigerung erfahren. Offenkundig war nicht nur Chelsea bereit, ein Vermögen für ihn auszugeben. Junge deutsche Fußballer sind derzeit erstklassige Anlageobjekte, wie Immobilienhändler sagen würden.

Goretzka ist erst 18 Jahre alt und hat nicht mehr als 32 Zweitligaspiele vorzuweisen, aber Heldt lässt im kicker bereits Bescheidenheit anklingen, was die Dauer der Bindung betrifft: "Wir hoffen, seinen Weg so lange wie möglich zu begleiten", sagt Heldt zur Perspektive. Nicht zuletzt deshalb wehrten sich die Bochumer zuletzt so vehement gegen den Transfer: Weil sie meinten, dass Goretzkas vertraglich fixierte Ablöse - 2,75 Millionen Euro plus 17,5 Prozent Beteiligung bei einem Weiterverkauf- auf geradezu peinliche Weise unter dem Marktwert liege.

Meyer erhält die Nummer von Raúl

Norbert Elgert, 56, betreut seit 17 Jahren Schalkes U19 und ist damit nach eigenem Verständnis der dienstälteste Jugendtrainer in der Bundesliga, er hat Generationen von Profis geformt: Draxler, Meyer, Kolasinac, Matip und Höwedes stehen im aktuellen Kader; Neuer und Özil sind erfolgreich auf Wanderschaft gegangen; andere wie Pinto, Hajnal, Pander oder Hanke sind in die reiferen Jahre gekommen. "Nachwuchsfußball ist ein Geschäft", weiß Elgert, der Druck wächst, aber er versucht, die Vorherrschaft von Geschäft und Karriere einigermaßen fernzuhalten von seinen Schülern - und sie auch aufs Scheitern vorzubereiten. "Wir leben in einer Zeit, in der es ständig heißt: Deutschland sucht den Superstar", sagt er, "aber nicht jeder ist ein Top-Talent. Die Jungs werden immer höher, immer schneller in die Umlaufbahn geschossen, umso tiefer fallen sie dann. Daumen hoch, Daumen runter, darauf muss man vorbereitet sein."

Dass die Spieler in zunehmend jüngerem Alter in den Bundesligen herangenommen werden, hält er für eine logische Folge der Entwicklung: "Es wird mehr und intensiver trainiert. Die Spieler sind athletisch und mental weiter, als sie früher in diesem Alter waren. Sie sind in der U 19 noch Jugendliche, aber keine Jugend-Fußballer mehr", weiß Elgert. So wachsen auch die Verheißungen.

Nachdem früher in Argentinien alle paar Monate ein "neuer Maradona" erschien, müssen nun deutsche Nachwuchsfußballer damit leben, dass sie nach zwei, drei gelungenen Übersteigern schleunigst als der nächste Götze oder der nächste Draxler bezeichnet werden. Max Meyer, 17, bekam das Etikett bereits als A-Jugendlicher verpasst. Es hat ihm angeblich nicht geschadet. Um Platz für das Mittelfeldlenkertalent Meyer zu schaffen, ließ Manager Heldt den in Kiew geliehenen und durchaus für gut befundenen Brasilianer Raffael weiterziehen.

Meyer erhält nun in Schalkes Profiteam das Trikot mit der Rückennummer 7 und wird damit Nachfolger eines gewissen Senor Raúl. Heldt hatte bei der Einkleidung aber nicht nur an den spanischen Helden, sondern auch an Ikonen wie Stan Libuda und Rüdiger Abramczik gedacht. Die Traditionsnummer hätte er nicht jedem gegeben, sagt er, "aber zu Meyer passt sie wie die Faust aufs Auge".

Mit den jungen Schalkern könnte es interessant werden in der nächsten Saison. Julian Draxler kam am Ende ungefähr zur gleichen Einsicht. Er räumt zwar ein, dass er über das entgangene Fabelgehalt in London "eigentlich gar nicht nachdenken" dürfe, aber er meint auch: "Ich habe hier alles, was ich brauche."

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